Hallo Ting,
danke für diese ausführliche Email, die genau das Thema berührt, um
was es mir ging.
Am 8. Oktober 2010 13:48 schrieb Ting Chen <wing.philopp(a)gmx.de>de>:
Am 07.10.2010 20:03, schrieb P. Birken:
> Aus Sicht der Foundation ist das absolut schlüssig. Die Foundation
> entwickelt sich eben in großer Geschwindigkeit in eine dramatisch
> leistungsfähigere Organisation, die in der Lage ist, selbst Projekte
> durchzuführen, Fundraising zu betreiben, etc. Das Machtvakuum, in das
> Wikimedia Deutschland hinein gegründet wurde, verschwindet und die
> Foundation füllt es mittlerweile aus, Rechte die WM-DE mal hatte, sind
> nun nur noch bei der Foundation. Das ist natürlich und in der
> Gesamtentwicklung sinnvoll und zu begrüßen.
Aus der Sicht der Foundation möchten wir, dass die
Chapter viel stärker
werden als sie heute sind. Dass die Chapters so werden wie WMDE, dass
sie in ihre Länder Fundraising betreiben und Projekte ausführen können,
und zwar in einem Umfang, das mehr ist als sie es heute tun, und das die
Foundation, selbst mit hunderten oder tausenden Mitarbeiter, nie in den
Ländern durchführen können.
Das kann ich nur unterstreichen: Ich denke dass das Chapters-Konzept
für die Wikimediabewegung so wie sie sich entwickelt (insbesondere
dezentral) hat die richtige Organisationsform ist.
Wie Du selbst weißt, die bisherige Verteilung der
Spendengelder werden,
vor allem von den meisten westeuropäischen Chapters, als unfair
betrachtet, da ein erhebliches Teil der Gelder direkt an die Foundation
gehen, und die Chapters von diesen Gelder, die ja aus ihren Ländern
stammen, nichts abbekommen. Wie Delphine ausgeführt hatte, war das
selbst für Deutschland der Fall. Das war schon immer, und wahrscheinlich
auch zurecht, ein ständiger Streitpunkt zwischen den Chapters und der
Foundation.
Die Geldfrage ist natürlich immer wichtig, wobei sie für Wikimedia
Deutschland glaube ich seit Gründung der Geschäftsstelle noch etwas
wichtiger geworden ist, eben weil plötzlich Angestellte und deren
Gehälter im Spiel waren.
Falls ich mich korrekt erinnere, hatte Sue Dir
gegenüber vor zwei Jahren
auf Deinem Besuch in San Francisco zum ersten Mal geäußert, dass die
Foundation möchtet, dass die Chapters für das Fundraising in ihren
eigenen Ländern verantworten. Ich glaube, dass das das erste Mal war,
dass diese Idee jemals an einem Vertreter eines Chapters geäußert wurde.
Oha, die historische Bedeutung dessen war mir damals wohl nicht so
bewusst :-) An der Stelle möchte ich nochmal anmerken, wie positiv der
Einfluss von Sue auf die Gesamtdiskussion ist. Sie hat von Anfang an
klar gemacht, dass sie Chapter als einen wichtigen Teil der globalen
Bewegung sieht, was vorher nicht immer bei allen in der Wikimedia
Foundation der Fall war und in den letzten Jahren beispielsweise die
Frage darum, wie WM-DE oder andere Chapter in den Fundraiser
eingegliedert wird, vereinfacht hat.
Wie ich bereits oben erwähnt hat, WMDE hat unter den
Chapters eine
Sonderstellung. WMDE organisieren heute schon sehr viele Projekte, die,
selbst die Chapters in ihren westeuropäischen Nachbarn nicht
organisieren können. Da wir nicht von heute auf Morgen allen Chapters
auf die gleiche Niveau heben können wie die WMDE (oder sogar darüber
hinaus), und da wir eine Angleichung aller Chapter anstreben, entsteht
wahrscheinlich deswegen aus Deine Sicht den Eindruck einer Beschneidung
der Chapters. Dies ist möglicherweise lokal aus WMDE gesehen teilweise
zutreffend (wobei ich mir konkret kein Beispiel dazu gefunden habe),
global gesehen aber definitiv nicht so.
Konkret hatte WMDE aufgrund dessen, dass es der erste Chapter-vertrag
war (der mittlerweile ausgelaufen ist), ein paar Rechte mehr als
später gegründete Chapter, insbesondere was die Markenrechte angeht.
Was die anderen Chapter angeht, so weiß ich ja um die enormen
Probleme: Wikimedia UK ist etwa in der Erstauflage gefloppt. Was macht
man also als Foundation, wenn ein Chapter nicht läuft und ein Land
gewissermaßen "blockiert"?
Nun sind solche Dinge für Sue absolut relevant, aus Sicht von WMDE
sorgen sie eher für Probleme, weil es dazu führt, dass die Foundation
bei Verträgen mit uns den negativen Extremfall im Hinterkopf hat,
obwohl man in San Francisco nur Fans von WMDE treffen kann.
Wie Delphines Rechnung eben zeigt, bekommt nach der
neuen Model die
Foundation eigentlich weniger Geld als früher. Je schwächer die Chapters
in einem Land früher gestellt war, desto gravierender wird die Wirkung
dieser Umverteilung zugunsten des Chapters. Die Foundation geht dadurch
ein ziemliches Risiko ein. Die Abhängigkeit der Foundation in den
jeweiligen Ländern zu gutes Funktionieren der jeweiligen Chapter wird
größer. Um dieses Risiko so gering wie möglich zu halten, möchtet die
Foundation deswegen auch eine verstärkte Anforderung an Prozess- und
Finanzkontrolle an den Chapter stellen. Ich denke, dass dies notwendig
ist, und dass jeder dies nachvollziehen kann.
Dem wird wohl niemand wiedersprechen, bis es an die Details geht. Ich
halte diesen Weg aber für sinnvoll.
Für die Foundation bedeutet dies eine weitere Gefahr,
dass nämlich die
Chapters in nationalen Egoismus verfallen könnten. So nach dem Motto,
das ist mein Geld, und für die Rest der Welt soll die Foundation
kümmern, die hat ja ihr Teil abbekommen. Nach meinem jetzigen Eindruck,
die ich von den Chaptersvertreter erhalten habe, ist, dass zumindestens
im Moment diese Gefahr nicht besteht, weil die Gemeinnützigkeit und die
internationale Zusammenarbeit in unsere Bewegung so stark verwurzelt
ist. Längerfristig müssen wir natürlich dafür alle zusammenarbeiten und
dafür sorgen, dass die laterale Bindungen und Beziehungen zwischen den
Chapters noch weiter intensivieren und stärken, so dass sollte ein
Chapter in so einem nationalen Egoismus verfällt, sie kein Dominoeffekt
auslöst, und stattdessen international isoliert wird und dadurch nur
verlieren kann.
Ich bin nicht mehr so ganz auf der Höhe der Dinge: Ist eigentlich
jemand bei der Foundation dezidiert für Chapter zuständig? Mein Punkt
ist: Ich finde es super, dass Erik und Du diese Diskussion auf dem
Schirm haben. Aber ihr skaliert nicht für 25 Chapter, noch weniger für
50. Gibt es Pläne, wie die Intensivierung der Bindungen und
Beziehungen aussehen soll?
Viele Grüße
Philipp
P.S. Mir gefallen übrigens die regelmässigen Blogpostings von Delphine
zu internationalen Themen, das sollte unbedingt beibehalten werden.