Kurt Jansson schrieb:
Du verstehst das falsch rum: Der Benutzer einer Enzyklopädie *ERWARTET* vom "Lieferanten" (uns) Informationen darüber, was wichtig ist und was nicht.
Was spricht dagegen, in [[Harry Potter IV]] darauf hinzuweisen, dass der berühmte Literaturkritiker U. F. das Werk für unbedeutend, langweilig und schlecht geschrieben hält, es in wissenschaftlichen Publikationen keine besondere Aufmerksamkeit erfahren hat, etc. Natürlich ergänzt um die Zahl der verkauften Exemplare. Der mündige Leser wird kein Problem haben, sich selbst ein Urteil zu bilden.
Ich denke, Ulrich meinte, daß eine klassische Enzyklopädie im Stile von Brockhaus oder Encarta nicht nur Wissen im o.g. Stil sammelt (wie wir es zur Zeit machen), sondern selektiert und dadurch gewichtet (andere Gewichtungsmerkmale sind beispielsweise der Umfang und die Ergänzung mit Bildern oder Illustrationen, beides passiert in dieser Form bei der Wikipedia nicht, es esistiert halt, was jemand schreibt oder an Medien "spendet" und niemanden sonst allzu sehr stört - das ist jetzt explizit *nicht* wertend gemeint).
Will sagen: Der Wert klassicher Enzyklopädien und Lexika liegt nicht nur im Wissensangebot, sondern auch in der Entlastungsfunktion für den Leser, wie das auch in Zeitungsredaktionen passiert, die eine Vorauswahl für den dadurch zumindest teilentmündigten Leser treffen. Deshalb lesen Leute aber Zeitungen und nicht den dpa-Ticker, weil sie eben diese Entlastungsfunktion schätzen. Das ist auch der spezielle Wert von Pressepiegeln im Stile von Pickings.de. Ein ganz anderes Thema ist, ob man mit dem Bias der Massenmedien zufrieden ist (vgl. dazu auch Chomskys erhellendes "Manufacturing Consent"); ich bin es jedenfalls nicht, und dafür schätze ich das Internet und dessen alternative Informationszugänge - wie die Wikipedia. Deshalb fällt es mir auch schwer, die Übertragung etablierter Wissens-Schaffungs-Strukturen auf die Wikipedia gutzuheissen oder zu verdammen.
Die Wikipedia ist ja gerade unter diesem Aspekt ein extrem spannendes Experiment: Was kommt dabei heraus, wenn man die "Community", und nicht irgendwelche Gatekeeper selektieren und gewichten läßt (Eriks Hinweis auf den "Bottom up"-Charakter der Wikipedia)?
Beispiel: Mein Artikel zu Samoyeden (Hunderasse) ist umfangreicher und tiefer als der Artikel in der Encarta; damit kommt dieser in D'land eher seltenen Hunderasse eine vielleicht unangemessene Gewichtung zu, wenn man beispielsweise vergleicht mit dem weitaus verbreiteteren Schäferhund (z.Zt. kein Artikel oder Redirect) oder Dobermann (Artikel mit Abbildung existiert, ist aber eher ein Stub). Ein externer Nutzer, der sich über die Bedeutung dieser Hunderassen informieren will, erhält hier ein schiefes (biased) Bild, in der Gesamtheit bzw. im Kontext ist das Wissen der Wikipedia damit strenggenommen nicht NPOV. Was ist dann hier ein "mündiger" Leser - jemand, der schon eine bestimmte Grundbildung mitbringt, oder einer, der sich in jedem Falle auch noch aus anderen Quellen informiert?
Der Artikel zu Samoyeden existiert halt, ganz "Bottom up"-gemäß, weil sich einer gefunden hat, der den Artikel schreibt; das gilt für hunderte anderer Artikel ganz entsprechend. Nun muss die Wikipedia irgendwann entscheiden, ob sie diese Verzerrung akzeptiert (oder sogar wünscht), oder ob wir Mechanismen entwickeln müssen, um die Gesamtheit abzurunden (z.B. eine Bewertung der Artikel durch Editoren und Benutzer à la Kuro5hin etc., was aber bei dem beweglichen Wiki-Inhalten (im Gegensatz zu statischen Artikeln in einem News-Portal) technisch *sehr* schwer zu realisieren sein wird).
Ich habe schon im Kontext mit der Pressemitteilung zu 40k darauf hingewiesen: Wir können uns schon jetzt über das "Big Picture" (wie wirkt nicht der einzelne Artikel auf "Externe", sondern eine Gruppe von Artikeln in ihrer Gewichtung, oder die Themenselektion) Gedanken machen, ich halte aber den Zeitpunkt für eine solche "Qulitätsinitiative II" für noch nicht gekommen. Momentan müssen wir vor allem Quantität generieren (womit aber definitiv *nicht* triviale Stubs gemeint sind) und in der Breite wachsen, und erst später (Größenordnung: 80k bis 100k) in der Tiefe. Dann, in ein bis zwei Jahren) ist IMHO die Zeit gekommen, sich über Qualität und Gewichtung bzw. informationelle Entlastungsmechanismen für den Leser der Wikipedia Gedanken zu machen.
Gruß, -Agon