Ivo Köthnig schrieb:
Sehr ernst nehmen sollte man aber mal langsam, zu welchen Auswüchsen die Gewährung von zuviel Freiheiten und die Abwesenheit von zu wenig Hierarchie inner- und ausserhalb der Wikipedia führt. Wobei ich mir aber auch nicht sicher bin, ob Anwesenheit von Hierarchie soetwas wirklich verhindern würde.
Fakt ist, das Wikipedia in einer sehr bequemen Position ist. Irgendwie kann niemand so richtig dingfest gemacht werden. Das ist einerseits sehr schön, weil das die Vernünftigen unter uns, die etwas weiter als nur bis zur Informationsfreiheit denken, schützt, anderserseits bekomme ich Angst, wenn ich sehe, wie der Mob mit dieser Narrenfreiheit umgeht, insbesondere bei der durchaus jetzt schon gegeben Medienmacht, die Wikipedia inne hat. In diesem Punkt haben die Eltern und ihre Freunde nämlich durchaus recht!
Wenn ich in die Zukunft schaue, und ich mir als Wikipedianer irgendwann die Frage gefallen lassen muss, ob ich an einem Monster mitgewirkt habe, das die Privatsphäre jedes einzelnen durchleuchtet (und dahin steuern wir, die Personen und Dinge über sie, die wir erwähnen werden immer zahlreicher und unbedeutender) wird mir schlecht!
Zum Glück funktioniert es ja bei Urheberrechtsverletzungen auch ohne Hierarchie, da allen Beteiligten klar ist, dass wir keine URV in Wikipedia dulden können. Bei Persönlichkeitsrechten und anderen nicht ganz so klaren Rechtsverstößen ist es leider bisher nicht so einfach.
Hier könnten aus meiner Sicht Informationsethische Richtlinien (teilweise vergleichbar mit dem Pressekodex und der Hackerethik) ein wenig wenig weiterhelfen. Solche Richtlinien lassen sich aber nicht so einfach von heute auf morgen aus dem Boden stampfen und in der Community etablieren. Ich würde mich freuen, wenn die Anregung der Eltern von Tron aufgegriffen wird und sich eine Ethik der (deutschsprachigen) Wikipedia herausbildet - zu Teilen haben wir sowas ja auch schon mit der Wikiquette.
Wo ich grade recherchiere: Der Artikel [[Allgemeine Erklärung der Menschenrechte]] ist ja noch ziemlich dünn. Bei einer Wikipedia-Ethik geht es aus meiner Sicht um Abwägungen zwischen § 1 (Menschenwürde und Rechte) § 11 (Unschuldsvermutung) § 12 (Schutz des Privatlebens und der Familie)
auf der einen und
§ 18 (Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit) § 19 (Recht auf Meinungsfreiheit) § 27 (Recht auf Kultur)
auf der anderen Seite. Außerdem sind die Menschenrechte ja nicht die einzige Quelle, die herangezogen werden kann. Rainer Kuhlen und Rafael Capurro können uns bestimmt aus wissenschaftlicher Sicht weiterhelfen:
<Schleichwerbung> * Rainer Kuhlen: Informationsethik – Ethik in elektronischen Räumen. UTB, 2004 ISBN 3-8252-2454-6 * Rafael Capurro: Ethik im Netz. Franz Steiner Verlag, 2003 ISBN 3-515-08173-9 (Schriftenreihe Medienethik 2) * http://www.nethics.net/ * http://icie.zkm.de/ </Schleichwerbung>
Und da sage noch jemand, das Philosophie keine praktische Relevanz hat!
Gruß, Jakob