Hallo Ting,
erstmal danke für die lange interessante Email. Ich habe ein paar
Fragen/Kommentare.
2010/10/8 Ting Chen <wing.philopp(a)gmx.de>de>:
Aus der Sicht der Foundation möchten wir, dass die
Chapter viel stärker
werden als sie heute sind. Dass die Chapters so werden wie WMDE, dass
sie in ihre Länder Fundraising betreiben und Projekte ausführen können,
und zwar in einem Umfang, das mehr ist als sie es heute tun, und das die
Foundation, selbst mit hunderten oder tausenden Mitarbeiter, nie in den
Ländern durchführen können.
Wie Du selbst weißt, die bisherige Verteilung der Spendengelder werden,
vor allem von den meisten westeuropäischen Chapters, als unfair
betrachtet, da ein erhebliches Teil der Gelder direkt an die Foundation
gehen, und die Chapters von diesen Gelder, die ja aus ihren Ländern
stammen, nichts abbekommen. Wie Delphine ausgeführt hatte, war das
selbst für Deutschland der Fall. Das war schon immer, und wahrscheinlich
auch zurecht, ein ständiger Streitpunkt zwischen den Chapters und der
Foundation.
Ob das wirklich als "unfair" betrachtet wurde, bin ich mir nicht so
sicher. Wir wissen eigentlich nicht genau, warum (zu mindest in
Deutschland) das der Fall ist. Ist das auch genauso für anderen
Chapters? Das sollten wir aber wirklich beobachten, um vielleicht
besser zu verstehen, warum es Leute gibt, die an die Foundation direkt
geben, wenn es eigentlich viele Vorteilen für sie existieren, direkt
an einen Chapter zu spenden. Ich bin gespannt zu sehen, wie das sich
mit einer "nur WMDE Landing Page" entwickelt.
Falls ich mich korrekt erinnere, hatte Sue Dir gegenüber vor zwei Jahren
auf Deinem Besuch in San Francisco zum ersten Mal geäußert, dass die
Foundation möchtet, dass die Chapters für das Fundraising in ihren
eigenen Ländern verantworten. Ich glaube, dass das das erste Mal war,
dass diese Idee jemals an einem Vertreter eines Chapters geäußert wurde.
Aus meiner Sicht kommt dadurch auf den Chapters eine größere Bedeutung
und auch Verantwortung zu.
Wie ich bereits oben erwähnt hat, WMDE hat unter den Chapters eine
Sonderstellung. WMDE organisieren heute schon sehr viele Projekte, die,
selbst die Chapters in ihren westeuropäischen Nachbarn nicht
organisieren können. Da wir nicht von heute auf Morgen allen Chapters
auf die gleiche Niveau heben können wie die WMDE (oder sogar darüber
hinaus), und da wir eine Angleichung aller Chapter anstreben [snip]
Ich würde mit dieser Aussage ganz vorsichtig umgehen. Meine Meinung
nach, werden sich nicht alle Chapters wie Wikimedia Deutschland
entwickeln, und, wichtiger, sollten sich alle Chapters nicht wie
Wikimedia Deutschland entwickeln. Es gibt sehr verschiedene Lokale
Vorausetzungen, die wir heute nicht alle beherrschen, und die
vielleicht heißen, dass Chapter X nie ein Office haben wird, aber
dafür durch Ehrenamtliche unglaubliche Outreach Potential hat , oder
dass Chapter Y vor Ort vieles gute im Bereich Förderung freien Wissens
machen kann, aber nie Spenden vom eigenen Land bekommen kann. Das
sollten wir nie vergessen. Die Entwicklung von Wikimedia Deutschland
darf *ein* Beispiel sein, aber, meine Meinung nach, nicht *das*
Beispiel.
Wie Delphines Rechnung eben zeigt, bekommt nach der
neuen Model die
Foundation eigentlich weniger Geld als früher. Je schwächer die Chapters
in einem Land früher gestellt war, desto gravierender wird die Wirkung
dieser Umverteilung zugunsten des Chapters. Die Foundation geht dadurch
ein ziemliches Risiko ein. Die Abhängigkeit der Foundation in den
jeweiligen Ländern zu gutes Funktionieren der jeweiligen Chapter wird
größer. Um dieses Risiko so gering wie möglich zu halten, möchtet die
Foundation deswegen auch eine verstärkte Anforderung an Prozess- und
Finanzkontrolle an den Chapter stellen. Ich denke, dass dies notwendig
ist, und dass jeder dies nachvollziehen kann.
Ok, hier reicht vielleicht mein Deutsch nicht, um alle Feinigkeiten zu
verstehen, aber diese Aussage kommt mir ein Bißchen zu streng vor, und
ich kann sie nicht wirklich nachvollziehen.
Ehrlich gesagt, sehe ich nicht wirklich, wie die Foundation eine
"verstärkte Anforderung" an Prozesse und Finanzen von einem Chapter
stellen könnte. Am Endeffekt sind die Chapters unabhängige
Organisationen, die - zu mindest bis jetzt, weil sie alle Mitglieder
Organisationen sind - vor ihrer Mitgliederversammlung oder was auch
immer sie sich als "Hauptgremium" gewählt haben, verantwortlich sind.
Die Foundation kann hier keine Rolle spielen (und sogar, wenn sie
Mitglied sein würde, hat sie da nur eine Stimme).
Wichtiger noch, denke ich, ist dass es eigentlich nicht die Rolle der
Foundation ist, eine solche Verwaltungskontrolle auszuüben.
Dass wir alle zusammen (chapters und foundation) Regeln entwicklen,
die uns alle zu einer bestimmten Art von Finanzverwaltung, Prozesse,
etc. zwingen, habe ich keine Probleme mit, begrüsse ich sogar. Ich
kann mir vorstellen dass wir - wie in anderen internationalen
Organisationen üblich ist - von allen Wikimedia Organisationen die
eine bestimmte Größe erreichen, ein externes jährliches Audit
verlangen, oder bestimmte Rahmen, in dennen man Mitarbeiter einstellt,
usw.. Aber das würde von allem gemeinsam entwickelt, nicht von der
Foundation auf den Chapters geworfen. Vielleicht lese ich in deinem
Satz zu viel, aber ich sage es lieber jetzt, als zu spät :).
Ich finde zum Beispiel, dass es noch eine echte zusammen Arbeit fehlt,
was die Finanzenplannung angeht. Ich kann mir mit der Zeit vorstellen,
dass die Chapters jedes Jahr mit der Foundation darüber reden, wo das
Geld am dringesten benötigt wird, oder am vernünftigsten benutzt wird.
Das mag zum Beispeil heißen, das im Jahr X wird das Geld 80/20
geteilt, und im Jahr Y, 20/80, statt eine 50/50 Verteilung, die heute
keinen echten durgedachten Grund hat. Das gesagt, muss man eh irgendwo
anfangen, also, wait and see.
Wo die Foundation, als "Internationale Organisation", eine echte
Kontrolle ausüben sollte ist, meine Meinung nach, ob die Chapters die
grundsätzliche Mission wirklich unterstützen, und davon nicht
abweichen.
[snip]
Heute hat das Anteil von
von WMDE direkt verwendetes Geld vergrößert, aber dafür ist das Topf für
die internationale Zusammenarbeit gänzlich weggefallen. Ich muss hier
nochmal wiederholend auf die Sonderstellung von WMDE hinweisen. Für sehr
viele andere Chapter heißt aber, dass sie früher ein sehr kleines
eigenes Einkommen hatten und ein ebenfalls recht kleines internationales
Topf. Für sie heißt heute, dass sie ein großes oder mittelgroßes eigenes
Einkommen und dafür kein internationales Topf mehr. Das heißt, aus der
Sicht der WMDE mag die Bilanz ambivalent erscheinen, aus der Sicht
vieler anderen Chapters aber eindeutig ein Gewinn.
Da stimme ich zu. Ich freue mich wirklich darauf, wenn die Verteilung
der Spenden Wikimedia allgemein hilft, Chapters oder internationale
Outreach Initiativen zu entwicklen.
Für die Foundation bedeutet dies eine weitere Gefahr, dass nämlich die
Chapters in nationalen Egoismus verfallen könnten. So nach dem Motto,
das ist mein Geld, und für die Rest der Welt soll die Foundation
kümmern, die hat ja ihr Teil abbekommen. Nach meinem jetzigen Eindruck,
die ich von den Chaptersvertreter erhalten habe, ist, dass zumindestens
im Moment diese Gefahr nicht besteht, weil die Gemeinnützigkeit und die
internationale Zusammenarbeit in unsere Bewegung so stark verwurzelt
ist. Längerfristig müssen wir natürlich dafür alle zusammenarbeiten und
dafür sorgen, dass die laterale Bindungen und Beziehungen zwischen den
Chapters noch weiter intensivieren und stärken, so dass sollte ein
Chapter in so einem nationalen Egoismus verfällt, sie kein Dominoeffekt
auslöst, und stattdessen international isoliert wird und dadurch nur
verlieren kann.
Die Gefahr besteht genau so, dass die Foundation in eine
"internationale Egoismus" verfällt ;-). Dafür bin ich mit dir
einverstanden, dass es uns alle - und noch wichtiger, die Wikimedia
Projekte und der Mission - nur gut tut, wenn wir die Bindungen und
Beziehungen zwischen *alle* Wikimedia Organisationen stärken. Das
heißt auch, genau wie wir es hier machen, zusammen diskutieren und
eine gemeinsame Strategie zu entwicklen.
Viele Grüße,
Delphine
--
~notafish
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