Lieber Alexander Juhrich, liebe Liste,
nach der Löschung von vier Loriot-Briefmarken aufgrund einer Office
Action am 8. November häufen sich hier die Anfragen. Die Prominenz des
Namens bringt damit eine Diskussion wieder in Schwung, die bereits im
September unter
http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia_Diskussion:Bildrechte#Text.C3.A4nder…
geführt wurde. Im Endeffekt könnte der konkrete Fall durchaus
Auswirkungen darauf haben, wie künftig mit Briefmarken innerhalb DE:WP
umgegangen wird. Ich möchte hier die Gelegenheit nutzen, die
Beweggründe für die Löschung etwas näher zu erläutern:
Die Löschung der Wohlfahrtsmarken mit den Loriot-Motiven „Das
Frühstücksei“, „Herren im Bad“, „Auf der Rennbahn“ und „Der Sprechende
Hund“ am 8.11.2011 war notwendig geworden, da eine Miterbin Loriots am
Landgericht Berlin eine einstweilige Verfügung gegen WMF erwirkt
hatte, nachdem sie die Urheberrechte ihres Vaters vorsätzlich verletzt
sah. Verbunden damit war die Androhung strafrechtlicher Konsequenzen
gegen die Verantwortlichen von Foundation bzw. deutschem Chapter. Die
EV ist mittlerweile einsehbar. [1] Unabhängig von der Frage, ob diese
Verfügung zu Recht ergangen ist, ist das mit der Verfügung ergangene
Verbot zu beachten. Alleine deswegen schon mussten die Briefmarken
entfernt werden.
Nach eingehender Analyse durch unsere Kanzlei JBB sowie das Legal
Department der WMF sahen alle Beteiligten keine andere Möglichkeit als
die unverzügliche Löschung – vorbehaltlich einer umfassenden Klärung
des Sachverhalts . Die Löschung erfolgte auf dem Wege der „Office
Action“, diente also der akuten Schadensabwehr. [2]
Der „Office Action“ seitens der WMF ging ein schwieriger
Abwägungsprozess voraus. Der wichtigste Grund für diese
außergewöhnliche Maßnahme betrifft die Sorgfaltspflicht gegenüber
Dritten: Ein Verbleib der Briefmarken-Abbildung auf Commons und WP
hätte insbesondere bei Nachnutzern zu unkalkulierbaren Risiken
geführt.
Die WMF hat naturgemäß keine dezidierte Position zur
urheberrechtlichen Stellung von Briefmarken in Deutschland. Doch fühlt
sie sich in ihrem Handeln zumindest auch an das geltende US-Copyright
und insbesondere dessen Durchsetzungsmöglichkeiten im Zuge des
„Digital Millenium Copyright Act“ gebunden. [3]
Der urheberrechtliche Status von Briefmarken wird zwischen Teilen der
deutschen WP-Community und der herrschenden Meinung in der
rechtswissenschaftlichen Literatur vollkommen unterschiedlich
bewertet. [4] [5] Im Kern geht es dabei um die Bewertung von
Briefmarken als amtliche Werke, auf welche die Schutzzweckbestimmungen
des UrhR keinerlei Anwendung fänden. [6]
Nach intensiver Beratung mit der von uns beauftragten Kanzlei JBB sind
wir zur Ansicht gelangt, dass das einzige einschlägige Urteil, auf das
sich auf die Gemeinfreiheits-These berufen kann (LG München, AZ 21 S
20861/86) leider keine ausreichende Handlungsgrundlage bietet. Zum
einen datiert es vom 10.3.1987, erging also noch vor der
Privatisierung der Deutschen Bundespost. Von daher ist eine
wesentliche Voraussetzung der damaligen Entscheidung – nämlich die
Aufnahme im “Amtsblatt des Bundesministers für das Post- und
Fernmeldewesen” – mittlerweile obsolet. Die Deutsche Post AG als
privates Logistikunternehmen ist nicht auf die Produktion amtlicher
und damit gemeinfreier Werke verpflichtet, so sehr wir dies auch
bedauern mögen.
Zum anderen wird die damalige Urteilsbegründung in der
rechtswissenschaftlichen Literatur einhellig angezweifelt (s. die
einschlägigen UrhR-Kommentare etwa von Schricker, Bullinger, Nordemann
und Dreier/Schulze). Vor allem Schricker (GRUR 1991, 645, 651) bringt
das zentrale Argument vor, dass Briefmarken trotz ihres Charakters als
Zahlungsmethode nicht aufgrund eines „Interesses der Allgemeinheit“
veröffentlicht werden, da sie keine reinen „Informationsträger“
darstellten.
Angewandt auf den konkreten Fall Loriot geht es also auch um die
Frage, ob die Knollennasen-Briefmarken getreu oder außerhalb ihres
originären Verwendungszwecks (als Zahlungsmittel) abgebildet wurden.
Man kann dabei durchaus zu der Einschätzung gelangen, dass sie im
Kontext eines biographischen WP-Artikels eher den spezifischen Stil
oder die Arbeitsweise des Künstlers Loriots veranschaulichen sollen.
Daher kann man sich der Sichtweise der Klägerin, dass es sich bei
einer gestalteten Sonderedition eines Künstlers prinzipiell um ein
schutzfähiges Werk handelt, u.E. nicht von vorneherein verschließen.
Nicht zuletzt wird diese Meinung auch von dem Gericht geteilt, das
über den konkreten Fall zu befinden hatte, nämlich das Landgericht
Berlin. Es hat die Qualifikation der Briefmarken als amtliches Werk
ausdrücklich verneint. Dies geschah in Kenntnis der Entscheidung des
Landgerichts München, die die Antragstellerin dem Gericht ausdrücklich
zur Kenntnis brachte. Das Gericht hat mit der Entscheidung folglich
die Auffassung des Landgerichts München verworfen. Ungeachtet dieses
konkreten Falls ist ein Klärungsprozess innerhalb der deutschen
Community zur grundsätzlichen Umgangsweise mit Abbildungen von
Briefmarken wichtig und richtig. [7] [8] [9]
[1]
http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Decision_re_Loriot_Stamps.pdf
[2]
http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Office_Action bzw.
http://meta.wikimedia.org/wiki/OFFICE
[3]
http://de.wikipedia.org/wiki/Digital_Millennium_Copyright_Act
[4]
http://commons.wikimedia.org/wiki/Commons:Stamps/Public_domain#Germany
[5]
http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia_Diskussion:Bildrechte#Text.C3.A4nder…
[6]
http://www.rechtambild.de/2011/06/urheberrechtsschutz-von-briefmarken/
[7]
http://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Loriot#Briefmarken_gel.C3.B6scht
[8]
http://commons.wikimedia.org/wiki/Commons:Forum#Wohlfahrtsmarken_mit_Loriot…
[9]
http://commons.wikimedia.org/wiki/User_talk:Philippe_%28WMF%29#File:DPAG_20…
Mit besten Grüßen
Jan
--
Jan Engelmann
Leiter Politik & Gesellschaft
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