Gerhard Jahnke wrote:
Bist Du sicher, dass du mit dieser Einstellung in einem *Wiki* richtig bist, das mit gutem Grund anonyme Edits zulässt?
Ja, weil die hier eben zugelassen *sind*. Und weil gerade die besonders überwacht werden und Edits falls notwendig eben in der Versionsgeschichte versenkt werden.
Wer zitiert hier eigentlich sinnentstellend? Wenn man sich selbst die Freiheit nimmt, beliebige Bröcken aus dem Zusammenhang gerissen zu "beantworten", sollte man anderen eigentlich zumindest dieselben Freiheiten einräumen.
Du hattest in Antwort auf einen Einwand von Paul argumentiert, dass man auf das Verfassen eines Leserbriefes verzichten solle, wenn man befürchte, dass einem daraus Nachteile entstehen könnten; angeblich veröffentlichen Zeitungen die Adresse des Leserbriefschreibers, so behauptest Du zumindest in Deiner Antwort auf Pauls Mail, und diese angebliche Veröffentlichung der Adressdaten setzt Du in Analogie zu den Pflichtangaben im Impressum einer Website: Wer Nachteile befürchtet, soll es doch lieber sein lassen.
Tatsächlich habe ich jedoch noch in keiner Zeitung oder Zeitschrift einen vollständigen Adressdatensatz unter einem Adressdatensazu gesehen, jedenfalls auch annähernd nichts, was mit den notwendigerweise ladungsfähigen Angaben des Website-Impressums vergleichbar wäre; ausserdem unterschlägst Du die Tatsache, dass man in jeder seriösen Publikation um Anonymisierung des eigenen Namens ("Verfasser ist der Redaktion bekannt") bitten kann, Adressdaten werden dann natürlich erst recht nicht veröffentlicht; wenn der Leserbrief dann nicht abgedruckt wird, ist das jedenfalls eine redaktionelle Entscheidung und keine Selbstzensur des Autors.
Die Analogie zwischen Leserbrief und Website-Impressum ist also völlig schief und dient allenfalls rhetorisch dazu, den umstrittenen Sachverhalt der bundesdeutschen Impressumspflicht zu trivialisieren. Das ist argumentativ nicht lauter, da die Impressumspflicht eben nicht trivial (sie lädt eben, im Gegensatz zu den Angaben in Verbindung mit einem Leserbrief, zu Mißbrauch ein; erzwungenermaßen korrekte da rechtlich sanktionierbare Angaben sind wohl auch kaum mit irgendwelchen dubiosen Adressdatenbanken vergleichbar) und auch nicht notwendig ist (der Rest des die Meinungsfreiheit achtenden Teils der Welt kommt ja auch ohne solche Angaben aus, und ohne extrem restrikive Maßnahmen werden derartige Pflichtangaben ganz sicher keinen Schutz vor wirklich kriminellen Energien bieten; wer zu Selbstzensur "ermuntert" wird, ist eben nur der Durchschnittsbürger).
Interessanter wird dann aber Dein Vorschlag, wie man sich gegen die Möglichkeit des Mißbrauchs von personenbezogenen Daten legitim "wehrt" (das ist Deine Wortwahl): Indem man schweigt, also "indem man keine Website betreibt und sich auch sonst zurückhält". Das dient der Begründung, dass man sich gesetzestreu verhalten könne und vor allem müsse, denn: "In einem Rechststaat sich an Vorschriften erstmal zu halten, auch wenn man sie nicht befürwortet, halte ich für einen Teil des 'fairen Umgangs' miteinander". Also forderst Du, "Vorschriften" aus Prinzip einzuhalten und nicht zu hinterfragen, oder wenn man sie doch hinterfragt, sich dennoch an sie zu halten und vermutlich dann auch am besten noch über seine Einwände zu schweigen.
Du vergisst dabei, oder möchtest vergessen machen, dass "ungesetzlich" eben nicht gleichbedeutend mit "unrecht" ist, und dass ein solches Verhalten in einer Demokratie weder konstruktiv noch erwünscht ist; was Du beschreibst, ist vielmehr eine absolutierte Form der Schweigespirale. Einen dermaßen dogmatischen Umgang mit Vorschriften fordert vielleicht die katholische Kirche, aber sicherlich kein bundesdeutscher Richter. Und Beispiele für unrechte Gesetze hat es wohl in unserer Geschichte zu genüge gegeben. Einen irgendwie zwingenden Zusammenhang zwischen "fairem Umgang" und so genannter Gesetzestreue sehe ich in diesem Kontext endgültig nicht mehr. Ein "fairer Umgang" ist eine moralische Forderung, "gesetzestreue" dagegen eine normative; gerade ethisches Handeln kann ja bekanntlich mit Gesetzestreue kollidieren.
Tatsache ist nun einmal, dass beispielsweise weder die französische noch die US-amerikanische Verfassung in ihren heutigen Formen existieren würden, wenn es nicht die Möglichkeit gegeben hätte, anonym zu publizieren. Schau beispielsweise mal nach, wer Alexander Hamilton, John Jay und James Madison waren und was es mit dem Pseudonym "Publius" auf sich hatte. Das anonyme Publizieren diente regelmäßig dem Unterlaufen politischer oder ideologischer Zensur, und damit eben auch dem Unterlaufen von Gesetzen. Wohlgemerkt, von damals gültigen Gesetzen, die uns heute inakzeptabel erscheinen würden. Hätten sich Hamilton, Jay und Madison damals an Deine Forderung gehalten, unsinnige Gesetze zu achten, hätte es The Federalist Papers nie gegeben.
Einstellungen eines derartig duckmäuserischen und vor allem unreflektierten Obrigkeitsgehorsams sind m.E. in der Wikipedia fehl am Platze; nicht unrichtig ist sicherlich, dass anonyme Edits, wie Du schreibst, "überwacht [...] und falls notwendig eben in der Versionsgeschichte versenkt werden"; in dem von Dir immer wieder vorgeführten Geist bedeutet das aber plötzlich, dass anonyme Edits nicht uberwacht werden, weil sie potenziell destruktiv, sondern grundsätzlich aufgrund ihrer Anonymität suspekt sind; und dass es "notwendig" ist, sie in der Versionsgeschichte zu versenken, obwohl sie vielleicht richtig und wichtig sind, aber irgendjemandem nicht genehm sein könnten oder womöglich sogar gegen "Vorschriften" verstoßen (wenn ich mich dann noch erinnere, wie man solche "Vorschriften" auch noch selbst erlassen oder einfach beugen kann, möchte ich gar nicht darüber nachdenken, was für eine "Ethik" hinter einer solchen Denk- oder vielmehr Gehorchenwollweise steht).
Außerdem verstehe ich überhaupt nicht, wie Du angeblich *für* anonyme Edits in der Wikipedia eintreten und gleichzeitig für straff gesetzestreue Auslegung unsinniger Impressumspflichten in Website-Impressa eintreten kannst. Entweder man akzeptiert die grundsätzliche Berechtigung und Notwendigkeit von Anonymität und damit auch die von Grenzüberschreitungen (wie dem Ignorieren von unsinnigen Plichtangaben in Impressa), oder man möchte eben grundsätzlich gläserne Akteure (und ist dann falsch in der Wikipedia).
-asb