Ulrich Fuchs wrote:
Das Problem der Wikipedia ist nicht mit Artikelsperren zu lösen, sondern m.E. nur mit: 1) einer klaren Definition von oben, was man sein will und was nicht,
Wikipedia funktionert bisher "Bottom-up", ist also ein prototypisches Graswurzelprojekt. Ansagen "von oben" ("oben" = Jimbo Wales, der Hinterzimmer-Club etc.) würden diesen Vektor umkehren, mit allen Folgen, die eintreten, wenn man fundamentale Prinzipien übergeht (z.B. Rotationsprinzip bei den Grünen). Irgendwas würde das sicherlich auch für die Wikipedia bewirken, vielleicht würde es sogar nur ein bißchen schaden, ganz sicher wäre Wikipedia jedoch nicht mehr das Projekt, das unter [[Wikipedia]] beschrieben wird.
Deine Idee löst also nicht ein Problem der Wikipedia, sondern definiert das Projekt um, um damit ein anderes Problem zu lösen, dass die derzeitige Wikipedia gar nicht hat. Bekanntlich hat der halboffene "Top-down"-Ansatz à la Larry Sanger ja auch nicht funktioniert.
- einer verpflichtenden Anmeldung mit email-Bestätigung (um den
Aufwand zur Anmeldung hoch zu treiben);
Das Problem von böswilligen oder manipulativen Edits löst das nicht, sondern verschiebt es allenfalls graduell. Ich meine hier nicht irgendwelche einsamen Spielkinder, die "HALLO MUTTI" in den Artikel über Martin Heidegger schreiben, sondern die richtig üblen Gesellen, die planmäßig und zielgerichtet vorgehen.
Beispiel (aus der Wikipedia-Realität, hier aus verschiedenen Gründen etwas abstrahiert): Seitdem Wikipedia wichtig geworden ist, hat nicht zuletzt die Marketing-Mafia Wikipedia entdeckt; die Leute werden ja bekanntlich für ihren Viral-Schweinkram bezahlt, im Gegensatz zu den Wikipedia-Freiwilligen; schon hier beginnt also die Ungleichgewichtigkeit. Am Anfang eines Lernprozesses hat man erst versucht, grob zu manipulieren (anonyme Edits, Löschen des Artikelinhalts, Austauschen gegen Marketingmaterial etc.); das ist meist rasch aufgeflogen, seitdem hat man gelernt, subtiler vorzugehen. Die Edits kommen beispielsweise derzeit noch immer aus bestimmten Subnetzen, die auf gewisse Firmen und ihre Werbeagenturen registriert sind, aber Benutzeraccounts hat man längst eingerichtet, man ersetzt Artikelinhalte nicht mehr auf einen Schlag, sondern schleichend und über einen Zeitraum von mehreren Monaten. Und man vermeidet es, Werbetexte zu posten, die ein aufmerksamer Wikipedianer auch anderswo im Netz auffinden kann. *Wir* haben denen beigebracht, worauf sie achten müssen, als wir auf Diskussionsseiten offengelegt haben, wie wir beispielsweise bei Google nach einer URV suchen, dass wir anonyme Edits aufmerksamer beobachten als solche von angemeldeten Benutzern usw.
Dieser Lernprozess hat bei unseren Gegnern gerade mal ein Jahr gedauert -- vorher war Wikipedia weder als politisch noch ökonomisch bedeutsam wahrgenommen worden. Jeder kann nun permutieren, was die Marketing-Verbrecher im nächsten halben Jahr lernen werden und welcher unbezahlte Wikipedianer in der Lage sein wird, der geballten Interessenagglomeration der Gegenseite systematisch nachzuspüren.
Ich will damit ausdrücken, dass Du mit Kindereien wie Registrierungspflicht mit gültiger E-Mail-Adresse nicht gegen massive Interessen ankommst, insbesondere dann nicht, wenn man sie einen kommerziellen Backgrund haben; dann werden eben rasch Tarn-Adressen aufgesetzt, ebenso wie Werbeagenturen mittlerweile Dienstleister für das Betreiben von Linkfarmen bezahlen; den Aufwand betreibt man auch erst, seitdem Google-Rankings als relevant eingestuft werden; einen entsprechenden Aufwand wird man betreiben, wenn andere Informationsquellen relevant werden -- und dazu gehört mittlerweile nunmal die Wikipedia. Firmen, die erfundene Presseberichte in ihrer Werbung abdrucken oder gefakte Pseudodokumentationen produzieren, wirst Du definitiv mit einer Registrierungspflicht nicht abschrecken. Wenn schon, dann müßte man eine solche Identifikation rechtsverbindlich machen, und das bedeutet PostIdent für jeden, der schreiben will. Ich mag PostIdent, für ein Wiki macht das aber keinen Sinn.
Wikiweise hat ein solches Problem nicht, weil es -- bitte versteh' das nicht falsch -- unbedeutend ist und von keinem unserer gemeinsamen Gegner ernst genommen wird. Sollte Wikiweise irgendwann einmal in den Sichtkreis dieser Interessengruppen gelangen, wirst Du das sicherlich als erster bemerken und dann feststellen, dass Deine Schutzmechanismen auch nicht ausreichen, nur werden sie vielleicht ein paar Wochen länger halten.
Etwas allgemeiner formuliert: Die Gegenseite, von der ich spreche, sind Vertreter von Partikularinteressen; das kann eine Firma sein, oder ein Branchenverband, oder meinetwegen auch eine Partei oder eine Sekte. Diese Partikularinteressen decken sich nur minimal oder überhaupt nicht mit denen der allermeisten Wikipedianer und widersprechen per Definition dem NPOV-Grundsatz. Der beste Schutz gegen die Durchsetzung von solchen Partikularinteressen in offenen Projekten besteht in einem radikalen Bekenntnis zu einem klaren Grundsatz wie NPOV in Kombination mit der geballten Macht der "Massen"; im Prinzip funktioniert das "100-Augen-Prinzip" gut genug, nur müssen die hundert Augen in demselben Maßstab skalieren, wie die Gegenseite "aufrüstet". Konkret bedeutet das, Wikipedia muß mehr aktive, engagierte und kompetente Mitarbeiter finden, damit überhaupt wieder hundert Augen zum Gucken da sind -- momentan scheint das Verhältnis längst zu Ungunsten der Wikipedia gekippt sein, und hundert "Partikularisten" werden mit einem halben und dann auch noch übermüdeten Wikipedianer-Auge beobachtet. Das Problem ist m.E., dass das "100-Augen-Prinzip" momentan ausgehebelt ist und nicht in dem Maßstab engagierte Wikipedianer "nachgewachsen" sind, wie die Bedeutung der WIkipedia zugenommen hat.
Ich glaube daher nicht, dass halbherzige Beschränkungen (maximal "n" neue Edits pro Tag, Pseudo-Registrierungspflicht etc.) irgend etwas lösen; sie doktorn an Symptomen herum, lösen jedoch das Problem nicht.
MfG -asb