Am Freitag, 4. März 2005 01:56 schrieb Elisabeth Bauer:
Und der nächste: http://en.wikipedia.org/wiki/User:Mirv
Das "fetishization of process is the worst" halte ich für eine richtige Feststellung. Die Vfd-Problematik sehe ich für die deutschspr. WP nicht, was da landet, landet da größtenteils berechtigt, und es landet viel zu wenig da. Mittlerweile werden - fetishization of the process - im Gegenteil bei der dt.spr. Wp viel zu viele Anträge mit dem Verweis auf irgendwelche Löschregeln schonmal von vorneherein abgelehnt. Interessant zu beobachten, wie diese ursprünglich für Admins gedachten Regeln, wann sie Artikel mal eben wegputzen können und wann sie sie besser zur Diskussion stellen sollten, zu einer "Löschantragsstellvoraussetzung" mutierten.
Offenbar scheint es - ich spreche jetzt nur fr die dt.spr. WP, aber ich fürchte, es ist ein Grundproblem von Wikis in dieser Größerordnung - eine Art Stille Post zu geben, was den Hintergrund und die Bedeutung der Regeln angeht, die sich die Community geschaffen hat. (Man kann das auf den Diskussionsseiten schön beobachten). Sie werden von einer auf die nächste "Generation" immer leicht falsch tradiert, und verändern dadurch ihre Bedeutung und auch das Feld, für das sie angeblich Gültigkeit besitzen. Über bleibt letztlich eine Regelwerk, das seinen Sinn, Entscheidungen für Routinefälle nicht jedesmal neu finden zu müssen, verfehlt.
Was Wikipedia nach wie vor fehlt (und was sie wohl nie bekommen wird, dafür ist es zu spät), ist eine allgemein akzeptierte Grundverfassung, die das Projektziel klar definiert (insbesondere, was WP unter einer "Enzyklopädie" versteht). 95% der Regeln in der WP dienen dazu, eine Gemeinschaft zu organisieren, die sich offenbar nicht darüber klar ist, was sie eigentlich will, (nur 5% der Regeln beschäftigen sich mit Inhalten (Namenskonventionen etc.)) - damit reiben sich die Leute untereinander auf, erfinden immer neue Regeln, missinterpretieren alte, es fallen letztlich die Leute aus, denen es um Inhalte geht und es bleiben die, denen es um die Reibereien geht. Damit wirkt der evolutionäre Druck auf die verbleibenden Inhalte in Richtung "gut für Reiberei" und nicht "gut für das deklarierte Ziel", und der Teufelskreis schließt sich.
Ich halte daher auch Versuche wie Vermittlungsausschuss, Arbitration Committee, Three revert rule usw. für völlig kontraproduktiv. Geregelt werden muss nicht, wie die Wiki-Community funktioniert (mit ein paar Ausnahmen: Keine persönlichen Angriffe etc.) und wie Streit zu schlichten ist (was nur zu neuem Streit führt), geregelt werden muss, was die Inhalte sein sollen. Eine "drei-revert-Regel" ist Unsinn (sie ist Wiki-spezifisch), eine "keine Aussage ohne Angabe einer wiss. Quelle"-Regel ist sinnig (sie regelt was Inhalt sein kann und was nicht). Eine "Abgelehnte Löschanträge dürfen nicht wieder vorgeschlagen werden"-Regel ist unsinnig, eine "Artikel mit vorwiegend werblichen Aussagen werden umgehend gelöscht"-Regel ist sinnig. Was es dann noch braucht, sind Admins, die Teilnehmer anhand dieser inhaltlichen Mitarbeit beurteilen dürfen und können und im Notfall die vor die Tür setzen, die sich nicht an die (dann nur noch sehr wenigen) Grundregeln halten können oder wollen.
Wikis funktionieren nicht, wenn Leute nicht mutig sind. In der Wikipedia kann man nicht mutig sein, als Normalo-User nicht (weil man dann nämlich jede Menge in den Artikeln stehenden Müll einfach kaltschnäuzig löschen müsste, was die Müll-Schreiber sofort auf einen losschlagen lässt (INHALTSVERNICHTUNG!!!)), und als Admin auch nicht, weil man in ein Korsett aus Regeln gepfercht ist, die letztliche sämtliche Mittel, die man fürs mutig-sein bräuchte, faktisch einer Minderheit von Usern unterordnen, die auf diversen Meta-Seiten möglichst laut schreien. Die "ever-increasing power of sysops", die Mirv bemängelt, kann ich zumindest für de nicht feststellen - im Gegenteil; als ich als Admin anfing, waren die Machtbefugnisse eines Admins weitaus größer, und wir waren weitaus produktiver. Einen Cassiel sind wir innerhalb von zwei Wochen losgeworden, bei einem Thomas7 eiert die Wikipedia seit bald vier Monaten rum, und das liegt nicht nur an der Größe, sondern daran, dass faktisch kein Admin mehr die Macht hat, den Schlüssel umzudrehen.
Uli