Am Mittwoch, 8. Dezember 2004 23:42 schrieb peterchen@arcor.de:
Heute schreibe ich über alles mögliche - aber nie wieder über meine Fachgebiete! 2 Freunde von mir sind auch dabei - gleiches Ergebnis. Und
Am Mittwoch, 8. Dezember 2004 18:21 schrieb Klaus Graf:
Es fehlen [...] hinreichend Fachleute, die a) bereit sind, groessere gute Ueberblicksartikel zu schreiben, b) diese wie Zerberus vor den Verschlimmbesserungen der Hobby-Autoren zu bewachen sowie
Andere haben hier in der Vergangenheit ziemlich genau das gleiche geschrieben. Das Problem ist seit langem bekannt. Fachleute verlieren die Lust, über ihre Fachgebiete zu schreiben, weil sie die Artikel quasi lebenslang schützen müssten. Das betrifft mittlerweile so ziemlich alle Fachbereiche.
Es ist ein allgemeines Problem der Wikipedia. Und es sollte wirklich endlich mal zu denken geben. Die Theorie über Wikis sagt, dass Artikel nicht schlechter werden, sondern besser - und zwar ganz von allein, ohne dass es ein Eigentum an Artikeln gibt oder eine zentrale Redaktion. Die Teilnehmer sagen durch die Bank, dass das Gegenteil der Fall ist - dass gute Artikel regelrecht beschützt werden müssen, um nicht in die Mittelmäßigkeit heruntergezogen zu werden. Das ist für gute Autoren ein ähnlicher Abtörner wie mittigerseits angebräunte Feinrippunterhosen für die Damenwelt. (Anhängerinnen des [[Fäkalfeinrippunterhosenfetischismus]] mal ausgenommen).
Frage: Warum ist das so? Warum werden die guten Artikel schlechter, wenn man man nicht dauernd wie ein Schießhund auf sie aufpasst?
These 1) Der Beschützerinstinkt der Autoren sorgt aus noch zu definierenden Gründen dafür, dass die Artikel schlechter werden statt besser, weil er eine evolutionäre Entwicklung zum besseren hin verhindert. These 2) Wikis sind evolutionäre Systeme. Lässt man das Wiki laufen, passen sich Artikel der Umwelt an, die aus der Erwartungshaltung der Teilnehmer an die Artikel, und dem Input, den sie liefern können, besteht.
Nachdem mir keine Gründe einfallen, warum Artikel besser werden sollten, wenn man zulässt, dass Gutes entfernt und Unsinn hinzugefügt wird, bin ich von der Richtigkeit der These 2 überzeugt. Logische Folge dieser These: sind die Artikel auf einem schlechten Niveau, so liegt es an den Teilnehmern, und an nichts anderem. Die Steuerung der Qualität der Artikel kann in einem Wiki, das ohne Artikelbewacher auskommen soll, nur über die Steuerung der Qualität der Teilnehmer erfolgen.
Die Frage darf in einem Wiki also nicht sein: Wie bekomme ich bei bestehender Teilnehmerstruktur bessere Artikel, sondern: Wie verändere ich die Teilnehmerstruktur so, dass die Artikel besser werden?
Der Ansatz in die Natur übertragen: Wie kriege ich es hin, das Elefanten fliegen oder tauchen lernen? Die Antwort ist nicht, leichteren und schwimmfähigeren Elefanten ein grünes Bapperl zu verpassen und anderen ein rotes (das wäre der Bewertungs-Ansatz), und dann zu hoffen, dass irgendwer daher kommt und den rotbepapperlten Fett absaugt oder sie so genmanipuliert, dass ihnen Flossen wachsen. Die bessere Antwort ist, den Wasserspiegel über tausende von Generationen langsam steigen zu lassen - der Rest passiert von selber (vorausgesetzt die Rüsselträger ersaufen nicht oder sie kriegen noch längere Rüssel).
Letzter Absatz: Ich weiß, das Evolution nicht zielgerichtet ist. Aber die Evolution in der Wikipedia soll zielgerichtet sein - es sollen gute Enzyklopädieartikel rauskommen und nicht Shakespeares gesammelte Werke; wir reden also genaugenommen eher über Züchtung. Aber auch da kommts drauf an, dass klar ist, wo die Reise hingehen soll - wenn das Zuchtziel nicht klar ist, bleibt ein Wolf ein Wolf und wird weder zu einem Bernhardiner noch zu einem Zwergpinscher. Vor allem kommt es darauf an, was die Züchtergemeinschaft für wesentlich hält: wenn der Bernhardinerzüchterverein einen Bernhardiner haben will, aber im eher wichtig ist, dass vor allem die jeweils kleinsten Viecherl miteinander dürfen, weil die ja weniger Dreck und Arbeit machen, braucht man sich nicht wundern, wenn der am Ende einen Zwergpinscher gezüchtet hat und - durch Zu- und Abgänge von Mitgliedern - ein Zwergpinscherzüchterverein geworden ist, der sehr stolz auf sich ist.
Genug der hinkenden Vergleiche, ich geh mir jetzt ein Bierchen trinken.
Uli