Ist es eine gewagte These anzunehmen, dass Wikipedia-Artikel a) im Laufe der Zeit immer besser werden, und b) dieser Prozess desto mehr Zeit benötigt, je komplexer der Gegenstand eines Artikels ist?
Ja. Es gibt kein Anzeichen dafür, dass diese These stimmt. Wir bekommen mit der Zeit nur mehr Artikel, aber nicht bessere Artikel. Wir lügen uns bezüglich der Qualität, die die Wikipedia zu produzieren in der Lage ist, selber in die Tasche. Selbst das, was wir als exzellente Artikel bezeichnen, sind amateurhafte Arbeiten auf dem Niveau eines (wenngleich guten) gymnasialen Referats - weit davon entfernt, exzellent im eigentlichen Sinne zu sein. Es ist nur nicht ganz so schlecht wie der Rest.
Es geht aber gar nicht um den aktuellen Zustand, sondern darum, dass dieser Zustand sich nicht mehr zum besseren hin verändert (was vor einem Jahr noch anders war). Die gegenwärtige Zusammensetzung der Community setzt der Qualität der Artikel offenbar Grenzen. Die Artikel werden meines Erachtens nur in Spezialbereichen besser, wo sich ein oder zwei Fachleute relativ abgeschottet mit dem Thema beschäftigen, und sie sammeln jede Menge Belanglosigkeiten (nicht neues Wissen) an, sobald diese Leute die Arbeit am Artikel einstellen und ihn nicht ständig überwachen. Das ist kein Problem des Wiki-Prinzips, das ist ein Problem von zu vielen Usern, die zu wenig wissen, worauf es bei Enzyklopädieartikeln ankommt. Und dieses Problem ist hausgemacht, weil die Mitglieder der ersten Wikipedia-Generation, die ursprünglich mal Enzyklopädie machen wollten, diesen Usern nicht konsequent genug den Stuhl vor die Tür gesetzt haben und die Community heute deshalb eine andere ist, die das Steuer nicht mehr rumreißen kann.
Wenn wir weitere Möglichkeiten erblicken, diesen Prozess zu beschleunigen, prima. Aber m.M.n. ist es viel wirkungsvoller, ein konstruktives, freundliches Arbeitsklima zu schaffen, als "Hobbyisten" aus dem Projekt zu vertreiben (sofern man letzteres für sinnvoll hält, was ich - es wird nicht überraschen - nicht tue). Beides ist nicht zwingend ein Gegensatz, hängt aber miteinander zusammen.
Nun, vielleicht liegt es ja am Hätscheln der Hobbyisten auf Kosten der qualifizierten Teilnehmer, dass das Arbeitsklima weder konstruktiv noch freundlich ist?
Kurt, ich weiß, das die klassische Wikiwelt "Wikilove" predigt. Aber wer ist die klassische Wikiwelt? Wards Wiki mit ein paar hundert Änderungen täglich, Meatball mit irgendwas zwischen 10 und 20? Wikipedia hat in Spitzenzeiten einige Tausend Änderungen in der Stunde - Ich gebe zu bedenken, dass die Prinzipien der kleinen Wikis möglicherweise nicht unbedingt auf unsere Größenordnung übertragbar sein könnten, zumal sich die Erfahrungen dort auf Wikis als Kommunikationsplattform einer Community (Wards Wiki) oder als "General pupose wiki" (susnig) verstehen, bei uns aber das Wiki als Mittel zum Zweck der Wissensorganisation gedacht war, nicht als Kommunikationsmedium. Die größte Gefahr für die Wikipedia ist derzeit, dass sie in Richtung Kommunikationsmedium driftet, weil die Teilnehmer offenbar zunehmend vergessen, dass das Wiki nur ein Mittel zum Zweck der Enzyklopädieerstellung ist, nicht der freie Webspace für alles und jedes.
Uli