Von: Henriette Fiebig
Ralph Teckentrup wrote:
Du wirst Dich entsinnen, daß wir "frouwe" in diesem Lied einvernehmlich und in Übereinstimmung mit Benecke, Müller,
Zarncke mit
"Geliebte" übersetzt haben. Soviel zum Thema richtig und falsch ;-)
Hi Ralph!
Stimmt! _Du_ warst das ;)
Nun ist es aber so - ich hoffe die Liste hier schmeißt nicht bald das Handtuch bei soviel philologischer Spitzfindigkeit ;) -, daß "frouwe" "Herrin" heißt und nicht Frau. Und es bedeutet niemals und nimmer "Frau". Das mittelhochdeutsche Wort für Frau ist "wip" (was nicht - nur ums jetzt mal ganz zum Ende zu führen - Weib heißt). Wenn ich innerhalb der Übersetzung - und das ist ja immer Interpretation
- mich für ein in diesem Falle passenderes und wohlmöglich
auch für den modernen Leser verständlicheres "Geliebte" entscheide, dann ist das vollkommen korrekt, ändert an der eigentlichen Wortbedeutung "Herrin" und nicht "Frau" aber gar nix.
Eine interessante Debatte über die Wahrheit wissenschaftlicher Aussagen, die sicher weit über germanistische Kreise hinaus ihre Beachtung finden wird. Zumindest wird man uns dafür nicht den Kopf abreissen.
Natürlich heisst frouwe nicht Frau. Es heisst Herrin. Nur: Wie auch die neuhochdeutschen Worte Frau und Herrin sind mhd. wip und frouwe nicht ohne eine ganze Reihe von Konnotationen. Und leider sind nhd. Herrin und mhd. frouwe nicht identisch konnotiert sondern haben lediglich eine gewisse Schnittmenge, die es erlaubt zu sagen frouwe heisse Herrin. Wir können nur mutmaßen, was mittelaterlicher höfische Menschen sich so gedacht haben, wenn im besagten Lied die "here frouwe" besungen wurde (zumal von Betonung, Melodie und Tempo nichts überliefert ist). Jedenfalls scheint im Mittelalter die "Herrin" auch ein Wort für die "Geliebte" gewesen zu sein. Und das ist sie im neuhochdeutschen Sprachgebrauch eher nicht mehr (sadomasochistische Konstellationen mal außen vor gelassen). Das ist kein trivialer Sachverhalt und der muß selbst Germanisten und GermanistInnen öfter mal erläutert werden - und sei es, weil sonst allzu leicht frouwe mit Herrin übersetzt wird, ohne den Kontext zu beachten...
Trotzdem bin ich natürlich der Ansicht, daß es Wahr und Falsch in der Wissenschaft gibt, und dass man das für jeden Zusammenhang definieren kann (bei ausreichend weitgehender Erkenntnis, es gibt gewiß noch genug Unerforschtes). Und dieses Wahre ist doch wohl der Inhalt einer Enzyklopädie. Nur ist die Vermittlung des Wahren als Wahres anstrengend und man kann nicht erwarten, daß sich die Sachverhalte entgegen Volksetymologien, Ideologien und "gesundem Menschenverstand" immer von selbst durchsetzen. In der Regel muß man laufend das gleiche wieder ganz von vorn erklären. Übrigens haben die großen Papierenzyklopädien ein ganz ähnliches Problem, nur in anderen zeitlichen Dimensionen. Die Zahl der Korrekturen über die Jahrzehnte, die nicht nur einfach dem Fortschritt der Wissenschaft, sondern dem Wandel des Zeitgeistes/der herrschenden Ideologie geschuldet sind, ist doch sehr hoch - die Mediävistik ist dafür ein sehr gutes Beispiel.
Meint
Ralph (der derzeit auch mehr Gefallen daran findet sich an der Liste der Neuen Artikel abzuarbeiten, als sich seiner Fachwissenschaft zu widmen)