Hallo,
An der Universität Bayreuth gibt ein neues rechtswissenschaftliches Gradiuertenkolleg "Geistiges Eigentum und Gemeinfreiheit":
* http://idw-online.de/pages/de/news117221 * http://www.heise.de/newsticker/meldung/60886
Habt ihr Ideen, wie wir uns da mit Angeboten oder Wünschen einbringen könnten? Vielleicht fallen uns ja einige Forschungsfragen für die Wissenschaftler[*] ein.
Auch von Interesse in diesem Zusammenhang sind
Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht: http://www.ip.mpg.de/
Institut für Rechtsfragen der Open Source Software: http://www.ifross.de (mit denen hatte der Verein schon Kontakt)
Gruß, Jakob
[*] Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, was es bei den Juristen überhaupt zu forschen gibt, aber anscheinend gibt es genug Stoff.
P.S: Open Content liegt für mich gerade zwischen "Geistigem Eigentum" und "Gemeinfreiheit", da es weder gemeinfrei ist (Lizenz), noch wesentliche Einschränkungen in der Nutzung unterliegt. Es ist also eine Dritte Form von Rechtsanspruch an Wissen - vielleicht sollte das mal genauer untersucht werden.
Jakob Voss wrote:
P.S: Open Content liegt für mich gerade zwischen "Geistigem Eigentum" und "Gemeinfreiheit", da es weder gemeinfrei ist (Lizenz), noch wesentliche Einschränkungen in der Nutzung unterliegt. Es ist also eine Dritte Form von Rechtsanspruch an Wissen - vielleicht sollte das mal genauer untersucht werden.
Ich habe mittlerweile ein ziemliches Grundmißtrauen gegen Leute entwickelt, die heute noch ein "geistiges Eigentum" erforschen wollen; wie Prof. Thomas Hoeren mal so schön formulierte, ist das ein Kampfbegriff aus dem 19. Jahrhundert, der in der aktuellen Forschung eigentlich nichts mehr zu suchen hat.
Die Attac-Arbeitsgruppe "Wissensallmende" spricht korrekter von "immateriellen Monopolrechten"; zu dem Thema erschien auch kürzlich ein kleines Materialbändchen, das natürlich unter einer CC-Lizenz steht [1], [2].
Ebenfalls empfehlen kann ich Volker Grassmucks Buch "Freie Software", das es preiswert bei der BPB gibt und das Volker freundlicherweise auf meine Bitte unter der GNU FDL lizenziert hat. Volker beschäftigt sich dort u.a. mit dem Allmendebegriff, also einer Form des Gemeineigentums, die man als Muster für das Eigentum an Wissen hernehmen kann.
Von der Wissensallmende kommt man rasch zu Robert K. Mertons "Wissenskommunismus der Wissenschaften", den heute beispielsweise wieder Helmut Spinner in seinem "Wissensarten"-Projekt aufgreift; das wissenschaftliche Wissen ist natürlich eine weitere Form des Rechtsanspruchs an Wissen, die ebenfalls in dem von Dir skizzierten Spannungsfeld liegt. Siehe dazu mein Testballon [[Auf den Schultern von Giganten]] (übrigens ein eher unrühmliches Kapitel in der Historiografie der Wikiepdia).
Kurzum: Es gibt schon viele Arbeiten zu dem Themenfeld, aber auch sehr unterschiedliche Begrifflichkeiten, unterschiedliche Kontexte und weit auseinanderliegende Ansätze. Was man wirklich bräuchte, wäre eine straffe Systematisierung, aber die Thematik ist wohl zu sehr ideologisch aufgeladen.
MfG -asb
[1] http://www.attac.de/wissensallmende/basistext [2] http://www.attac.de/presse/presse_ausgabe.php?id=447 [3] http://freie-software.bpb.de/
Agon S. Buchholz schrieb:
P.S: Open Content liegt für mich gerade zwischen "Geistigem Eigentum" und "Gemeinfreiheit", da es weder gemeinfrei ist (Lizenz), noch wesentliche Einschränkungen in der Nutzung unterliegt. Es ist also eine Dritte Form von Rechtsanspruch an Wissen - vielleicht sollte das mal genauer untersucht werden.
Ich habe mittlerweile ein ziemliches Grundmißtrauen gegen Leute entwickelt, die heute noch ein "geistiges Eigentum" erforschen wollen; wie Prof. Thomas Hoeren mal so schön formulierte, ist das ein Kampfbegriff aus dem 19. Jahrhundert, der in der aktuellen Forschung eigentlich nichts mehr zu suchen hat.
Die Attac-Arbeitsgruppe "Wissensallmende" spricht korrekter von "immateriellen Monopolrechten"; zu dem Thema erschien auch kürzlich ein kleines Materialbändchen, das natürlich unter einer CC-Lizenz steht [1], [2].
Das ist eine Meinung, die ich zwar nachvollziehen und gutheissen kann, aber eben nur eine Meinung. Ich denke eher, dass "Geistiges Eigentum" nun mal einfach die üblichere Bezeichnung ist. Im Grunde ist mit "immateriellen Monopolrechten" genau das gleiche gemeint mit dem Unterschied, dass eine andere Wertung impliziert wird. Ich würde die Wissenschaftler nicht wegen ihrer Wortwahl vorverurteilen.
Von der Wissensallmende kommt man rasch zu Robert K. Mertons "Wissenskommunismus der Wissenschaften", den heute beispielsweise wieder Helmut Spinner in seinem "Wissensarten"-Projekt aufgreift; das wissenschaftliche Wissen ist natürlich eine weitere Form des Rechtsanspruchs an Wissen, die ebenfalls in dem von Dir skizzierten Spannungsfeld liegt. Siehe dazu mein Testballon [[Auf den Schultern von Giganten]] (übrigens ein eher unrühmliches Kapitel in der Historiografie der Wikiepdia).
Wieso? So schlecht finde ich den Artikel gar nicht (aber bisher auch nicht gerade gut).
Kurzum: Es gibt schon viele Arbeiten zu dem Themenfeld, aber auch sehr unterschiedliche Begrifflichkeiten, unterschiedliche Kontexte und weit auseinanderliegende Ansätze. Was man wirklich bräuchte, wäre eine straffe Systematisierung, aber die Thematik ist wohl zu sehr ideologisch aufgeladen.
Wie wäre es einfach mal den bisher eher grottigen Artikel
http://de.wikipedia.org/wiki/Geistiges_Eigentum
zu verbessern und werteneutral (!) zu beschreiben, wer genau was unter "Geistiges Eigentum", "immaterielle Monopolrechte", "Immaterialgüter"... versteht und wie dazu steht. Gerade wenn die Thematik aufgeladen ist, sollten sich doch viele Akteure finden lassen, denen man nach guter NPOV-Manier ihre Meinungen zuschreiben kann (es kann nicht genug auf den NPOV hingewiesen werden. Aufgabe des Artikels ist nicht darzustellen, wie gut oder wie schlecht das Konzept Geistigen Eigentums ist).
Gruß, Jakob, der noch immer so naiv ist zu glauben, dass gute Wikipedia-Autoren zwischen Benennungen und Begriffen unterscheiden können.
Jakob Voss wrote:
Jakob, der noch immer so naiv ist zu glauben, dass gute Wikipedia-Autoren zwischen Benennungen und Begriffen unterscheiden können.
"In der Alltagssprache versteht man unter Begriff meist auch einfach ein Wort oder eine Bezeichnung." (aus [[Begriff]])
Deshalb würde ich empfehlen, lieber die Wörter Bezeichnung und Konzept, bzw. Lemma und Gegenstand (des Artikels) zu verwenden.
Kurt
Jakob Voss wrote:
Ich denke eher, dass "Geistiges Eigentum" nun mal einfach die üblichere Bezeichnung ist. Im Grunde ist mit "immateriellen Monopolrechten" genau das gleiche gemeint mit dem Unterschied, dass eine andere Wertung impliziert wird. Ich würde die Wissenschaftler nicht wegen ihrer Wortwahl vorverurteilen.
Genau diese Lesart sehe ich als das Problem; nur kurz dazu (das Thema ist hier doch etwas OT): Ein Elmar Wadle kann meinetwegen "Geistiges Eigentum" in seinen "Bausteinen zur Rechtsgeschichte" untersuchen und sich dort beispielsweise mit den Württembergischen Nachdruckprivilegien im 19. Jahrhundert beschäftigen; spätestens, nachdem man im Vorwort gelesen hat, dass die VG WORT die 400 Seiten des Bandes II finanziert hat, weiß man auch, aus welcher Richtung der Mann kommt.
Was aber heute unter angebliches "geistiges Eigentum" gefasst wird, hat aber nichts mehr mit Rechtsgeschichte zu tun, ist weder besonders geistig noch überhaupt Eigentum, nämlich beispielsweise Farben (Markenrecht), Gene von Saatgut oder Mäsusen (Patentrecht) oder die ganzen Obszönitäten des novellierten Urheberrechts, die nichts mehr mit persönlichen geistigen Schöpfungen zu tun haben. Der Kampfbegriff des "geistigen Eigentums" adelt und kumuliert Dinge unter einem ehrenwerten Etikett, die weder so etikettiert gehörten noch überhaupt zusammenpassen.
Siehe dazu mein Testballon [[Auf den Schultern von Giganten]] (übrigens ein eher unrühmliches Kapitel in der Historiografie der Wikiepdia).
Wieso? So schlecht finde ich den Artikel gar nicht (aber bisher auch nicht gerade gut).
Der Artikel referiert ein (m.E. sehr wichtiges) Gleichnis; das einschlägige (populär-) wissenschaftliche Buch dazu ist Mertons im Artikel von Anfang an referenzierter gleichnamiger Band ("OTSOG"). Ich habe den Artikel am 6. April 2004 angelegt, er ist danach von einem knappen Dutzend Leuten bearbeitet worden und mittlerweile über ein Jahr inhaltlich weitgehend unverändert geblieben. Mit allen eingestreuten Fehlern und Gerüchten.
Der Artikel war ein Testballon für das 100-Augen-Prinzip der Wikipedia (vermutlich schweben noch etliche weitere herum); der Artikel referiert nämlich weder Mertons Buch (und damit den längst überholten Forschungsstand von 1965) vollständig, noch ist er sachlich korrekt: Ich habe nämlich einfach Mertons "Fund" unterschlagen. Ich wollte beobachten, ob jemand den Sachverhalt kritisch prüft (was nicht der Fall war), eigene Quellenarbeit leistet (was ebenfalls nicht der Fall war) oder wenigstens den Artikel mit den angegebenen Literaturquellen abgleicht (auch das war nicht der Fall). Theoretisch hatte ich vor, den "Schleier" nach einigen Monaten zu lüften, den Artikel zu vervollständigen, den (m.E. sehr wichtigen) Artikel zu einem "exzellenten" auszubauen und die Ergebnisse des Versuchs in der "Wikipedistik" zu veröffentlichen; da kam dann aber die Waldorf-Abmahnung dazwischen, die meine Arbeit in der Wikipedia unterband, daher verbleib der Artikel viel länger als beabsichtigt in seinem desolaten Zustand und wurde fast schon zu einer "Langzeitstudie".
Der Trick in Mertons 240-seitigem Bändchen besteht ja darin, dass er -- durch nicht übermäßig tiefschürfende Quellenarbeit -- feststellt, dass wohl aus Nachlässigkeit und Bequemlichkeit über Jahrhunderte (!) eine falsche Quellenzuschreibung tradiert wurde, da anscheinend *niemand* aus der wissenschaftlichen Gemeinschaft sich die Mühe gemacht hatte, die Quellen zu prüfen und immer nur Nonsens-Verweise reproduziert wurden. Der Hinweis von Burton auf Didacus Stella "in Luc. 10, tom. ii" bezieht sich -- nach Merton -- eben nicht auf den heidnisch-römischen Dichter Lucan (verlinkt ist auch bei uns noch immer [[Marcus Annaeus Lucanus]]), sondern -- so zumindest Merton -- auf den heiligen Lukas. In Lucans "De Bello Civili" oder "Pharsalia" existiert das Gleichnis nicht, wie man selbst mit einer reinen Internet-Recherche feststellen kann (der Volltext existiert online).
Einige Benutzer haben bei uns schließlich den bereits von Merton ausfindig gemachten "tatsächlichen" Urheber (Bernhard von Chartres) halbherzig ergänzt, den Lucan-Fehler aber weiter beibehalten. Auch die ganze ideengeschichteliche Ableitung von Merton wurde nie ergänzt, geschweige denn problematisiert (wohlgemerkt, Mertons Buch erschien 1965). Ohne jegliche Quellenangabe ergänzte dann jemand im April 2005 (also nach rund einem Jahr!), dass der Ursprung des Gleichnisses "mutmaßlich der antike Mythos von [[Kedalion]] [sei], der auf den Schultern des blinden Riesen [[Orion (Mythologie)]] saß und ihn führte"; eine Quellenanagbe dazu wäre notwendig, weil zum einen Merton diese Quelle vor Bernhard nicht erwähnt und zum anderen, weil alle möglichen antiken Autoren über die Orionsage geschrieben haben, man also selbst mit allgemeinen altphilologischen Vorkenntnissen nicht klar zuordnen kann, wer wann was geschrieben haben soll.
Richtig interessant wird es dann, wenn man konsequent über Mertons 1960er-Jahre-Erkennisse hinausgeht und auch nur den "kleinen Pauli" zu Rate zieht; dort findet man dann nämlich tatsächlich Quellennachweise, nach denen Kedalion, der Lehrer oder Gehilfe des Hephaistos den geblendeten Riesen Orion "auf dessen Schultern sitzend, gen Sonnenaufgang führt", wo dieser von Helios sein Augenlicht zurück erhält (kryptische Quellenangabe: "Hes. frg. 182 Rz. Eratosth. katast. 32 Apollod. 1,26"). Im "Pauly" findet sich dann noch der verwirrende Hinweis, diese Szene sei "vereinzelt in der Kunst dargestellt" ("Lukian. de domo 28. Titel eines sophokl. Satyrspiels"; ob dieser "Lukian" mit dem heiligen Lukas identisch ist, darf bezweifelt werden; der "Pauly" bietet uns gleich zwei "Lukianos" an, einen Sophisten und einen Märtyrer; Handlexika helfen hier aber sicherlich nicht mehr weiter).
Exemplarisch zeigt der Wikipedia-Artikel [[Auf den Schultern von Giganten]] also, dass nach über einem Jahr (a) das 100-Augen-Prinzip (zumindest in diesem Einzelfall) nicht funktioniert, (b) Quellen ebenso wenig geprüft werden wie in all den anderen Abschreiber- Nachschlagewerken, die lediglich auf sich selbst referenzieren, nicht jedoch auf die tatsächlichen Quellen, (c) Literaturangaben nicht auf korrekte Paraphrasierung geprüft werden und der Artikelstand dadurch auf einen Forschungsstand weit vor 1965 zurückfällt, obwohl Mertons Buch sogar in deutscher Übersetzung vorliegt und als preiswertes Taschenbuch lieferbar ist (man muss also weder fremdsprachige Texte lesen, noch sich in die Bibliothek bemühen) sowie (d) selbst eine kritische Quellensichtung wirklich gut verfügbarer ergänzender Materialien wie dem "kleinen Pauly" ausbleibt (Fehlende Einarbeitung der antiken Quellen), und (e) wissenschaftliche Forschungsliteratur überhaupt nicht eingearbeitet wird. Abgesehen davon wurden natürlich auch die verschiedenen Interpretationen und Implikationen des Gleichnisses nicht eingearbeitet
Dieses Herumgeschlampe mit Quellenangaben und erfundenen oder falschen Zuschreibungen ist halt an einem Artikel wie [[Auf den Schultern von Giganten]] besonders prekär, da sich der ganze Artikel ja eben um die Bedeutung der Vorleistungen anderer dreht. Die Fehler im Artikel wären auch weniger prekär, wenn sie nicht 1965 bereits von Robert K. Merton ausführlichst erörtert worden wären (von Newton über Burton bis zu Lukan kommt man nämlich auch mit einer reinen Internet-Recherche, ohne Merton gelesen zu haben, das sollte aber für die Wikipedia nicht ausreichen).
Natürlich ist das ein Einzelfall und nicht repräsentativ; natürlich belegt der Einzelfall auch nur, dass man natürlich auch Wikipedia-Artikel äußerst kritisch lesen muss, wie jedes andere Nachschlagewerk auch. Und natürlich zeigt sich auch hier wieder nur die derzeitige Richtungslosigkeit der Wikipedia zwischen populärem (Trivial-) und wissenschaftlichem (Fach-) Wissen: Die Blocklaus hätte das Problem überhaupt nicht, dort findet man entsprechende Artikel gar nicht erst; hätte Wikipedia einen ebensolchen rein nicht-wissenschaftlichen Anspruch (à la "Konversationslexikon"), gäbe es auch kein Problem; stellte man aber höhere Anforderungen an die Wikipedia als an konventionelle allgemeine Nachschlagewerke à la Blocklaus, würde die mangelhafte Aufarbeitung des Artikels ein echtes Problem aufzeigen. Und eigentlich sollten wir uns doch einig sein, dass wir mit der Wikipedia signifikant über das Niveau von Blocklaus und Britannica hinausgehen wollen und werden...
MfG -asb
Agon S. Buchholz schrieb:
<OT>
Was aber heute unter angebliches "geistiges Eigentum" gefasst wird, hat aber nichts mehr mit Rechtsgeschichte zu tun, ist weder besonders geistig noch überhaupt Eigentum, nämlich beispielsweise Farben (Markenrecht), Gene von Saatgut oder Mäsusen (Patentrecht) oder die ganzen Obszönitäten des novellierten Urheberrechts, die nichts mehr mit persönlichen geistigen Schöpfungen zu tun haben. Der Kampfbegriff des "geistigen Eigentums" adelt und kumuliert Dinge unter einem ehrenwerten Etikett, die weder so etikettiert gehörten noch überhaupt zusammenpassen.
Andererseits kann man frei nach Proudhon auch direkt den Begriff des Eigentums kritisieren - allerdings ist das taktisch wahrscheinlich nicht so klug, wie darauf hinzuweisen, dass es sich um Monopolrechte handelt. </OT>
Testballon [[Auf den Schultern von Giganten]] [...] Ich habe den Artikel am 6. April 2004 angelegt, er ist danach von einem knappen Dutzend Leuten bearbeitet worden und mittlerweile über ein Jahr inhaltlich weitgehend unverändert geblieben. Mit allen eingestreuten Fehlern und Gerüchten.
Und? Das trifft doch auf eine Vielzahl von Artikeln zu.
Der Artikel war ein Testballon für das 100-Augen-Prinzip der Wikipedia
Je spezieller das Thema, desto länger dauert es halt. Das ist natürlich keine Entschuldigung.
Der Trick in Mertons 240-seitigem Bändchen besteht ja darin, dass er -- durch nicht übermäßig tiefschürfende Quellenarbeit -- feststellt, dass wohl aus Nachlässigkeit und Bequemlichkeit über Jahrhunderte (!) eine falsche Quellenzuschreibung tradiert wurde, da anscheinend *niemand* aus der wissenschaftlichen Gemeinschaft sich die Mühe gemacht hatte, die Quellen zu prüfen und immer nur Nonsens-Verweise reproduziert wurden.
Wenn die wissenschaftliche Gemeinschaft Jahrhunderte braucht, um solche Fehler ausfzudecken, sollte man der Wikipedia-Gemeinschaft doch wenigstens Jahre gönnen. Schau mal in 5,10,20,50 Jahren, was aus den Testballons geworden ist - auch dann wirst du noch fehler finden, aber die Frage ist, wie hoch der Anteil der korrigierten Fehler ist.
[Interessantes zu den Quellen - besser im Artikel aufgehoben]
Und natürlich zeigt sich auch hier wieder nur die derzeitige Richtungslosigkeit der Wikipedia zwischen populärem (Trivial-) und wissenschaftlichem (Fach-) Wissen: Die Blocklaus hätte das Problem überhaupt nicht, dort findet man entsprechende Artikel gar nicht erst; hätte Wikipedia einen ebensolchen rein nicht-wissenschaftlichen Anspruch (à la "Konversationslexikon"), gäbe es auch kein Problem; stellte man aber höhere Anforderungen an die Wikipedia als an konventionelle allgemeine Nachschlagewerke à la Blocklaus, würde die mangelhafte Aufarbeitung des Artikels ein echtes Problem aufzeigen.
Wenn ich beispielsweise unter [[Tragkraftspritzenfahrzeug mit Wasser]] lese, wie viele Warnwesten in diesem Feuerwehrfahrzeug vorhanden sind, muss ich darauf vertrauen, dass die Autoren des Artikels Ahnung von der Materie haben. Das hat eher mit Kompetenz zu tun als mit Wissenschaftlichkeit. Da du offensichtlich bisher der einzige Hauptautor von [[Auf den Schultern von Giganten]], liegen die Fehler nicht an der Wikipedia, sondern daran, dass du dich weniger Kompetent gestellt hast und bisher kein anderer kompetenter Autor sich des gesamten Artikels angenommen hat.
Also kein Grund zur Panik - der Hinweis auf die Notwenigkeit von Quellenstudium kann allerding nicht oft genug betont werden.
Gruß, Jakob
Am Samstag, 25. Juni 2005 16:30 schrieb Jakob Voss:
ehler ausfzudecken, sollte man der Wikipedia-Gemeinschaft doch wenigstens Jahre gönnen. Schau mal in 5,10,20,50 Jahren, was aus den Testballons geworden ist - auch dann wirst du noch fehler finden, aber
Ich weiß nur nicht, ob es unbedingt moralisch / bildungspolitisch / aufklärisch wirken wollend (sucht Euch was aus) sinnvoll oder gerechtfertigt ist, 50 Jahre lang Unsinn zu verbreiten und mit dem Nimbus der Enzyklopädie auf einen Sockel zu heben, nur mit der vagen Hoffnung, den Unsinn im 51. Jahr korrigiert zu bekommen.
Auch wenn Agons Beispiel nun wirklich randseitiges Wissen darstellt, bei dem das verberiten von Fehlinformationen zwar vom enzyklopädischen Anspruch, aber nicht von den Auswirkungen her einer Gesellschaft sonderlich weh tut, muss sich Wikipedia aufgrund ihrer Beliebtheit schon fragen lassen, welche Fehlerrate in den aktuellen Versionen der Artikel noch im Sinne des Wiki-Prinzips sie sich leisten möchte. Ab einem gewissen Anteil inhaltlicher Fehlinformationen schadet Wikipedia nämlich bildungspolitisch mehr, als sie nützt.
Uli
Ulrich Fuchs wrote:
[...] muss sich Wikipedia aufgrund ihrer Beliebtheit schon fragen lassen, welche Fehlerrate in den aktuellen Versionen der Artikel noch im Sinne des Wiki-Prinzips sie sich leisten möchte. Ab einem gewissen Anteil inhaltlicher Fehlinformationen schadet Wikipedia nämlich bildungspolitisch mehr, als sie nützt.
Mein Testballon enthielt ja keine wirklichen Falschinformationen (im Gegensatz zu verschiedenen anderen Flugobjekten, die nicht von mir sind, aber von denen Existenz ich mal gehört habe), daher lässt das Beispiel des genannten Artikel auch solche weit reichenden Schlussfolgerungen nicht zu. Welchen Anteil echte Fehlinformationen bei uns ausmachen, weiß vielleicht die R&D-Abteilung von Blocklaus, sonst aber m.W. niemand; da auch die bisherigen (externen, unabhängigen) Wikipedia-Tests keine gravierenden Fehlinformationen indizierten, sehe ich kein konkretes Problem.
Abstrahiert man die Frage etwas stärker, stellt sich ziemlich rasch das alte erkenntnistheoretische Problem positiven Wissens. Beispiel: Wird ein Artikel dadurch "falsch", wenn er die 1960 korrekte Sicht darstellt, aber die nachfolgende wissenschaftliche Debatte nicht reflektiert? Wird der Blocklaus von Tag zu Tag "falscher", weil aktuelle Entwicklungen nicht aufgenommen werden (können), obwohl die angegebenen Grundfakten aber stimmen? Oder sollte man nicht grundsätzlich eher unterscheiden zwischen differenzierteren Kategorien wie "falsch", "veraltet", "unvollständig" usw.? Hätte es dann überhaupt noch Sinn, pauschal über einen möglicherweise zu hohen Anteil von "Fehlinformationen" zu diskutieren?
Müssen in einen Artikel die alleraktuellsten Erkenntisse (die bereits in einer Woche durch eine gegenläufige Studie in Frage gestellt werden könnten) eingearbeitet sein, damit er (in diesem Augeblick) "wahrer" wird, oder dürfen es ein bisschen abgehangene (und damit etwas weniger "wahre"?) Erkenntnisse sein, die zwar nicht den (ganz) aktuellen Forschungsstand widerspiegeln, über die aber wenigsten Konsens herrscht? Von welchen Konsensen geht man dann aus, von wissenschaftlichem, polulärwissenschaftlichem oder allgemeinem? Was ist mit marginalisierten Meinungen, die möglicherweise "wahrer" sind, von der herrschenden (Wissenschafts- oder Öffentlichkeits-) Meinung aber nicht anerkannt sind (bspw. die unterschiedlichen Theorien über die Entwicklung der Sprachen). Wer legt denn überhaupt fest, was wichtig oder angeblich "wahr" bzw. unwichtig oder angeblich "falsch" ist?
Kurzum: Jenseits von Geburts-/Sterbedatum und -ort und ein paar Lebensetappen gibt es nur einen begrenzten Vorrat "objektiver" Fakten über eine Person; kommunikations- und publizistikwissenschaftliche Forschungsergebnisse zu Medienwirkungen werden mit größter Regelmäßigkeit von relativierenden oder gegenläufigen Studien begleitet; empirische Datenerhebungen sind kein objektives Wissen, sondern Erkenntnisse, die von der Art der Fragestellung und der Selektion der angeblich repräsentativen Stichprobe vorgeprägt werden. Diese beispiele ließen sich beliebig fortführen und sollten hinreichend bekannt sein.
Macht es einen Artikel wirklich zu einer "Fehlinformation", wenn er nicht "vollständig" ist und nicht den aktuell(st)en Forschungsstand wiedergibt? Würde man so argumentieren, müsste ich alles, was ich während meines Pblizistik- und Kommunikationswissenschaftsstudiums gelernt habe als "Fehlinformation" disqualifizieren, weil große Bereiche der wissenschaftlichen Forschung vollständig ausgeklammert wurden: Hier spielen Ideologien ebenso eine Rolle wie "Themenkarrieren", die es wohl in jeder wissenschaftlichen Disziplin geben dürfte. Und spätestens die vereiteln in der enzyklopädischen Realität dann wohl jeden Anspruch auf "Wahrheit" und "Objektivität".
MfG -asb