Hallo Sebastian,
deine Horrorszenarien sind genau das, was du schreibst: Horrorszenarien.
Ich arbeite nun seit über 10 Jahren in leitender Funktion mit Personal-, Budget-, QM- und Controllingverantwortung in einem Verein, der das Umsatzvolumen von WMDE um ein Mehrfaches überschreitet. Ganz so unbedarft, wie du es darstellen möchtest, bin ich also nicht.
Der Vorstand haftet persönlich mit seinem ganzen Vermögen nur, *soweit er vorsätzlich oder grob fahrlässig seine Pflichten verletzt*. Was das konkret bedeutet, ist ja auf der von dir genannten Seite des Landessportbundes Berlin e.V. gut beschrieben (auch wenn ansonsten unklar ist, wer den Text eigentlich verfasst hat und auch nur ein einziges Gerichtsurteil und das zu einem Nebenthema genannt wird).
WMDE hat seit 2008 ein externes Steuer- und Lohnbüro (AG Verantwortungsstruktur I, Vorschlag , vgl. [1]) eingesetzt, dies könnte vielleicht um eine Testierung durch einen Wirtschaftsprüfer ergänzt werden. Damit sind für die genannten Standardrisiken - Steuerschulden und Sozialabgaben - fachkundige Hilfen installiert. Im Zusammenspiel mit Stellen- und Aufgabenbeschreibungen der Mitarbeiter (inkl. Festlegung ihrer Befugnisse und Verantwortlichkeiten), regelmäßiger Berichterstattung der GF an den Vorstand und ein paar weiteren Controllinginstrumenten sind die wesentlichen Schritte getan, damit dem Vorstand keine Fahrlässigkeit mehr unterstellt werden könnte, noch weniger grober Vorsatz.
Was dann als realistisches, von deiner Quelle noch nicht einmal genanntes Risiko bliebe, wäre die Insolvenzverschleppung, die ab Kenntnisnahme einer drohenden Zahlungsunfähigkeit unterstellt werden könnte, wenn weder sofort wirksame Gegenmaßnahmen getroffen noch eine (vorsorgliche) Konkursanmeldung erfolgen würde. Das wäre aber ja nun auch wirklich hinrissig. Genauso wie Steuerhinterziehung.
Nochmal deine Quelle: " Ohne Pflichtverletzung oder Steuerhinterziehung gibt es keine Haftung."
Ich weiß sehr wohl, für welchen Posten ich mich gerade bewerben will und bin keineswegs lebensmüde.
Viele Grüße Martina
[1] Vorschläge der AG Verantwortungsstruktur I: http://meta.wikimedia.org/wiki/AG_Verantwortungsstruktur#Vorschl%C3%A4ge
Am 14.02.2011 20:07, schrieb Sebastian Moleski:
Hallo Martina,
inzwschen liegt ein letzter Antragsentwurf von mir vor, mit dem das Haftungsrisiko des Vorstands ohne eine grundlegende Strukturreform (= zusätzliches Vereinsorgan "Präsidum") hinreichend und pragmatisch begrenzt sein sollte:
https://forum.wikimedia.de/w/Mitglieder:Antragswerkstatt/&O-Versicherung
Der Antrag zum Wirtschaftsplan ist um Hintergrunderklärungen zum Gesamtpaket (bzgl. Aufgaben der AG Verantwortungsstruktur) wesentlich ergänzt. Siehe https://forum.wikimedia.de/w/Mitglieder:Antragswerkstatt/Wirtschaftsplan
Nachdem du diese beiden Anträge wohl als Alternative zur umfangreicheren Strukturänderung ansiehst, stellt sich mir jetzt erst recht die Frage, inwiefern du als Mitglied der Arbeitsgruppe eigentlich die Haftungsproblematik des Vorstands verstanden hast. Sicher ist es richtig, dass eine Versicherung und Wirtschaftsplan die Haftung reduzieren. Aber letztlich ist das ein bisschen so, als würde man mit einem Wasserglas den Weihnachtsbaum löschen, während rund um dir die Hütte abbrennt.
Das größte Risiko des ehrenamtlichen Vorstands ist nicht, dass die Mitgliederversammlung mit der Verwendung der Vereinsmittel unzufrieden ist und Schadenersatz verlangt (und nur davor schützt Wirtschaftsplan und die Versicherung). Das größte Risiko des ehrenamtlichen Vorstands liegt an zwei ganz anderen Stellen: (1) Steuernachforderungen aufgrund eines Verlusts der Gemeinnützigkeit und (2) strafrechtliche Verfolgung wegen Steuer- oder Sozialversicherungsvergehen. Gehen wir darauf mal einzeln ein:
(1) Wenn der Verein die Gemeinnützigkeit verliert, geschieht das in der Regel rückwirkend für x Jahre, weil die Prüfung immer im Nachhinein passiert. Hierbei kann es um Zeiträume von 3 bis 10 Jahren gehen. Für die Jahre, in der die Gemeinnützigkeit aberkannt wird, muss der Verein mindestens 30% Steuern auf alle Spenden (für die entgangene Einkommen/-Körperschaftsteuer beim Spender) und zusätzlich 15% Steuern auf alle Spenden von gewerbesteuerpflichtigen Spendern (für die entgangene Gewerbesteuer) zahlen. Zusätzlich gibt es keine Steuervergünstigungen mehr, d.h. der Verein wird selbst körperschaft- und ggf. gewerbesteuerpflichtig. Sofern der Verein den verringerten Umsatzsteuersatz berechnet hat, muss die Differenz zum Regelsatz ebenfalls nachgezahlt werden. Was ich damit sagen möchte, ist folgendes: der Schaden wäre erheblich. Würde das beim derzeitigen Spendenvolumen passieren, sprechen wir von Nachforderungen in der Größenordnung von mindestens €700T bis €1M, eher das Zwei- bis Dreifache, die aus dem Vermögen des Vereins zu begleichen sind. Wenn das nicht ausreicht, und hier ist der springende Punkt, holt sich das Finanzamt den Rest vom gesetzlichen Vertreter (§§ 34, 69 AO), also dem BGB-Vorstand. Aus dieser Haftung kann weder die Satzung, noch die D&O-Versicherung (die übrigens auch nur eine Deckungssumme von €500T hat und nicht ohne Bedingungen zahlt), noch die Genehmigung des Wirtschaftplans den Vorstand entlassen. (Leicht) polemisch ausgedrückt: wer gern mal Privatinsolvenz ausprobieren möchte, sollte sich als ehrenamtlicher BGB-Vorstand in einem großen gemeinnützigen Verein engagieren.
(2) Sowohl bei Verlust der Gemeinnützigkeit als auch bei anderen Steuer- und Sozialversicherungsfehlern kommt neben der zivilrechtlichen die strafrechtliche Dimension dazu. Relevant sind hier mindestes § 266 StGB (Untreue), § 378/370 AO (Steuerhinterziehung) und § 266a StGB (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt). In allen diesen Fällen tritt immer der gesetzliche Vertreter in den Vordergrund, unabhängig davon, ob er persönlich direkt für die Tat verantwortlich ist. Und gegen strafrechtliche Maßnahmen hilft auch kein Wirtschaftsplan oder kein Verweis auf eine Versicherung. Selbst die private Rechtschutzversicherung hilft regelmäßig nicht bei solchen strafrechtlichen Verfahren, vor der Geldstrafe oder der Haft sowieso nicht.
Wer mehr Horrorszenarien lesen und sich über das zugehörige Folterinstrumentarium der Behörden informieren will, mag sich http://www.lsb-berlin.net/4283.0.html als recht brauchbare Darstellung zu Gemüte führen.
Was heißt das? Theoretisch müsste der Vorstand *sämtliche* Lohnberechnungen und -zahlungen monatlich prüfen, müsste *sämtliche* Zahlungen auf ihre Korrektheit und satzungsgemäße Mittelverwendung kontrollieren, ja, er müsste *wie der Geschäftsführer einer GmbH* oder der Vorstand einer AG in den täglichen Geschäftsbetrieb des Vereins eingebunden sein. Das mag bei jedem Wald-und-Wiesen-Verein funktionieren, aber nicht, wenn der Umfang der Vereinsaktivitäten das Maß erreicht, das wir heute bei Wikimedia Deutschland haben, ganz zu schweigen von einem weiteren Wachstum in der Zukunft.
Dass du das irgendwie komplett ausblendest und vorziehst, dich mit solchen vergleichsweise unbedeutenden Haftungserleichterungen wie eine Versicherung und eine Genehmigungspflicht für den Wirtschaftsplan beschäftigst aber eine Strukturänderung ablehnst, ist erschütternd und, in my humble opinion, mindestens so verantwortungslos, wie dein unsinniger Rücktritt aus der Arbeitsgruppe letztes Jahr. Es erschreckt mich, wie leichtfertig du die Bedenken in der Arbeitsgruppe wegwischst. Es sind ja nicht nur die Vorstandsvertreter, der Geschätsführer und der Vereinsjurist in der Arbeitsgruppe, der sich für eine Strukturänderung ausgesprochen haben. Selbst Olaf Simons, der sicher nicht als "Vorstandsfreund" aufgetreten ist, hat sich in seinem Antrag für die Strukturänderung ausgesprochen (und einige Ergänzungen daran vorgenommen).
Noch ein letztes: was anscheinend immer wieder vergessen wird, ist, dass es nicht darum geht, Haftung zu beschränken oder zu vermindern. Bei der Strukturreform geht es darum, Haftung zu verlagern, und zwar hin zu demjenigen, der sowohl die fachliche Fähigkeit als auch die zeitliche, räumliche und faktische Möglichkeit hat, Risiken im Tagesgeschäft zu kontrollieren und abzuwenden: dem hauptamtlichen Geschäftsführer des Vereins.
Die heutige Situation ist doch völlig absurd: vier Ehrenamtler, die eigentlich nur ein paar Stunden pro Woche für ihr Hobby Verein aufbringen sollen und wollen, stehen mit ihrem Vermögen an der Wand, während der Geschäftsführer des Vereins als einfacher Angestellter so gut wie keine persönliche Haftung für das eigene Handeln und das seiner ihm untergeordneten Angestellten trägt. Niemand bei Verstand würde doch auf die Idee kommen, den Geschäftsführer einer GmbH ehrenamtlich zu drei, vier Stunden pro Woche zu bestellen, während über ein Dutzend hauptamtlicher Mitarbeiter das Tagesgeschäft übernehmen. Und niemand bei Verstand wäre bereit, so einen Job anzunehmen. Aber genau das ist, was wir haben.
Diese Absurdität aufzuheben gelingt dank deutschem Vereinsrecht nur dadurch, den Geschäftsführer zum gesetzlichen Vertreter, also zum Vorstand zu machen, und die Ehrenamtler damit aus dieser Verantwortung zu entlassen. Alle andere Maßnahmen, während für andere Zwecke vielleicht sinnvoll, sind hinsichtlich der Haftungsproblematik nichts als an Symptomen herumdoktorn, während die eigentliche Ursache von Jahr zu Jahr bedrohlicher wird. Wie soll das erst aussehen, wenn wir mal 5, 10 oder 20 Millionen Euro an Spenden sammeln? Wer ist noch bereit, so ein Risiko auf sich zu nehmen?
Beste Grüße Sebastian Moleski Erster Vorsitzender
Wikimedia Deutschland e. V. Eisenacher Straße 2 10777 Berlin
Telefon 030 - 219 158 26-0 www.wikimedia.de
Stellen Sie sich eine Welt vor, in der jeder Mensch an der Menge allen Wissens frei teilhaben kann. Helfen Sie uns dabei! http://spenden.wikimedia.de/
Wikimedia Deutschland - Gesellschaft zur Förderung Freien Wissens e. V. Eingetragen im Vereinsregister des Amtsgerichts Berlin-Charlottenburg unter der Nummer 23855 B. Als gemeinnützig anerkannt durch das Finanzamt für Körperschaften I Berlin, Steuernummer 27/681/51985.
VereinDE-l mailing list VereinDE-l@lists.wikimedia.org https://lists.wikimedia.org/mailman/listinfo/vereinde-l