Hallo Martina,
inzwschen liegt ein letzter Antragsentwurf von mir
vor, mit dem das
Haftungsrisiko des Vorstands ohne eine grundlegende Strukturreform (=
zusätzliches Vereinsorgan "Präsidum") hinreichend und pragmatisch
begrenzt sein sollte:
https://forum.wikimedia.de/w/Mitglieder:Antragswerkstatt/&O-Versicherung
Der Antrag zum Wirtschaftsplan ist um Hintergrunderklärungen zum
Gesamtpaket (bzgl. Aufgaben der AG Verantwortungsstruktur) wesentlich
ergänzt. Siehe
https://forum.wikimedia.de/w/Mitglieder:Antragswerkstatt/Wirtschaftsplan
Nachdem du diese beiden Anträge wohl als Alternative zur umfangreicheren
Strukturänderung ansiehst, stellt sich mir jetzt erst recht die Frage,
inwiefern du als Mitglied der Arbeitsgruppe eigentlich die
Haftungsproblematik des Vorstands verstanden hast. Sicher ist es
richtig, dass eine Versicherung und Wirtschaftsplan die Haftung
reduzieren. Aber letztlich ist das ein bisschen so, als würde man mit
einem Wasserglas den Weihnachtsbaum löschen, während rund um dir die
Hütte abbrennt.
Das größte Risiko des ehrenamtlichen Vorstands ist nicht, dass die
Mitgliederversammlung mit der Verwendung der Vereinsmittel unzufrieden
ist und Schadenersatz verlangt (und nur davor schützt Wirtschaftsplan
und die Versicherung). Das größte Risiko des ehrenamtlichen Vorstands
liegt an zwei ganz anderen Stellen: (1) Steuernachforderungen aufgrund
eines Verlusts der Gemeinnützigkeit und (2) strafrechtliche Verfolgung
wegen Steuer- oder Sozialversicherungsvergehen. Gehen wir darauf mal
einzeln ein:
(1) Wenn der Verein die Gemeinnützigkeit verliert, geschieht das in der
Regel rückwirkend für x Jahre, weil die Prüfung immer im Nachhinein
passiert. Hierbei kann es um Zeiträume von 3 bis 10 Jahren gehen. Für
die Jahre, in der die Gemeinnützigkeit aberkannt wird, muss der Verein
mindestens 30% Steuern auf alle Spenden (für die entgangene
Einkommen/-Körperschaftsteuer beim Spender) und zusätzlich 15% Steuern
auf alle Spenden von gewerbesteuerpflichtigen Spendern (für die
entgangene Gewerbesteuer) zahlen. Zusätzlich gibt es keine
Steuervergünstigungen mehr, d.h. der Verein wird selbst körperschaft-
und ggf. gewerbesteuerpflichtig. Sofern der Verein den verringerten
Umsatzsteuersatz berechnet hat, muss die Differenz zum Regelsatz
ebenfalls nachgezahlt werden. Was ich damit sagen möchte, ist folgendes:
der Schaden wäre erheblich. Würde das beim derzeitigen Spendenvolumen
passieren, sprechen wir von Nachforderungen in der Größenordnung von
mindestens €700T bis €1M, eher das Zwei- bis Dreifache, die aus dem
Vermögen des Vereins zu begleichen sind. Wenn das nicht ausreicht, und
hier ist der springende Punkt, holt sich das Finanzamt den Rest vom
gesetzlichen Vertreter (§§ 34, 69 AO), also dem BGB-Vorstand. Aus dieser
Haftung kann weder die Satzung, noch die D&O-Versicherung (die übrigens
auch nur eine Deckungssumme von €500T hat und nicht ohne Bedingungen
zahlt), noch die Genehmigung des Wirtschaftplans den Vorstand entlassen.
(Leicht) polemisch ausgedrückt: wer gern mal Privatinsolvenz
ausprobieren möchte, sollte sich als ehrenamtlicher BGB-Vorstand in
einem großen gemeinnützigen Verein engagieren.
(2) Sowohl bei Verlust der Gemeinnützigkeit als auch bei anderen Steuer-
und Sozialversicherungsfehlern kommt neben der zivilrechtlichen die
strafrechtliche Dimension dazu. Relevant sind hier mindestes § 266 StGB
(Untreue), § 378/370 AO (Steuerhinterziehung) und § 266a StGB
(Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt). In allen diesen
Fällen tritt immer der gesetzliche Vertreter in den Vordergrund,
unabhängig davon, ob er persönlich direkt für die Tat verantwortlich
ist. Und gegen strafrechtliche Maßnahmen hilft auch kein Wirtschaftsplan
oder kein Verweis auf eine Versicherung. Selbst die private
Rechtschutzversicherung hilft regelmäßig nicht bei solchen
strafrechtlichen Verfahren, vor der Geldstrafe oder der Haft sowieso nicht.
Wer mehr Horrorszenarien lesen und sich über das zugehörige
Folterinstrumentarium der Behörden informieren will, mag sich
http://www.lsb-berlin.net/4283.0.html als recht brauchbare Darstellung
zu Gemüte führen.
Was heißt das? Theoretisch müsste der Vorstand *sämtliche*
Lohnberechnungen und -zahlungen monatlich prüfen, müsste *sämtliche*
Zahlungen auf ihre Korrektheit und satzungsgemäße Mittelverwendung
kontrollieren, ja, er müsste *wie der Geschäftsführer einer GmbH* oder
der Vorstand einer AG in den täglichen Geschäftsbetrieb des Vereins
eingebunden sein. Das mag bei jedem Wald-und-Wiesen-Verein
funktionieren, aber nicht, wenn der Umfang der Vereinsaktivitäten das
Maß erreicht, das wir heute bei Wikimedia Deutschland haben, ganz zu
schweigen von einem weiteren Wachstum in der Zukunft.
Dass du das irgendwie komplett ausblendest und vorziehst, dich mit
solchen vergleichsweise unbedeutenden Haftungserleichterungen wie eine
Versicherung und eine Genehmigungspflicht für den Wirtschaftsplan
beschäftigst aber eine Strukturänderung ablehnst, ist erschütternd und,
in my humble opinion, mindestens so verantwortungslos, wie dein
unsinniger Rücktritt aus der Arbeitsgruppe letztes Jahr. Es erschreckt
mich, wie leichtfertig du die Bedenken in der Arbeitsgruppe wegwischst.
Es sind ja nicht nur die Vorstandsvertreter, der Geschätsführer und der
Vereinsjurist in der Arbeitsgruppe, der sich für eine Strukturänderung
ausgesprochen haben. Selbst Olaf Simons, der sicher nicht als
"Vorstandsfreund" aufgetreten ist, hat sich in seinem Antrag für die
Strukturänderung ausgesprochen (und einige Ergänzungen daran vorgenommen).
Noch ein letztes: was anscheinend immer wieder vergessen wird, ist, dass
es nicht darum geht, Haftung zu beschränken oder zu vermindern. Bei der
Strukturreform geht es darum, Haftung zu verlagern, und zwar hin zu
demjenigen, der sowohl die fachliche Fähigkeit als auch die zeitliche,
räumliche und faktische Möglichkeit hat, Risiken im Tagesgeschäft zu
kontrollieren und abzuwenden: dem hauptamtlichen Geschäftsführer des
Vereins.
Die heutige Situation ist doch völlig absurd: vier Ehrenamtler, die
eigentlich nur ein paar Stunden pro Woche für ihr Hobby Verein
aufbringen sollen und wollen, stehen mit ihrem Vermögen an der Wand,
während der Geschäftsführer des Vereins als einfacher Angestellter so
gut wie keine persönliche Haftung für das eigene Handeln und das seiner
ihm untergeordneten Angestellten trägt. Niemand bei Verstand würde doch
auf die Idee kommen, den Geschäftsführer einer GmbH ehrenamtlich zu
drei, vier Stunden pro Woche zu bestellen, während über ein Dutzend
hauptamtlicher Mitarbeiter das Tagesgeschäft übernehmen. Und niemand bei
Verstand wäre bereit, so einen Job anzunehmen. Aber genau das ist, was
wir haben.
Diese Absurdität aufzuheben gelingt dank deutschem Vereinsrecht nur
dadurch, den Geschäftsführer zum gesetzlichen Vertreter, also zum
Vorstand zu machen, und die Ehrenamtler damit aus dieser Verantwortung
zu entlassen. Alle andere Maßnahmen, während für andere Zwecke
vielleicht sinnvoll, sind hinsichtlich der Haftungsproblematik nichts
als an Symptomen herumdoktorn, während die eigentliche Ursache von Jahr
zu Jahr bedrohlicher wird. Wie soll das erst aussehen, wenn wir mal 5,
10 oder 20 Millionen Euro an Spenden sammeln? Wer ist noch bereit, so
ein Risiko auf sich zu nehmen?
Beste Grüße
Sebastian Moleski
Erster Vorsitzender
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