Ulrich Fuchs wrote:
Eine Enzyklopädie des 21. Jahrhunderts, die es nicht fertig bringt, wenigstens das Wissen des 20. Jahrhunderts halbwegs vernünftig und zuverlässig aufzubereiten, kannst Du aber in der Pfeife rauchen.
Wieso? Seit wann wird beispielsweise die Blocklaus als Enzyklopädie danach beurteilt, ob es "wenigstens" das Wissen des "Zedler" vernünftig aufbereitet hat? Wäre das jemals ein Kriterium gewesen, hätte niemand jemals die Blocklaus als Enzyklopädie bezeichnen können -- zwischen Zedler und Blocklaus ist einfach zu viel auf der Strecke geblieben. Manaches hat mit dem vergleichsweise reduzierten Umfang von B. zu tun, anderes mit abweichenden Priorisierungen - aber konstituierendes Merkmal war es für keine mir bekannte allgemeine Enzyklopädie, das Wissen irgendeiner vergangenen Epoche aufzubereiten.
Und so lange die Wikipedia im Sinne des kulturuell dauerhaft relevanten Wissens noch nicht mal krabbelt, ist alles Gerede von der "Enzyklopädie des 21. Jahrhunderts" eben genau das: Nur Gerede.
Was ich schon damals von Dir und anderen Vertretern von so genannten "enzyklopädischen Relevanzkriterien" beantwortet bekommen wollte: Nach welchem Kriterium, also von welchem erhöhten (höheren, übergeordneten, überlegenen) Standpunkt, kannst Du beispielsweise festlegen, was "kulturuell dauerhaft relevantes Wissen" sein könnte? Das, was in anderen so genannten Enzyklopädien steht und nichts anderes? Ich bestreite nicht, dass es sinnvoll wäre, solche Kriterien oder Standpunkte zu haben, man bewegt sich dann aber zwangsläufig auf totalitären (absoluten, exkludierenden) Pfaden, und das verursacht mir Unbehagen. Aus der Weltsicht einer bestimmten Religion oder Ideologie mag es möglich sein, "kulturuell dauerhaft relevantes Wissen" zu determinieren, nicht jedoch aus einer allgemeingültigen Sichtweise heraus, die womöglich auch noch interkulturell tragfähig sein soll (und auch diesen Anspruch erhebt Wikipedia ja als internationales Projekt, dessen einzelne Sprachversionen eben nur als Sprachvarietäten eines Gesamtprojekts verstanden werden sollen).
Was Du m.E. einfach nicht sehen willst ist, dass enzyklopädisches relevantes Wissen möglicherweise genau das sein könnte, was Benutzer in der Wikipedia hinterlassen, zu hinterlassen versuchen oder eben nachschlagen. Wissen ist per Definition biografisch gebunden und kann daher nicht als absolut gültige Entität erscheinen. Platt gesagt, eine ernst gemeinte Enzyklopädie wird nicht den Anspruch erheben können, wie die zehn Gebote von einem Gott als absolutes Wissen gnadenvoll erteilt worden zu sein, sondern muß etwas mit den Wissensbedürfnissen der Benutzer zu tun haben. Wenn Wikipedia-Benutzer beispielsweise nur nach [[Sex]] nachschlagen würden (was nicht der Fall ist), wäre das m.E. ein Informationsbedürfnis, das man sehr ernst nehmen und nicht als Schmuddelkram aus der Welt reden wollen sollte.
In diesem Punkt, nämlich dass enzyklopädisch relevant nur das sein kann, was Leute auch wissen wollen, irrt sich m.E. auch Blocklaus ganz fatal; m.W. wird dort viel zu wenig Benutzerforschung betrieben, wan weiß nicht wirklich, was die Benutzer wissen wollen, und ich habe den Verdacht, dass man es eigentlich auch gar nicht wissen will -- Blocklaus will schließlich seine Weltsicht verbreiten, auch das ist seit Jahrhunderten Programmatik von Enzyklopdie, und dieses Prinzip wird erstmals in der Geschichte von Wikipedia ansatzweise auf den Kopf gestellt.
Nach welchen (m.E. sehr unlauteren und ziemlich unwissenschaftlichen) Kriterien die Konstruktion der Weltsicht à la Blocklaus geschieht, hat uns doch kürzlich erst Mathias wieder demonstriert am Beispiel der in Blocklaus-Publikationen munter mutierenden Beiträge zu "Wikipedia" und "Enzyklopädie". Was manch einer für "enzyklopädisch relevant" halten mag, ist ein Wissensverständnis, das von Akteurern wie dem BIFAB unter Ausschluß der Wissensnachfrager ankonditioniert wurde und somit nicht allzu weit vom Pawlowschen Reflex entfernt ist - weil es leider allzu unreflektiert ist.
MfG -asb