Scheweks Idee zur Versionskennzeichnung finde ich prinzipiell ganz gut, schaden kann eine solche Funktion jedenfalls nicht. Eine andere Sache ist, diese Funktion in die Software zu bringen. Da wird man erstmal die Benutzer anderer Sprachversionen und dann die Entwickler überzeugen müssen.
Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass nun plötzlich, nur weil die Leser die Möglichkeit bekommen, geprüfte Versionen zu sehen, die Mitarbeiter viel stärker motiviert sind, solche Reviews durchzuführen. Momentan wird täglich etwa ein neuer "exzellenter" Artikel produziert. Wieviele Artikel täglich erfolgreich einen Reviewprozess durchlaufen (ohne danach "exzellent" zu sein), überblicke ich nicht ganz. Das scheinen aber auch höchstens 5-10 zu sein. Da muss man sich doch fragen, wann "Version 1.0" fertig sein wird.
Ein sehr ambitioniertes Ziel wäre, diese Version in einem Jahr fertig zu haben. Beim gegenwärtigen Wachstum gibt es bis dahin wahrscheinlich etwa 350.000 Artikel. Das bedeutet, jeden Tag müssten etwa 1.000 Artikel geprüft werden, also 100 bis 1.000 mal so viele wie heute.
Mindestens müssten aber täglich so viele Artikel geprüft werden wie neue hinzu kommen, also z.Z. etwa 400, wenn man irgendwann mal alle geprüft haben will.
Wikipedia hat außerdem den Anspruch, aktueller zu sein als herkömmliche gedruckte oder auf CD/DVD gepresste Enzyklopädien. Wie ist es vereinbar, gleichzeitig aktuelle und geprüfte Informationen anzubieten? Wenn man den herkömmlichen Enzyklopädien nicht hinterher laufen will, muss man wohl jeden Artikel mindestens einmal im Jahr prüfen. Eine begrenzte Zahl von notwendigen Reviews pro Tag erhält man dann natürlich nur, wenn man die Menge der regelmäßig zu prüfenden Artikel einschränkt. Wenn man also 100.000 oder 200.000 "Kernartikel" definiert, kann man mit 274 bzw. 546 täglich zu prüfenden Artikeln rechnen.
Wie auch immer man rechnet, es wären viel mehr Reviews nötig als die Leute (sehr wahrscheinlich) bereit sind durchzuführen. Das ist an sich auch kein Wunder, denn es ist ja viel leichter, einen Artikel anzulegen und etwas daran herumzufrickeln, als den Artikel eingehend zu prüfen und aufzupolieren, was ja bedeutet, dass mehrere Leute, die auch zumindest eine gewisse Grundahnung vom Thema haben, alle Fakten prüfen, Fehlendes ergänzen, die Lesbarkeit erhöhen, das Artikelumfeld überprüfen und ggf. Einheitlichkeit herstellen, usw., und dabei auch noch ständig miteinander diskutieren und schlimmstenfalls auch noch entgegengesetzte Meinungen unter einen Hut bringen müssen.
Ich glaube deshalb nicht, dass sich mit den Reviews, so wie sie heute durchgeführt werden (und Scheweks Vorschlag weicht davon kaum ab), an der gegenwärtigen Situation viel ändern wird, und die sieht aus der Leserperspektive so aus: Wenn der Leser Erklärungen zu einem Begriff sucht, wird er mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 bis 2 Promille auf einen Artikel stoßen, der ziemlich gut und verlässlich ist und als "exzellent" gekennzeichnet ist. Die anderen Artikel sind mal sehr gut und mal sehr schlecht, und der Leser muss selbst einschätzen, womit er es zu tun hat. Diese Situation verbessert sich auch dann nicht grundlegend, wenn 1 bis 2 Prozent oder sogar 10 bis 20 Prozent der Artikel gut und verlässlich und als solche markiert wären. Viel wichtiger als die Ausweitung der besten Artikel ist meiner Meinung nach zum jetzigen Zeitpunkt die Verbesserung der Masse der mäßigen und schlechten Artikel, so dass jeder Artikel in einer geprüften Version zumindest einen Mindeststandard erreicht.
Damit die Benutzer von einer solchen Basisprüfung möglichst häufig Gebrauch machen, muss sie ebenso einfach wie das Ändern der Artikel sein und möglichst vielen Leuten zur Verfügung stehen. Ich habe auch einen konkreten Vorschlag, der evtl. parallel zu Scheweks Versionskennzeichnung laufen könnte:
* Jeder angemeldete Benutzer kann einzelne Versionen bewerten, nach verschiedenen Kriterien: vandalisiert oder nicht, Fakten, Vollständigkeit, Neutralität, Einbettung in das Artikelumfeld; außerdem vielleicht noch eine Selbsteinschätzung des Verhältnisses des Prüfers zum Thema: mehrere Stufen von "keine Ahnung" bis "Experte".
* Jede Bewertung wird zusammen mit dem Benutzernamen einzeln gespeichert.
* Ein Leser kann bestimmen, dass er nur die letzte Version angezeigt bekommt, die einem gewissen Mindeststandard genügt. Z.B. könnte er verlangen, dass mindestens zwei Benutzer (oder auch nur ein Benutzer) meinen, dass die Fakten etc. stimmen.
* Welche Benutzer als Prüfer akzepiert werden, kann der Leser selbst bestimmen. Dafür könnte man das bereits existierende "Vertrauensnetz" verwenden. Aus den Informationen, wer wem vertraut bzw. misstraut, kann man auch für nicht angemeldete Benutzer oder solche, die keine Lust haben, alle möglichen Leute zu bewerten, eine recht verlässliche globale Liste von Benutzern bestimmen, die zumindest gutwillig und nicht allzu inkompetent sind.
Mir ist bewusst, dass mein Vorschlag mindestens ebenso weit von einer Realisierung entfernt ist wie der von Schewek.
Mein Vorschlag geht offenbar in eine ganz andere Richtung als Ulrichs Vorstellungen, was aber nicht bedeutet, dass man ein solches Konkurrenzprojekt nicht auch mal probieren sollte. Die Wikipedia, in der jeder planlos herumwerkeln kann, benötigt vermutlich ganz andere Mechanismen um zum Ziel zu kommen als ein Projekt, bei dem jeder einzelne das Ziel im Auge hat, bevor er mit der Arbeit beginnt.
El, ...