Hallo Gemeinde,
nachdem der Rechtsstreit des Vereins im "Tron"-Fall bisher wohl recht erfreulich verlaufen ist, möchte ich an dieser Stelle eine eigene aktuelle Erfahrung ergänzen; wer den Fall früher mal auf Wikipedia- Stammtischen oder bei ähnlichen Gelegenheiten verfolgt hat, kennt die Hintergründe; daher hier nur eine knappe Zusammenfassung und die richterlichen Feststellungen, die für Wikipedia relevant sein könnten; eine rechtliche Beurteilung spare ich mir lieber, dafür bin ich als Nichtjurist ohnehin nicht kompetent.
Teile aus der Entscheidungsbegründung des Gerichts könnten relevant sein für den Verein, meine eigenen Fehler und irrigen Annahmen sind dagegen eher als Warnung für Wikipedia-Autoren gemeint; aus meiner aktiven Admin-Zeit weiß ich nur zu genau, dass sehr, sehr viele Wikipedianer permanent ähnlich "fahrlässig" arbeiten, sei es aus Zeitmangel oder aus Zu-gering-Schätzung des gerade editierten Textes, weil man ja nur mal kurz eine "Kleinigkeit" ergänzen will (ein falsches Wort kostet mich jetzt über tausend Euro - "Kleinigkeiten" gibt es also nicht!). Konkret wird beispielsweise auch die Wertigkeit von rasch mit Google "geprüften" Fakten absolut überbewertet, und viel zu oft wird auf das Prinzip "jemand-anders-wird's-schon-ausbessern" vertraut. Ich bin noch immer von Grundprinzip der kollektiven Texterstellung überzeugt, habe mittlerweile massive Zweifel, wer das in der faktischen herrschenden Rechtsordnung verantworten (also seinen Kopf dafür hinhalten) soll...
Anlaß meines Rechtsstreits war die Aktualisierung in einem über mehrere Jahre gepflegten Erfahrungsbericht über einen Bremer Fotohändler auf meiner privaten Homepage, der eine Zeitlang auch Filialen in Berlin betrieben hatte. Die Berliner Filialen wurden vor einigen Jahren aus unbekanntem Anlaß aufgegeben und zumindest zeitweilig von einer anderen Fotohändlerkette übernommen. Um den Erfahrungsbericht zum Abschluß zu bringen, gab ich eine Aussage über den Grund der Filialschließung wieder, die mir im Nachfolgegeschäft mitgeteilt worden war; ich hatte die Aussage zuvor - wie ich irrtümlich annahm - mit Hilfe von Google verifiziert, jedoch natürlich keine seriöse Wirtschaftsrecherche betrieben; mir erschien es ausreichend, einen "Gewährsmann" zu haben und auch bei einer kurzen Web-Recherche auf keine anders lautende Information gestoßen zu sein. Gegenstand des Artikels war ja für mich ein langfristiger Erfahrungsbericht, der zu einem plausiblen Ende geführt werden sollte, keine Wirtschaftsberichterstattung oder wissenschaftliche Analyse über ein Unternehmen, mit dem ich voraussichtlich nie wieder zu tun haben würde.
Die Auskunft des Nachfolgeunternehmens erwies sich als falsch, die Kurzrecherche als unzureichend; das Bremer Unternehmen mahnte die streitgegenständliche Aussage im Februar 2005 mit einem Streitwert von einer Viertelmillion Euro <sic!> ab. Es schloß sich das mehr oder minder übliche Procedere an (modifizierte Unterlassungserklärung, Zahlungsaufforderung [mit plötzlich reduziertem Gegenstandswert von 50.000 Euro], Zurückweisen der Zahlungsaufforderung und schließlich Zahlungsklage vor dem AG Bremen). Obwohl meine Website ziemlich offensichtlich eine private Homepage und definitiv kein "Handelsblatt Online" ist, wählte das Bremer Unternehmen den Weg der Abmahnung ohne jegliche Vorwarnung oder Versuch der Kontaktaufnahme, zielte also von Anfang an auf die maximal mögliche Konfrontation ab.
Im Streitverfahren ging es um die Erstattungsfähigkeit von Anwaltskosten auf der Basis eines Gegenstandswertes von nunmehr 50.000 Euro; mit dem Gericht wurde ein recht umfangreicher Schriftwechsel geführt, auf dessen Basis das AG Bremen im September 2005 einen Vergleich vorschlug: Reduzierung des Streitwerts auf 3.000 Euro (statt 50.000 Euro), Gebühr 1,0 (statt 1,2), gegenseitige Aufhebung der Kosten des Rechtsstreits; das Bremer Unternehmen lehnte den Vergleich ab. Wir hatten zuvor anhand von Logfiles und Zugriffsstatistiken beispielsweise belegen können, dass die betreffende Aussage nur maximal drei Tage abrufbar gewesen war und dass es auf die betreffende Seite innerhalb dieses Zeitraums nur eine Handvoll Zugriffe gegeben hatte (genau genommen 2 am ersten Tag, 9 am zweiten und 35 Zugriffe am dritten Tag, an dem auch die Abmahnung verfasst wurde); für mich schien ziemlich klar, dass es sich um eine absolute Bagatelle handelte, die von der Gegenseite aus anderen Motiven aufgebauscht wurde.
Das Gericht setzte einen Verhandlungstermin an, der auf Betreiben der Gegenseite verschoben wurde, und aus uns unbekannten Gründen wechselte bei der Gelegenheit auch der Richter. In einer mündlichen Verhandlung im Januar 2006 stellte die Gegenseite einen eigenen Vergleichsvorschlag vor, der "hier und jetzt" geschlossen werden sollte, ohne einen schriftlichen Text vor Augen zu haben (Prinzip der Mündlichkeit!); die neue Richterin teilte die Auffassung ihres liberalen Vorgängers nicht und schloß sich für uns vollkommen überraschend der Auffassung des Bremer Unternehmers uneingeschränkt an.
Das Vergleichsangebot war aus verschiedenen Gründen unannehmbar und erschien - zumindest mir - offensichtlich absurd; u.a. sollte ich jegliche Nennungen des Bremer Unternehmens in einem bestimmten Kontext aus sämtlichen Suchmaschinen der Welt <sic!> entfernen und mich bei einer Vertragsstrafe von 10.000 Euro "unter Verzicht auf die Berufung auf den Fortsetzungszusammenhang" verpflichten, dass beispielsweise nie "Informationen/Daten" über das betreffende Unternehmen in die Wikipedia <sic!> gelangen würden; der Text des Vergleichsangebots enthält noch weitere ähnlich bizarre Verpflichtungen. Der Vergleichsvorschlag des Unternehmens hatte übrigens inhaltlich nichts mehr mit der streitgegenständlichen Aussage zu tun, sondern war als genereller "Maulkorb" für mich mit praktisch unbegrenzter zeitlicher und "räumlicher" Wirkung gedacht.
In der mündlichen Verhandlung, in der das überraschende Vergleichsangebot unterbreitet wurde, versucht ich dem Gericht zu erklären, dass es technisch nicht möglich sei, binnen zwei Wochen <sic!> gezielt Informationen aus sämtlichen (!) Suchmaschinen, Caches und Internet-Archiven der Welt entfernen lassen zu wollen und dass ich keine Haftung übernehmen könne für Inhalte, die Dritte in die Wikipedia einstellten. Das Gericht kommentierte dies nur mit: "Dann machen sie doch da nicht mit" und gab der Klage im Urteil vom 16.2.2006 vollumfänglich statt. In der besagten Verhandlung wurde ich auch darauf hingewiesen, dass es vollkommen belanglos sei, ob ich einen Beitrag selbst verfasst oder nur in einem Forum oder Wiki "zugelassen" hätte; auch hier wurde wohl wieder die unsägliche Argumentation der "Zueigenmachung durch Nichtverhindern" aufgegriffen.
Die Entscheidungsbegründung enthält einige - zumindest für mich - bemerkenswerte Aussagen; die ersten sind zwar unschön, aber nicht überraschend:
* [Vollmacht] Unerheblich ist, ob der Abmahnung einer Vollmacht beigefügt ist [hier existieren auch gegenläufige Einschätzungen anderer Gerichte, die eine Abmahnung bei fehlender Vollmacht für ungültig erklärt haben]. * [Sittenwidrigkeit] Die Abmahnung einer Privatperson [erkennbar aus Impressum der Website] mit einem Gegenstandswert von 500.000 Euro ist nicht sittenwidrig [kein Kommentar] * [Gerichtsstand] Der Gerichtsstand ist dort, wo das Internet abgerufen werden kann (nicht der Wohnsitz des Beklagten) [das ist ein bekanntes Problem des Internetrechts, das aber wohl den aktuellen Stand der Rechtsprechung widerspiegelt; ich verstehe das allerdings nicht; wenn ich auf Mallorca eine FAZ aus dem "Internationale-Press"-Kiosk kaufe, ist der Gerichtsstand ja auch nicht Mallorca, nur weil ich die Zeitung dort kaufen konnte].
Interessanter für die Wikipedia sind dann die weiteren Aussagen:
* [potentieller Schaden] Es ist ohne Belang ob ein Schaden entstanden ist; es reicht die Möglichkeit, dass ein Schaden hätte entstehen können <sic!>; daher ist auch unerheblich, ob die Aussage im Internet tatsächlich gelesen wurde; entscheidend ist vielmehr die Möglichkeit, dass sie hätte gelesen werden können <sic!> [kann ich nicht nachvollziehen; jeder PKW kann "potentiell Schaden" verursachen, trotzdem wird niemand angezeigt, nur weil er einen PKW fährt]. * [Kommerzielle/nichtkommerzielle Motivation] Unerheblich ist, ob eine Website "aus Liebhaberei" oder "aus wirtschaftlichen Interessen" betrieben wird [für mich ebenfalls nicht nachvollziehbar; demnach würde an ein gemeinnütziges Projekt von Freiwilligen dieselben Anforderungen in Bezug auf kostenintensive Recherchen gestellt werden, wie sie bei einem bezahlten Profi-Journalisten mit Reisebudget etc. üblich sind]. * [Kontext] Unerheblich ist auch der Kontext, in dem die Aussage veröffentlicht wird [für mich überhaupt nicht nachvollziehbar; wenn ich im Kochrezept einer Rezeptsammlung eine Zutat verwende, von der ein Allergiker Pickel oder schlimmeres bekommen kann, ist das doch etwas anderes, als wenn ich dasselbe Rezept auf einer Selbsthilfeseite für eben jene Allergiker anpreisen würde; demnach würde es auch keinen Unterschied geben, ob ein Artikel über Adolf H. in einer Enzyklopädie oder einer rechtsextremen Hetzseite veröffentlicht wird]. * [Sorgfaltspflichten] Auch "von einem hobbymäßigen Betreiber einer Internetseite" kann gefordert werden, eine Recherche nach journalistischem Anspruch zu betreiben; im konkreten Fall reichte die Auskunft eines Mitarbeiters aus einem Nachfolgeunternehmen beispielsweise nicht aus [gängige journalistische Mindestanforderung sind m.W. zwei unabhängige Quellen für problematische Tatsachenbehauptungen; da natürlich in dem Urteil nicht spezifiziert wird, welche Prüfungen für Website-Betreiber ausreichend wären, würe eine solche Rechtsauffassung das faktische K.O. für Blogs und Foren bedeuten, wo häufig über Gerüchte diskutiert wird; natürlich hat auch niemand von uns hat beispielsweise die Möglichkeit, zur Untermauerung der Faktenaussagen eines Artikels die Profirechercheure des Spiegel-Archivs anzusetzen, diese undifferenzierte Auffassung würde also auch ein gravierendes Problem für andere Formen des Bürgerjournalismus darstellen].
Ich habe als Nichtjurist keine ausreichend fundierte Vorstellung, ob solche Aussagen repräsentativ sind für deutsche Gerichte, oder ob ich einfach nur Pech mit der (zweiten) Richterin hatte; ich kann auch nicht beurteilen, ob der Betreiber einer Website tatsächlich - wie hier behauptet - uneingeschränkt haftbar ist für beliebige Inhalte, die über seine Website abrufbar sind; beispielsweise dachte ich bisher, dass der Betreiber für Inhalte von Foren erst nach Kenntnisnahme haftet, aber das mag nicht mehr Stand der Rechtsprechung sein. Angesichts der Urteilsbegründung habe ich aber mittlerweile massive Zweifel, ob man bei solchen Rahmenbedingungen noch eine umfangreiche und relativ offene Website betreiben kann, ohne sich existentiell zu gefährden.
In der Wikipedia war ich immer ein erklärter Gegner von Zugriffsbeschränkungen und Restriktionen; ich halte es noch immer prinzipiell für sinnvoll und wichtig, anonyme Edits zuzulassen, glaube aber nach diesem Urteil, dass man wohl von niemandem erwarten kann, den Preis für diese Freiheiten zu zahlen. Angesichts einer solchen "Rechtsprechung" kann ich absolut nachvollziehen, wenn sich niemand die anscheinend vollkommen unkalkulierbaren Risiken aus der Betreiberhaftung ans Bein binden will. Ich muß daher meine Position grundsätzlich revidieren und mich zumindest der Fraktion der Halbsperrungs-Befürworter anschließen.
Bemerkenswert für mich persönlich und auch vollkommen überraschend war, dass das Gericht meine "wirtschaftliche Situation" vollkommen ignoriert; der volle Betrag "nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.04.2005" ist sofort und vollständig zu bezahlen - oder wird per Zwangsvollstreckung (!) eingetrieben. Um welche Summe es effektiv geht, weiß ich bisher nicht - im Urteil finden sich keine Angaben in "Cash" - der Betrag liegt aber irgendwo im unteren vierstelligen Bereich; ich hatte die Verteidigung mit PkH führen müssen (was auch geprüft und genehmigt worden ist) und daher damit gerechnet, dass ich im schlimmsten Fall den Betrag in einigen Monatsraten aufbringen müßte. Was ein Rechtsstreit mit vergleichbarem Verlauf für Jimbo und die Foundation bedeuten könnte, möchte ich lieber nicht wissen. Wenn das "Recht" sein soll, müßte man möglicherweise bereits bei einer durchschnittlichen Schadensersatzklage damit rechnen, dass der Serverpark einfach weggepfändet wird - zumindest wenn es nicht schnell genug gelingt, genug Spenden aufzubringen ("Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar" - das heißt der Kläger kann den vollen Betrag sofort, also auch dann, wenn das Urteil noch nicht (!) rechtskräftig ist, vollstrecken lassen, wenn er die Sicherheitsleistung bezahlt).
Wie dem auch sei, für mich ist diese Erfahrung jedenfalls mehr als ernüchternd, was deutsches Recht und deutsche Richter angeht. Ich möchte daher mal meine Hochachtung für Kurt, Arne und den Rest des Vorstandes von Wikimedia Deutschland aussprechen, die letztlich dann doch ihren Kopf für den Rest der Community in diesem Land hinhalten müssen!
MfG -asb
"Agon S. Buchholz" schrieb:
Obwohl meine Website ziemlich offensichtlich eine private Homepage und definitiv kein "Handelsblatt Online" ist, wählte das Bremer Unternehmen den Weg der Abmahnung ohne jegliche Vorwarnung oder Versuch der Kontaktaufnahme, zielte also von Anfang an auf die maximal mögliche Konfrontation ab.
(Nicht nur) das ist eine sehr einseitige Darstellung der Sachlage, die sich durch Deinen ganzen Bericht zieht. Es läßt sich nicht erkennen, was genau der Grund für die Abmahnung war; man kann nur vermuten, daß Du eine - falsche oder jedenfalls nicht beweisbare - negative Aussage über das Unternehmen getroffen hast.
Wenn jemand etwas negatives über Dich behauptet, ist es durchaus angemessen und hat nichts mit "maximal möglicher Konfrontation" zu tun, diesen jenigen aufzufordern, das zu unterlassen; und wenn man sich nicht damit auskennt oder einfach etwas besseres zu tun hat, dann beauftragt man damit eben jemand. Es mag nett sein, das vorher nochmal auf der persönlichen Schiene zu versuchen; andererseits kann man spätestens seit Anbruch des Internet-Zeitalters zumindest ab einer gewissen Bedeutung der Firma damit mühelos seinen Arbeitstag verbringen. ;) Vor allem ist das nahezu immer bestenfalls erfolglos, schlimmstenfalls hoch ärgerlich, weil man regelmäßig auf eine Mischung aus Ignoranz, Sendungsbewußtsein und Frechheit trifft. Man läßt sich doch nicht den Mund verbieten! Was will der Typ eigentlich? Und wenn er es Ernst meinen würde oder sich seiner Sache sicher wäre, dann hätte er schließlich einen Anwalt beauftragt!
(Ich habe in zwei Fällen selbst dreiste Kopien einer Publikation gefunden, die zu allem Überfluß "frei" -im weiteren Sinne- verfügbar war; einzige Einschränkung war "Namensnennung" und "nicht kommerziell". Allerdings hat man den Namen lieber gegen den eigenen ausgetauscht. Unrechtsbewußtsein? Null. - In einer Vielzahl von Fällen durfte ich die Reaktion bei Beschwerden über das "Ausborgen" von Bildern verfolgen. Ähnlich.)
Das Gericht setzte einen Verhandlungstermin an, der auf Betreiben der Gegenseite verschoben wurde, und aus uns unbekannten Gründen wechselte bei der Gelegenheit auch der Richter.
Versetzung, Ruhestand, Abordnung, es war ein Richter auf Probe, der idR im Jahresrhythmus versezt wird ... Das ist Alltag.
Das Vergleichsangebot war aus verschiedenen Gründen unannehmbar und erschien - zumindest mir - offensichtlich absurd; u.a. sollte ich jegliche Nennungen des Bremer Unternehmens in einem bestimmten Kontext aus sämtlichen Suchmaschinen der Welt <sic!> entfernen und mich bei einer Vertragsstrafe von 10.000 Euro "unter Verzicht auf die Berufung auf den Fortsetzungszusammenhang" verpflichten, dass beispielsweise nie "Informationen/Daten" über das betreffende Unternehmen in die Wikipedia <sic!> gelangen würden; der Text des Vergleichsangebots enthält noch weitere ähnlich bizarre Verpflichtungen.
Erkennbar unsinnig und von jemandem verfaßt, dem "das Internet" fremd ist, ack.
- [Sittenwidrigkeit] Die Abmahnung einer Privatperson [erkennbar aus
Impressum der Website] mit einem Gegenstandswert von 500.000 Euro ist nicht sittenwidrig [kein Kommentar]
Du scheinst Dir eine völlig falsche Vorstellung über die Bestimmung des Gegenstandswertes zu machen (weil Du so betonst, daß es um eine Privatperson geht). Der Gegenstandswert hat mit dem Interesse des Klägers an der Unterlassung zu tun, nicht aber mit den finanziellen Möglichkeiten des Beklagten. Und für das Interesse an der Unterlassung ist vollkommen gleichgültig, ob es sich um eine Privatperson oder einen Weltkonzern handelt; relevant dürfte vielmehr der "Impact" sein (AOL-Homepage, die außer Schwester, Bruder und Hund niemand liest, oder privates Blog mit zigtausend Hits pro Tag? - Verbreitung nur am schwarzen Brett des örtlichen Supermarkts, in der örtlichen Tageszeitung, deutschlandweit oder gar weltweit im Internet?), aber auch der Inhalt und dessen geschäftsschädigendes Potential usw. usf.
Die obige Aussage ist insofern völlig richtig. (Damit ist nicht gesagt, daß der Gegenstandswert in Deinem Fall korrekt bestimmt wurde.)
- [Gerichtsstand] Der Gerichtsstand ist dort, wo das Internet abgerufen
werden kann (nicht der Wohnsitz des Beklagten) [das ist ein bekanntes Problem des Internetrechts, das aber wohl den aktuellen Stand der Rechtsprechung widerspiegelt; ich verstehe das allerdings nicht; wenn ich auf Mallorca eine FAZ aus dem "Internationale-Press"-Kiosk kaufe, ist der Gerichtsstand ja auch nicht Mallorca, nur weil ich die Zeitung dort kaufen konnte].
Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung ist dort, wo sie begangen wird; und das ist bei einer bundesweit abrufbaren Publikation - natürlich - bundesweit. Ich verstehe nicht, was man daran nicht verstehen kann. ;)
- [potentieller Schaden] Es ist ohne Belang ob ein Schaden entstanden
ist; es reicht die Möglichkeit, dass ein Schaden hätte entstehen können <sic!>; daher ist auch unerheblich, ob die Aussage im Internet tatsächlich gelesen wurde; entscheidend ist vielmehr die Möglichkeit, dass sie hätte gelesen werden können <sic!> [kann ich nicht nachvollziehen; jeder PKW kann "potentiell Schaden" verursachen, trotzdem wird niemand angezeigt, nur weil er einen PKW fährt].
Das mag tatsächlich etwas schwer verständlich sein; andererseits kann es kaum den Schädiger entschuldigen, wenn sein Schädigungsversuch daneben gegangen ist ... (und es würde dem Geschädigten die Beweislast dafür aufbürden, daß die Aussage tatsächlich faßbaren Schaden verursacht hat; das halte ich im Falle einer Unterlassungsaufforderung für überzogen).
- [Kommerzielle/nichtkommerzielle Motivation] Unerheblich ist, ob eine
Website "aus Liebhaberei" oder "aus wirtschaftlichen Interessen" betrieben wird [für mich ebenfalls nicht nachvollziehbar; demnach würde an ein gemeinnütziges Projekt von Freiwilligen dieselben Anforderungen in Bezug auf kostenintensive Recherchen gestellt werden, wie sie bei einem bezahlten Profi-Journalisten mit Reisebudget etc. üblich sind].
Natürlich. Es ist dem Geschädigten doch zu Recht völlig gleichgültig, ob ihn jemand aus Liebhaberei oder aus finanziellen Interessen schlechtmacht und verleumdet. Entscheidend ist, *daß* das geschieht. Wenn jemand freiwillig und gemeinnützig anderen Schaden zufügt, rechtfertigt ihn das nicht. Es wird Dir vermutlich auch gleichgültig sein, ob der Arzt, der Dich im Katastrophenfall verstümmelt, dort als hauptamtlich beschäftigter Notarzt tätig war oder ehrenamtlich im Rahmen des Katastrophenschutzes - entscheidend wird Dir sein, daß Du beide Beine verloren hast, weil er einen Fehler machte.
Niemand ist gezwungen, gemeinnützig und freiwillig etwas Schlechtes über andere zu behaupten. Wenn er das aber tut, dann ist es seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit, sich vorher zu vergewissern (!), daß das auch die Wahrheit ist. Wenn er das nicht will oder nicht kann, dann darf er eben nicht - weltweit! - jemand schlechtreden. Zur Meinungsfreiheit gehört die Verantwortung untrennbar dazu.
- [Kontext] Unerheblich ist auch der Kontext, in dem die Aussage
veröffentlicht wird [für mich überhaupt nicht nachvollziehbar;
Stimmt. So, wie Du das schreibst, ist mir das auch nicht nachvollziehbar.
- [Sorgfaltspflichten] Auch "von einem hobbymäßigen Betreiber einer
Internetseite" kann gefordert werden, eine Recherche nach journalistischem Anspruch zu betreiben; im konkreten Fall reichte die Auskunft eines Mitarbeiters aus einem Nachfolgeunternehmen beispielsweise nicht aus
Diese Ansicht teile ich.
[gängige journalistische Mindestanforderung sind m.W. zwei unabhängige Quellen für problematische Tatsachenbehauptungen; da natürlich in dem Urteil nicht spezifiziert wird, welche Prüfungen für Website-Betreiber ausreichend wären, würe eine solche Rechtsauffassung das faktische K.O. für Blogs und Foren bedeuten, wo häufig über Gerüchte diskutiert wird;
Das Verbreiten von Gerüchten ist eine Schweinerei - denn Rufmord ist so einfach, und "irgendetwas bleibt immer hängen". Daher tut man so etwas einfach nicht; und schon hat man kein Problem mehr, weder moralisch, noch rechtlich.
diese undifferenzierte Auffassung würde also auch ein gravierendes Problem für andere Formen des Bürgerjournalismus darstellen].
Wenn "Bürgerjournalismus" bedeutet, ohne ausreichende Prüfung negative Äußerungen über andere weltweit zu verbreiten, dann kann man nur hoffen, daß die Probleme dafür möglichst bald und möglichst gravierend auftreten.
Wer sich in eine Position der Meinungsbildung begibt, hat eine Verantwortung, die er wahrnehmen muß.
Ich habe als Nichtjurist keine ausreichend fundierte Vorstellung, ob solche Aussagen repräsentativ sind für deutsche Gerichte, oder ob ich einfach nur Pech mit der (zweiten) Richterin hatte;
Das kann ich Dir ohne genaue Kenntnis der Einzelheiten auch nicht sagen. :)
ich kann auch nicht beurteilen, ob der Betreiber einer Website tatsächlich - wie hier behauptet - uneingeschränkt haftbar ist für beliebige Inhalte, die über seine Website abrufbar sind; beispielsweise dachte ich bisher, dass der Betreiber für Inhalte von Foren erst nach Kenntnisnahme haftet, aber das mag nicht mehr Stand der Rechtsprechung sein.
Doch, das ist korrekt.
Angesichts der Urteilsbegründung habe ich aber mittlerweile massive Zweifel, ob man bei solchen Rahmenbedingungen noch eine umfangreiche und relativ offene Website betreiben kann, ohne sich existentiell zu gefährden.
| Zum weisen Sokrates kam einer gelaufen und sagte: "Höre Sokrates, das | muß ich Dir erzählen!" - "Halte ein!", unterbrach ihn der Weise, "hast | Du das, was Du mir sagen willst, durch die drei Siebe gesiebt?" - | "Drei Siebe?", frage der andere voller Verwunderung. | | "Ja, guter Freund! Laß sehen, ob das, was Du mir sagen willst, durch | die drei Siebe hindurchgeht: Das erste ist die Wahrheit. Hast Du | alles, was Du mir erzählen willst, geprüft, ob es wahr ist?" - " Nein, | ich hörte es erzählen und ..." | | "Soso. Aber sicher hast Du es im zweiten Sieb geprüft. Es ist das Sieb | der Güte. Ist das, was Du mir erzählen willst, gut?" Zögernd sagte der | andere: "Nein, im Gegenteil..." | | "Hm...", unterbracht ihn der Weise, "so laß uns auch das dritte Sieb | noch anwenden. Ist es notwendig, daß Du mir das erzählst?" "Notwendig | nun gerade nicht..." "Also", sagte lächelnd der Weise, "wenn es weder | wahr noch gut noch notwendig ist, so laß es begraben sein und belaste | Dich und mich nicht damit. "
Schreibe nur dann etwas Schlechtes über andere, wenn Du Dir *sicher* sein kannst, daß es wahr ist. Das sollte Dir ohnehin Richtschnur sein; und es schützt Dich auch in rechtlicher Hinsicht.
In der Wikipedia war ich immer ein erklärter Gegner von Zugriffsbeschränkungen und Restriktionen; ich halte es noch immer prinzipiell für sinnvoll und wichtig, anonyme Edits zuzulassen, glaube aber nach diesem Urteil, dass man wohl von niemandem erwarten kann, den Preis für diese Freiheiten zu zahlen.
Ja, den Preis der Freiheit zahlt niemand gern.
Wieviel einfacher ist es doch, wenn man schreiben kann, was man will, und über die Folgen für andere mit einem Schulterzucken hinweg gehen kann ...
Bemerkenswert für mich persönlich und auch vollkommen überraschend war, dass das Gericht meine "wirtschaftliche Situation" vollkommen ignoriert;
Nicht das Gericht - das Gesetz. Völlig zu Recht im übrigen.
Du hast etwas Schlechtes über jemand anderen geschrieben. Dieser hatte einen Schaden. Jetzt mußte er einen Anwalt beauftragen. Und mußte ihn bezahlen. Dann mußte er einen Prozeß führen, dazu die Prozeßkosten vorlegen - all das, ohne etwas falsches getan zu haben! -, während Du auf Kosten der Allgemeinheit Deinen Rechtsstreit führst, obwohl Du derjenige warst, der etwas falsches getan hat.
Und jetzt soll man nach alledem noch Rücksicht auf Deine wirtschaftliche Situation nehmen?
(Schulden sind grundsätzlich immer sofort fällig. Nicht nur in diesem Fall, in jedem. Dein Prozeßgegner ist natürlich nicht gehindert, mit Dir eine Ratenzahlungsvereinbarung zu treffen - aber er muß es nicht.)
der volle Betrag "nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.04.2005" ist sofort und vollständig zu bezahlen - oder wird per Zwangsvollstreckung (!) eingetrieben.
Sicher. Was dachtest Du?
ich hatte die Verteidigung mit PkH führen müssen (was auch geprüft und genehmigt worden ist) und daher damit gerechnet, dass ich im schlimmsten Fall den Betrag in einigen Monatsraten aufbringen müßte.
Das ist - bestenfalls - arg blauäugig.
Wenn das "Recht" sein soll, müßte man möglicherweise bereits bei einer durchschnittlichen Schadensersatzklage damit rechnen, dass der Serverpark einfach weggepfändet wird - zumindest wenn es nicht schnell genug gelingt, genug Spenden aufzubringen ("Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar" - das heißt der Kläger kann den vollen Betrag sofort, also auch dann, wenn das Urteil noch nicht (!) rechtskräftig ist, vollstrecken lassen, wenn er die Sicherheitsleistung bezahlt).
Richtig. Macht aber nichts, denn im Falle, daß das Urteil revidiert wird, muß er Schadensersatz leisten (weshalb idR eben nicht sofort vollstreckt wird), und dafür steht die hinterlegte Sicherheit bereit, die aus eben diesem Grund mehr als 100 % beträgt.
Wie dem auch sei, für mich ist diese Erfahrung jedenfalls mehr als ernüchternd, was deutsches Recht und deutsche Richter angeht.
Grundlos - bzw. nur aufgrund einer sehr, sehr einseitigen Sicht der Angelegenheit.
Ich möchte daher mal meine Hochachtung für Kurt, Arne und den Rest des Vorstandes von Wikimedia Deutschland aussprechen, die letztlich dann doch ihren Kopf für den Rest der Community in diesem Land hinhalten müssen!
Wieso? Ich sehe bisher nicht, daß (a) Wikimedia Deutschland die inhaltliche Verantwortung für das Angebot der Wikimedia Foundation trägt und (b) der Vorstand für die Verbindlichkeiten des Vereins persönlich haften würde.
-thh
PS: Es tut mir leid, daß Du das Pech hattest, in dieser Weise in die Schußlinie zu geraten, und daß Deine Webseite solche gravierenden Konsequenzen hatte. Ich kann auch verstehen, daß Dich das verärgert, enttäuscht, ja vielleicht sogar entsetzt. Dennoch kann ich Deine Darstellung so nicht stehenlassen - weil sie symptomatisch für eine sehr einseitige Sichtweise steht, die mir schon zu oft begegnet ist. Ich will auch nicht sagen, daß die Entscheidung richtig ist (nach dem, was ich gelesen habe, ist sie es allerdings vermutlich); aber die meisten Deiner Einwürfe sind schlicht sachlich falsch.
Am 22:03 22.02.2006 schrieb thh:
.....
entfernen und mich bei einer Vertragsstrafe von 10.000 Euro "unter Verzicht auf die Berufung auf den Fortsetzungszusammenhang" verpflichten, dass beispielsweise nie "Informationen/Daten" über das betreffende Unternehmen in die Wikipedia <sic!> gelangen würden; der Text des Vergleichsangebots enthält noch weitere ähnlich bizarre Verpflichtungen.
Erkennbar unsinnig und von jemandem verfaßt, dem "das Internet" fremd ist, ack.
Absolut sicher? Wenn nicht, dann hätte das u.U. schon erhebliche Konsequenzen, wenn diese Forderung im Urteil so bestehen bleibt. Oder?
Moins KS
"Agon S. Buchholz" asb@kefk.net schrieb am Tue, 21 Feb 2006 22:08:23 +0100:
Anlaß meines Rechtsstreits war die Aktualisierung in einem über mehrere Jahre gepflegten Erfahrungsbericht über einen Bremer Fotohändler auf meiner privaten Homepage, der eine Zeitlang auch Filialen in Berlin betrieben hatte. Die Berliner Filialen wurden vor einigen Jahren aus unbekanntem Anlaß aufgegeben und zumindest zeitweilig von einer anderen Fotohändlerkette übernommen. Um den Erfahrungsbericht zum Abschluß zu bringen, gab ich eine Aussage über den Grund der Filialschließung wieder, die mir im Nachfolgegeschäft mitgeteilt worden war;
Du hast leider nicht geschrieben, was Du eigentlich genau behauptet hast. Ich vermute, dass Du etwas wie "Fotogeschäft X hat seine Filiale wegen Grund Y geschlossen." geschrieben hast (und das nicht stimmte). Richtig? Hättest Du "laut Aussage von Z hat X seine Filiale wegen Y geschlossen" geschrieben, wäre das wahr gewesen, nicht?
http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Quellenangaben
Nenne Deine Quellen. Bringe Einzelbelege bei. Behaupte nichts, von dem Du nicht weißt, dass es wahr ist. _Das_ sind IMO die Dinge, die man aus diesem Rechtsstreit - mal wieder - lernen kann. Aber nicht das, worüber Du geschrieben hast.
Martin.
Nenne Deine Quellen. Bringe Einzelbelege bei. Behaupte nichts, von dem Du nicht weißt, dass es wahr ist.
Aber aber nicht alle Anwälte abhält. /me erinnert sich an den Anwalt, der vor ca. 3 Monaten ankam und verlangte, dass eine nahezu wörtliche Mitschrift eines ARD/BayrischerRundfunk-"Monitor"-Beitrags entfernt würde.
Nein, es war nicht der Anwalt des Bayrischen Rundfunks, der einen Urheberrechtsverstoss gelten machen wollte. Es war der Anwalt einer Person, die im Beitrag Interviewt wurde und auch unter Namensnennung vorher angekündigt (und deren Position als Geschäftsführer einer Gesellschaft mit abgefilmten Registerauszügen belegt wurde).
Es ging dabei auch nicht um die Frage, ob die in der Reportage geschilderten Umstände wahrheitswidrig wären, oder darum, ob die Transkribierung des Beitrags fehlerhaft wäre. Der Text als solcher wurde also nicht in Frage gestellt.
Vielmehr sah der Anwalt die Persönlichkeitsrechte seiner Mandantin verletzt, da dieser Beitrag über Google unter dem Namen seiner Mandantin auffindbar gemacht würde. (Dabei war es nicht von Belang, dass das Video des Beitrags nach wie vor über die Webseiten von "Monitor" abrufbar, inkl. Interview, Video, Namenseinblendung seiner Mandantin und Dokumentenabfilmung)
Dass der Anwalt keinen Nachweis seiner Mandantierung beibringen wollte haben wir außer acht gelassen mit Rücksicht auf die Tatsache, dass er noch keine gebührenbewehrte Abmahnung, sondern "letzte Aufforderungen" verschickt und diese auf Nachfrage auch bekräftigt hat.
-jha-