Hiho,
etwas verspätet mal ein Bericht von der Wikipedia Academy 2008. Diese fand vor zwei Wochen in den Räumen der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaft am Gendarmenmarkt in Berlin statt. Motto war "Mathematik, Wissen, Wikipedia" und die Veranstaltung war Teil des Jahres der Mathematik. Es waren über beide Tage verteilt etwa 100 Leute da, leider nicht an beiden Tagen 100, so dass die Teilnehmerzahl etwas hinter meinen Erwartungen zurückblieb.
Finanziert wurde die Veranstaltung vom BMBF und Wikimedia Deutschland, organisiert vor allem von Frank Schulenburg und Ralf Liebau, vielen Dank beiden!
Frau Schawahn kam leider nicht, auch ihr Staatssekretär sagte kurzfristig ab, es gab also zunächst Grußworte von Prof. Dr. Dr. h.c. Günter Stock, dem Hausherrn als Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, gefolgt von einer Einführung von Frank Schulenburg. Daraufhin erzählte ich etwas über Qualitätsmanagement. Es folgt eine Interview mit Sue Gardner, der Geschäftsführerin der Foundation zu ebenselber und dann ein Vortrag von Prof. Dr. Bill Casselman, University of British Columbia über Wikipedia and the history of mathematics, siehe http://www.math.ubc.ca/~cass/wiki-berlin/.
Bill Casselman hielt einen Vortrag über Geschichte der Mathematik in der Wikipedia, der ziemlich konkret auf Mängel von Artikeln eingeht. Zwar kommt er zu dem Eindruck, dass die deutsch besser ist als die englische, ist aber doch sehr kritisch was den Bereich Antike angeht und ist der Meinung, dass die Autoren ihre Hausaufgaben nicht gut gemacht haben. Auch wird viel zu selten klar, warum ein bestimmter Mathematiker Aufnahme gefunden hat.
Die Workshops waren gut besucht (Einführung in Wikipedia), es folgt ein Abend mit perfektem angenehmem Wetter auf der dachterasse der Akademie. Samstag dünnte sich das ganze etwas aus, trotzdem waren alle vier parallelen Workshops mit mindestens 10 Leuten bestückt, der Wikisource-Workshop mit etwas mehr. Ich war bei Mathias Schindler und [[Martin Grötschel]] (Generalsekretär der internationalen mathematischen Union). Grötschel hielt einen Kurzvortrag zu Open Access, der durch das rege Interesse der Teilnehmer und seine eigene Begeisterung für das Thema etwas länger wurde. Freie Lizenzen kamen etwas kurz. Interessante Anekdote, die [[Internationale mathematische Union]] (IMU) will das gesamte je publizierte mathematische Wissen digitalisieren. Nach ihren Kalkulationen bräuchten sie 100 Terabyte Speicher und 100 Millionen Euro, also viel Holz, aber nichts was komplett unrealistisch wäre. Der Nutzen wäre gigantisch. Das Projekt scheitert spektakulär an Urheberrecht und Copyright.
Die Podiumsdiskussion litt etwas daran, dass ein Teilnehmer absagte, wie auch der Moderator [[Holm Friebe]], (Autor von Digitale Bohème) nur kurzfristig einsprang. Trotzdem gab es einige interessante Punkte: [[Hans-Georg Weigand]], Vorsitzender der [[Gesellschaft für Didaktik der Mathematik]], nutzt Wikis in seinen Seminaren. Für ihn war die in meinem Vortrag erwähnte Zahl von 40.000 Lesern pro Monat für [[Differentialrechnung]] ein echter Augenöffner. Darüberhinaus sind die Leute der Meinung, dass Wikipedia sich stärker entscheiden sollte, für wen man schreibt. Dieses Problem ist in der Tat in Mathematik relativ ausgeprägt, dass Leser und Artikel nicht so recht zueinanderfinden können.
Es ergaben sich einige Kooperationspunkte. Das [[Zentralblatt MATH]] möchte stärker mit uns zusammenarbeiten. Die IMU plant ein [[Felix Klein]]-Projekt zur Aufbereitung seines dreibändigen Klassikers "Elementarmathematik vom höheren Standpunkt", in dem Wikis eingesetzt werden sollen, WikiSource oder Wikiversity wären da geeignete Projekte. Ich denke mit der Deutschen Mathematikervereinigung und [[Günther M. Ziegler]] werden wir noch etwas weiter zusammenarbeiten, auch die Akademie war ganz angetan von der Veranstaltung, das ZDF haben die wohl auch nicht jeden Tag im Haus. Im Nachgang des Vortrags erhielt ich auch noch drei Emails von Leuten, die in der Folge an ihren jeweiligen Standorten einen Vortrag zu Wikipedia halten wollten. Anwesend war auch Lennart Guldbranson von Wikimedia Sverige, der für November eine Academy in Lund vorbereitet.
Alles in allem also ein positives Fazit, vielen Dank insbesondere an Frank und Ralf für die viele Arbeit.
Viele Grüße
Philipp
P.S.: http://www.wikipedia-academy.de/2008/index.php, Photos finden sich unter http://commons.wikimedia.org/wiki/Wikipedia_Academy_Berlin_2008
Am 07.07.2008 um 22:30 schrieb P. Birken:
Für ihn war die in meinem Vortrag erwähnte Zahl von 40.000 Lesern pro Monat für [[Differentialrechnung]] ein echter Augenöffner. Darüberhinaus sind die Leute der Meinung, dass Wikipedia sich stärker entscheiden sollte, für wen man schreibt. Dieses Problem ist in der Tat in Mathematik relativ ausgeprägt, dass Leser und Artikel nicht so recht zueinanderfinden können.
Da besteht in der Tat ein Problem und es wird mit der "Professionalisierung" der Wikipedia zunehmen. Für einen guten Wikipedia-Artikel braucht man eben nicht nur die notwendigen Informationen/das notwendige Wissen, essentiell ist auch die Aufbereitung für die Leser, die naturgemäß nur selten vom jeweiligen Fach sind. Das verlangt beim Schreiben einen Perspektivwechsel vom Fachmann zum Leser. Das gelingt nicht jedem Autor und es gibt natürlich auch Gebiete, wo das Bemühen um Allgemeinverständlichkeit an seine Grenzen stößt. Teile von Mathematik und Naturwissenschaften gehören sicher dazu. Diese Leserperspektive sollte dennoch nie aus den Augen verloren werden. Das gilt auf andere Weise auch für ausführliche Artikel. Es ist schön, dass es die gibt, nur vergessen die Autoren da gerne mal, dass eine Enzyklopädie kein Fachbuch oder eine Aufsatzsammlung ist, sondern typischerweise konsultiert wird, um eben mal etwas nachzuschlagen. Das muss in der Wikipedia gerade, weil sie keine Platzbeschränkung hat, bedacht und berücksichtigt werden. Es fehlt bei uns oft an konzisen Einleitungen, die allgemeinverständlich das wesentliche zusammenfassen. Nicht immer will man beim Nachschlagen eines Begriffs mehrere Seiten lesen und zum Verständnis womöglich noch diversen Links folgen müssen.
Diese Aspekte - pädagogischer Eros bei der Vermittlung schwieriger Themen und Orientierung am Leserbedürfnis beim Aufbau von Artikeln - könnten in der Wikipedia noch deutlich mehr in den Mittelpunkt rücken.
Gruß, Rainer
Am 7. Juli 2008 23:44 schrieb Rainer Zenz rainerzenz@web.de:
Das gilt auf andere Weise auch für ausführliche Artikel. Es ist schön, dass es die gibt, nur vergessen die Autoren da gerne mal, dass eine Enzyklopädie kein Fachbuch oder eine Aufsatzsammlung ist, sondern typischerweise konsultiert wird, um eben mal etwas nachzuschlagen. Das muss in der Wikipedia gerade, weil sie keine Platzbeschränkung hat, bedacht und berücksichtigt werden.
Ja, dem kann ich nur zustimmen. In der Hinsicht ist die fehlende Platzbeschränkung wirklich ein Fluch.
Es fehlt bei uns oft an konzisen Einleitungen, die allgemeinverständlich das wesentliche zusammenfassen. Nicht immer will man beim Nachschlagen eines Begriffs mehrere Seiten lesen und zum Verständnis womöglich noch diversen Links folgen müssen.
Auch hier hundert Prozent Zustimmung. Gerade Einleitungen sind häufig mangelhaft, zusammenfassende Abschnitte selten zu sehen oder Artikel, die in mehreren Anläufen "wellenförmig" an Komplexität zunehmen, sehr rar. Dagegen haben wir exzellente Biographien, die jedes Maß vermissen lassen.
Viele Grüße
Philipp