Am Mittwoch, 12. September 2007 19:49 schrieb Ralf Roletschek: [...]
Unsere Redaktion prüft nach und nach Ihre Eingaben und Ergänzungen und gibt diese dann in einer geprüften Artikelversion frei. So entsteht ein großes geprüftes und freies Internetlexikon!
Ich habe immer gesagt, dass genau dies eines Tages kommen würde. Und ich habe keine Zweifel daran, dass die Bedrohung, die von diesem Projekt ausgeht, intern *maßlos* unterschätzt wird. Denn die Gruppe der von uns bisher meist recht unsanft behandelten sagenumwobenen "Fachleute" wird sich in Zukunft mit Sicherheit eher von der etablierten Marke und dem Redaktionsteam der renommierten Lexikonredaktion angezogen fühlen, als von diesem "Wir-sind-von-Geburt-her-alle-gleich-kompetent"-Chaos bei Wikipedia oder Wikiweise. Dieser lebendigen Verwirklichung von Descartes' - übrigens bitterbösen - Feststellung, dass "nichts auf der Welt so gerecht verteilt [ist] wie der Verstand. Denn jedermann ist überzeugt, daß er genug davon habe."
Insbesondere deswegen wird die Gefahr unterschätzt, da die magischen Wiki-Selbstreinigungs- und Selbstheilungskräfte der Community, die es vielleicht in den ersten Jahren gegeben haben mag (was ich allerdings als Legendenbildung betrachte), längst schon zerstört sind (aktuelles Beispiel gerade wieder bei den Meinungsbildern zu sehen).
Die Zeit, dass man sich hätte sinnvoll auf diesen Tag vorbereiten können (Aufbau einer hierarchischen Redaktionsstruktur mit klaren Kompetenzzuweisungen, strukturierter Qualitätssicherung und fester Aufteilung der Prüfung von Artikelneuanlagen), ist nun abgelaufen. Brockhaus hat möglicherweise den ersten Schritt getan, Wikipedia obsolet werden zu lassen, so wie die Nupedia einst obsolet wurde.
Ich bezweifle, dass aus "Wikipedia-Netscape" eines Tages nochmal "Wikipedia-Firefox" werden könnte - dafür ist der größere Teil der hiesigen Nutzerschar viel zu konservativ, ideologisch verbohrt, unrealistisch und anti-pragmatisch eingestellt; und jene, die genau das nicht sind, könnten bei Brockhaus eine interessante - wenn jene klug sind, auch eine berufliche - Perspektive finden. Denn wer weiß, vielleicht brauchen die ja bald ein Menge Online-Redakteure? Man stelle sich die Signalwirkung vor, sie würben einige unserer Top-Leistungsträger auf bezahlte Stellen ab.
Es wird aber interessant sein, den Lernprozess der Community in den nächsten Jahren zu beobachten: Zuerst werden sie das Brockhaus-Projekts ignorieren; dann werden sie es verlachen; dann bekämpfen sie es; und zum Schluss gewinnt es.
Schöne Grüße,
Markus Mueller.