Gestern nachmittag fand in Hamburg eine Veranstaltung des Vereins "Wissenschaftspressekonferenz" statt. Eingeladen waren Alexander Bob, Vorstandssprecher beim Verlag Bibliographisches Institut und F.A. Brockhaus und Jimmy Wales, Gründer der Wikipedia.
Das Treffen unter dem Motto "Schneller versus besser? Wikipedia und Brockhaus - Lexika im Vergleich" war eine Idee des WPK-Mitgliedes Markus Franken, der als Journalist bereits einige Artikel zu dem Thema Lexika geschriebe hatte.
Im Januar 2005 erschien im Rheinischen Merkur von Franken ein Artikel "Freies Wissen für alle" [RM1], in dem beispielsweise der Geschäftsführer von Brockhaus Duden Neue Medien, Bernd Kreissig zitiert wurde. Da Kreissig keine Chance hatte, die Zitate noch einmal zu autorisieren, stellte er dann auf der Mailingliste der Wikipedia einige Sätze richtig. [KR1] und [KR2]:
"Es handelt sich bei dem Artikel um die Form von Journalismus, die ich im seit mehreren Monaten bestehen Dialog mit Wikimedia-Vertretern als "Lexikon-Paparazzitum" bezeichnet habe."
Ebenfalls von Franken ist der Artikel "Ich bin die Königin von England" auf Spiegel Online [FR1].
Die Ankündigung des Treffens war in einigen Punkten irreführend und entspricht den Verständnishürden, in die Franken auch gestern im Gespräch rannte [WPK1]:
"In der DVD-Version stehen mit Brockhaus und Wikipedia zwei Lexika ähnlichen Inhalts in den Regalen der Büchereien. Der augenfälligste Unterschied: Während die Brockhaus Premium Edition 2005 89 Euro kostet, bekommt man die Wikipedia-DVD schon für knapp 10 Euro.
Brockhaus bietet derzeit drei elektronische Produktlinien an.
1. Den Brockhaus in Text und Bild $Jahreszahl 2. Den Brockhaus multimedial [premium] 3. Brockhaus. Die Enzyklopädie digital.
Franken meinte im Text vermutlich die 2. Option. Das mit der Preisbezifferung bei Wikipedia ist so eine Sache, im Normalfall sollte sie mit dem Preis eines DVD-Rohlings beziffert werden, wenn man schon die DVD der digitalen Bibliothek von directmedia mit den Wikipedia-Inhalten meint. 50 cent im Jewel-case, sagt Alternate [AL1].
In Frankens Text geht es im gleichen Geiste weiter. Warum er Brockhaus auf den Brockhaus multimedial reduziert, ist mir unbekannt.
Bei dem Treffen gestern waren knapp 20 Journalisten (davon 4 oder 5 Radiojournalisten) und einige Wikipedianer anwesend und der directmedia-Geschäftsführer Ralf Szymanski. Neben Alexander Bob gesellte sich noch Klaus Holoch, Pressesprecher von BIFAB.
Nach der Begrüßung der Anwesenden versuchte Franken sich in einer Einführung in das Thema. Dass er die Britannica für ein englisches/britisches Unternehmen hält, beweist Kontinuität. Große Schwierigkeiten hatte er auch in der Differenzierung von Land und Sprache, was ja gerade auch bei der Wikipedia eine Rolle spielt.
Die ersten drei Fragen gingen an Jimmy: Wie ist die Wikipedia entstanden, wie und warum man erfolgreich man sei und wer an Wikipedia mitarbeite.
Jimmy verwies auf den Erfolg freier Software im Internet und seine Hoffnung, die Methode der freien und kollaborativen Erstellung von Texten zu übertragen. Auf Lexika kam er, weil er seit seiner Jugend eine Leidenschaft dafür habe. Das Ziel sei es, für jeden Menschen auf dem Planeten eine Enzyklopädie in seiner eigenen Sprache in freier Lizenz und mit hochwertigem Inhalt bereitzustellen.
Warum Menschen mitarbeiteten: Es habe verschiedene Gründe, die Bereitschaft, gemeinnützige Arbeit zu leisten, sei der Hauptgrund. Es mache auch Spaß, sei ein "addictive and fun hobby for geeks".
Der typische Wikipedianer sei sehr "intelligent, smart, geeky, nerdy" zu 80% männlich. Es seien sehr freundliche Menschen, was aber nicht hiesse, daß es nicht auch Streit gäbe. Alterstechnisch bewege sich die Mehrheit so in den 20ern und 30ern. Viele hätten einen universitären Hintergrund-
Franken fragte, wie es um die Qualität stehe.
Jimmy antwortete, daß höchste Qualität immer das Ziel gewesen wäre und sei. Traditionelle Enzyklopädien beruhten auf der Arbeit einzelner Experten. Dies sei eine gute Sache. Bei Wikipedia handele es sich um eien konstanten Verbesserungsprozess.
Franken ging dann zu Alexander Bob über: Er betone stets, daß Wikipedia keine Konkurrenz sei. Brockhaus und Wikipedia würden sich also bestenfalls ergänzen, ansonsten spiele Brockhaus in einer anderen Liga. Beding durch das Hufscharren von Bob brach er nun seine Frage ab und bat Bob um Formulierungshilfe, da er nicht wolle, daß seine Frage nur durch eine falsche Wortwahl nicht passte. Bob half ihm aus:
Man benutze den Begriff mit der anderen Liga nicht. Brockhaus blicke auf 200 Jahre Lexikontradition zurück. Das Ziel von Friedrich Arnold Brockhaus sei es gewesen, Wissen in breite Bevölkerungsschichten zu bringen. Heute biete man ein breites Spektrum an. Sowohl online- als auch Offlinemedien. Außerdem biete man die Lexika auch gedruckt an. Angereichert würden diese Texte auch durch "urheberrechtlich geschützte zustäliche Dokumente", beispielsweise eine Kennedy-Rede [KE1].
Der zweite Punkt sei, daß Brockhaus auf bezahlte Redaktionen setze. Man habe die Möglichkeit, so den ganzen editorialen Prozess zus teuern. Die Qualität sei von Anfang an maximal. Man arbeite über Jahre an den Texten. Im Herbst komme die 21. Auflage heraus, so solle eine Enzyklopädie des 21. Jahrhunderts aussehen. Bis 2010 sei der Onlinezugang rei. Es sei ein rundes angebot. 70 Angestellte des Verlages arbeiteten in der Redaktion, zusätzlich gäbe es 1000 externe Fachleute. Es sei ein greifbares Produkt.
Darüber hinaus werde es die 21. Auflage auch auf einem "Memory-Stick" geben mit dem kompletten textlichen Inhalt. Jeder Laptop mit USB-Anschluss könne auf die Inhalte zugreifen, es sei keine zusätzliche software nötig. Hinzu komme eine Technologie, die es erlaube Fragen in natürlicher Sprache zu stellen: "Welches Tier hat zwei Höcker" führe dann zu "Kamel" [WP1].
Auf die Frage, wie viele Gigabyte der Datenbestand auf dem "Memory-Stick" umfasse, gab es die Bob-Antwort "etwa so groß wie ein Textmarker". Da hat offenbar jemand Vorbilder [GO1].
Die "Memory-Stick"-Sache zog viele Nachfragen an sich. Der Verkaufspreis für diese Lösung soll 1500 Euro betragen, im Buchreport-Artikel zur 21. Auflage wird ein "USB-Stick" erwähnt. Alle "Nutzer" (vermutlich meint er Käufer, M.S.) bekämen dann auch noch Zugriff auf die O-Töne der Audiothek. Am 29.9 wird es eine Pressekonferenz zur 21. Auflage geben.
Die nächste Frage von Franken zielte mal wieder auf einen Vergleich ab. Die "Brockhaus-DVD" koste 90 Euro, die Wikipedia-DVD 10 Euro. Merkt Brockhaus die Wikipedia?
Die Bobsche Antwort holte ein wenig aus. Diese Frage käme seit über zehn Jahren in unterschiedlicher, immer wiederkehrender Form. Zuerst seien es andere Offlinemedien gewesen, dann das Internet, jetzt die Wikipedia. Diese Diskussioen befruchteten Brockhaus, sie brächten sie auf neue Ideen. Brockhaus sei stolz, wenigstens am ursprünglichen Benchmark vorbeigezogen zu sein: Encarta.
In der dann folgenden Antwort erklärte Bob sein komplettes Unverständnis der Lizenz und der Realität des Internets. Um als Produkt weiter attraktiv zu sein, müsse die Wikipedia auch urheberrechtlich geschützte Medien einbinden (Beispiel: Kennedy-Rede, Beispiel Vogelstimmen). Directmedia sei ja kein Wohltärigkeitsverein und wenn man diese Anreicherung dann unternehme, würde man am Ende preislich in vergleichbaren Größen sein. I wonder if Bob has ever seen Wikimedia Commons.
Frage: Die Wikipedia sei schneller als Brockhaus. Ist das Medium Buch noch zeitgemäß?
Bob: Der Wert einer gedruckten Enzyklopädie liegt in der Ausgewogenheit. Der Artikel Schiller wird in den nächsten 5 Jahren nicht neugeschrieben werden. Der Artikel Al-Qaida war schon in der 20. Auflage. Auch zum Seebeben hat man etwas vor der Katastrophe gehabt. Eine Enzyklopädie liefert Hintergrundinformationen. Man benutzt heutzutage tagsüber Notebooks, am Abend schlägt man in einem Buch etwas nach. Unterschiedliche Nutzungssituationen führen zu unterschiedlichen Anwendungen. Der Aktualitätsbedarf von Enzyklopädien wird überschätzt. Wir überarbeiten den Artikel zum Irak nicht alle zehn Minuten.
Die nächste Frage zielte auf eine zu vermutende Wettbewerbssituation zwischen Wikipedia und Brockhaus.
Jimmy: Wir haben eine Community, sehen uns nicht im Wettbewerb. Im Gegenteil: Die Aufmerksamkeit, die die Wikipedia erfährt, kann auch Brockhaus helfen, wieder Legitimation zu erlangen. Enzyklopädien seien früher mit dem Internet zwischendurch mal abgeschrieben gewesen, jetzt zweifle niemand mehr ihren Platz an. "I don't think we are hurting them."
Frage: Einige Jahre zuvor sagtest du
[RM1]: http://64.233.183.104/search?q=cache:hCXwv7Y-qUMJ:www.merkur.de/archiv/neu/r... [KR1]: http://mail.wikipedia.org/pipermail/wikide-l/2005-January/009670.html [KR2]:http://mail.wikipedia.org/pipermail/wikide-l/2005-January/009671.html [FR1]:http://www.spiegel.de/netzwelt/netzkultur/0,1518,335301,00.html [WPK1] http://www.wissenschafts-pressekonferenz.de/cgi-bin/WebObjects/WPKCMS.woa/wa... [AL1]: http://www1.alternate.de/html/shop/searchListing4CSort.html?searchCriteria=R... [KE1]: http://wikisource.org/wiki/Ich_bin_ein_Berliner [WP1]: http://www.google.com/search?num=100&hl=en&lr=&c2coff=1&q=Wh... [GO1]: http://www.google.com/search?num=100&hl=en&lr=&c2coff=1&clie...