Seit einigen Jahren bin ich nicht mehr für die Wikipedia tätig. Es gibt verschiedene Gründe, die mich dazu veranlaßt haben, meine Freizeit nicht mehr in dieses einstmals faszinierende Projekt zu stecken. Ab und zu schaue ich mal nach, ob sich vielleicht doch was zum Besseren verändert hat, was bisher nicht wirklich der Fall ist. Aber wenigstens wird jetzt mal über grundsätzliche Fragen diskutiert.
Ein Punkt ist das immer noch geradezu absurde Mißverhältnis zwischen QS und Löschdiskussionen. Es scheint so einen Konsens zu geben, daß die QS eine Art Privatprojekt von einem relativ kleinen Zirkel ist, in der Löschhölle fühlt sich aber jeder berufen, zu jedem beliebigen Thema seinen Senf dazu zu geben, je schärfer desto besser. Oft wird argumentiert, "die QS" wäre nicht in der Lage, den einen oder anderen Artikel, mangels Fachkenntnis, in fachlicher Hinsicht zu verbessern. Wenn nun schon für simple Verbesserungen nach Fachleuten gerufen wird, wie absurd ist es dann, ohne Expertenrat über die ultimative Frage des Weiterbestehens eines Artikels zu entscheiden? Die ganzen Relevanzkriterien sind doch nur der Versuch, Fachkenntnis durch einen überbordenden Formalismus zu ersetzen, damit auch wirklich jeder zu jedem Thema eine Löschdiskussion lostreten kann. Es zeigt sich in den Bereichen, die in der Wikipedia noch einigermaßen funktionieren, daß man auch ohne Relevanzkriterien auskommen kann, da sie gewissermaßen durch die Fachwelt schon vorgegeben sind: Beispielsweise sind Lebewesen "relevant", wenn sie von der Wissenschaft als eigene Art beschrieben sind.
Deshalb mein Vorschlag: Schafft diese Löschhölle komplett ab! Ein Artikel, der im aktuellen Zustand nicht akzeptabel ist, gehört in die QS, dort wird entschieden, ob er verbessert oder an ein entsprechendes Portal überwiesen wird (oder beides), Löschen ist keine Option, allenfalls Löschempfehlung bei Verdacht von mißbräuchlicher Wikipedia-Nutzung (Werbung/Theoriefindung). Die Löschdiskussion findet dann, wenn überhaupt, nur auf dem Fachportal statt. (Es bedarf wohl keiner Diskussion, daß Klowandschmierereien und juristisch bedenkliche Inhalte keine Sekunde länger als nötig bleiben dürfen.) Mag sein, daß viele Portale mangels Mitarbeitern nicht wirklich "funktionieren" und deshalb manches an Arbeit liegenbleibt, aber Artikeleinsteller in entsprechenden Bereichen sind zumindest mal potentielle Mitarbeiter, die es gilt, zu dem Portal zu lotsen. Und daß es durchaus möglich ist, mit relativ geringem Aufwand einen unzulänglichen Artikel auf Vordermann zu bringen, zeigt sich immer wieder, wenn bei Löschdiskussionen "wegen gescheiterter QS" doch noch jemand Hand an den Artikel legt. Sollte es dem betreffenden nicht peinlich sein, das nicht vorher schon getan zu haben? Die QS ist kein geschlossener Privatzirkel!
Sicher, die zentrale Löschdiskussion hat ihren Unterhaltungswert, aber für eine solche Arena mit ihren blutigen Gladiatorenkämpfen sollte das Projekt Wikipedia eigentlich zu schade sein. Wem es wichtiger ist, daß "unwichtige" Artikel verschwinden, als daß fachkundige Mitarbeiter bei der Stange bleiben, darf sich nicht wundern, wenn das Projekt den größten Teil seiner ursprünglichen Dynamik einbüßt. Das Argument, eine Vielzahl von Artikeln erfordert einen entsprechenden "Pflegeaufwand" kann ich nicht ganz nachvollziehen. Es heißt doch immer, Wikipedia sei kein Restaurantführer, Branchenverzeichnis, Vereinsregister, usw., wenn es gilt, fragwürdige Artikel rauszuwerfen. Aber genau diese Aussage entbindet Wikipedia ja auch von der Aktualitätspflicht. Wen kümmerts, wenn bei einem Viertligaverein noch der Kader von vor drei Jahren aufgeführt ist? In der Versionsgeschichte erkennt man, was wann aktualisiert wurde, zudem sind solche Aktualisierungen noch eine relativ einfache Übung für Gelegenheitsmitarbeiter. Und schließlich gibt es in deutschen Wohnzimmern sicher auch noch Tausende von Lexika, in denen Helmut Kohl immer noch Bundeskanzler ist und die deshalb nicht gleich unbrauchbar sind.
Viele Grüße Wolfgang