Ulrich Fuchs wrote:
[...] muss sich Wikipedia aufgrund ihrer Beliebtheit schon fragen lassen, welche Fehlerrate in den aktuellen Versionen der Artikel noch im Sinne des Wiki-Prinzips sie sich leisten möchte. Ab einem gewissen Anteil inhaltlicher Fehlinformationen schadet Wikipedia nämlich bildungspolitisch mehr, als sie nützt.
Mein Testballon enthielt ja keine wirklichen Falschinformationen (im Gegensatz zu verschiedenen anderen Flugobjekten, die nicht von mir sind, aber von denen Existenz ich mal gehört habe), daher lässt das Beispiel des genannten Artikel auch solche weit reichenden Schlussfolgerungen nicht zu. Welchen Anteil echte Fehlinformationen bei uns ausmachen, weiß vielleicht die R&D-Abteilung von Blocklaus, sonst aber m.W. niemand; da auch die bisherigen (externen, unabhängigen) Wikipedia-Tests keine gravierenden Fehlinformationen indizierten, sehe ich kein konkretes Problem.
Abstrahiert man die Frage etwas stärker, stellt sich ziemlich rasch das alte erkenntnistheoretische Problem positiven Wissens. Beispiel: Wird ein Artikel dadurch "falsch", wenn er die 1960 korrekte Sicht darstellt, aber die nachfolgende wissenschaftliche Debatte nicht reflektiert? Wird der Blocklaus von Tag zu Tag "falscher", weil aktuelle Entwicklungen nicht aufgenommen werden (können), obwohl die angegebenen Grundfakten aber stimmen? Oder sollte man nicht grundsätzlich eher unterscheiden zwischen differenzierteren Kategorien wie "falsch", "veraltet", "unvollständig" usw.? Hätte es dann überhaupt noch Sinn, pauschal über einen möglicherweise zu hohen Anteil von "Fehlinformationen" zu diskutieren?
Müssen in einen Artikel die alleraktuellsten Erkenntisse (die bereits in einer Woche durch eine gegenläufige Studie in Frage gestellt werden könnten) eingearbeitet sein, damit er (in diesem Augeblick) "wahrer" wird, oder dürfen es ein bisschen abgehangene (und damit etwas weniger "wahre"?) Erkenntnisse sein, die zwar nicht den (ganz) aktuellen Forschungsstand widerspiegeln, über die aber wenigsten Konsens herrscht? Von welchen Konsensen geht man dann aus, von wissenschaftlichem, polulärwissenschaftlichem oder allgemeinem? Was ist mit marginalisierten Meinungen, die möglicherweise "wahrer" sind, von der herrschenden (Wissenschafts- oder Öffentlichkeits-) Meinung aber nicht anerkannt sind (bspw. die unterschiedlichen Theorien über die Entwicklung der Sprachen). Wer legt denn überhaupt fest, was wichtig oder angeblich "wahr" bzw. unwichtig oder angeblich "falsch" ist?
Kurzum: Jenseits von Geburts-/Sterbedatum und -ort und ein paar Lebensetappen gibt es nur einen begrenzten Vorrat "objektiver" Fakten über eine Person; kommunikations- und publizistikwissenschaftliche Forschungsergebnisse zu Medienwirkungen werden mit größter Regelmäßigkeit von relativierenden oder gegenläufigen Studien begleitet; empirische Datenerhebungen sind kein objektives Wissen, sondern Erkenntnisse, die von der Art der Fragestellung und der Selektion der angeblich repräsentativen Stichprobe vorgeprägt werden. Diese beispiele ließen sich beliebig fortführen und sollten hinreichend bekannt sein.
Macht es einen Artikel wirklich zu einer "Fehlinformation", wenn er nicht "vollständig" ist und nicht den aktuell(st)en Forschungsstand wiedergibt? Würde man so argumentieren, müsste ich alles, was ich während meines Pblizistik- und Kommunikationswissenschaftsstudiums gelernt habe als "Fehlinformation" disqualifizieren, weil große Bereiche der wissenschaftlichen Forschung vollständig ausgeklammert wurden: Hier spielen Ideologien ebenso eine Rolle wie "Themenkarrieren", die es wohl in jeder wissenschaftlichen Disziplin geben dürfte. Und spätestens die vereiteln in der enzyklopädischen Realität dann wohl jeden Anspruch auf "Wahrheit" und "Objektivität".
MfG -asb