On 14.03.2009, at 17:43, DaB. wrote:
Hallo, Am Saturday 14 March 2009 02:21:52 schrieb Henriette Fiebig:
und ich kann tatsächlich nachvollziehen warum die Archivare und Handschriftenforscher so lang zögerlich waren mit den Digitalisierungen.
alles Andere in deinem Post kann ich mehr oder weniger nachvollziehen aber das nicht. Die Originale wären durch das Digitalisieren ja nicht schlechter geworden - im Gegenteil.
Hi,
ich wollte das nicht länger ausführen, weil Mail sowieso schon ungebührlich lang war ;) Aber ich schiebe das gern nach :)
Die Originale wären durch das Digitalisieren tatsächlich nicht schlechter geworden (bei sachgemäßer Handhabung natürlich nur), vollkommen korrekt! Allerdings muß man für eine vernünftige Digitalisierung von solch' riesigen Beständen wie dem Archiv in Köln supergrob aufgestellt folgendes bedenken:
1. einen Projektplan mit welchen Handschriften man beginnen will – wir reden hier immerhin über ein paar Jahre Arbeit und natürlich würde sofort die Frage aufkommen, warum Handschrift X im Jahr 2009 gescannt werden soll und Akte Y bis 2012 der Gefahr ausgeliefert sein, zu verbrennen/in einen Keller zu stürzen/von Mäusen zernagt zu werden (und was dergleichen grauenvolle Dinge mehr drohen können). Das heißt dann allerdings auch, daß die Archivare überhaupt erstmal eine Liste oder ein Ranking erstellen müssen wie wertvoll/erhaltenswert etwas ist und wie der Erhaltungszustand ist. 2. Geld – jeder weiß: Das ist das größte Problem, denn ein paar Millionen Euro für eine U-Bahn versteht jeder Bürger (schließlich will jeder täglich von Ort X nach Ort Y); ein paar Millionen für olles Papier, daß sowieso nur von drei Eierköpfen aus der Forschung gelesen werden kann und benutzt werden darf, das verstehen dann nur sieben Eierköpfe ;) Ihr alle seht die Diskussion doch schon vor euch: Die verläuft an der Frontlinie „Kinderspielplätze sind viel wichtiger“ bis hin zu „Kommunalgebäude XY braucht neue Toiletten“. Personal braucht man natürlich auch und so mau wie es in den entsprechenden Studiengängen aussieht, wird man schnell ein Problem mit entsprechend geschulten Leuten bekommen. 3. Speicherproblem bzw. Erhaltung der Digitalisate – Daten einmal digitalisiert ist ja schön, nur muß man dann auch dafür sorgen, daß die Daten auch in 500 Jahren noch lesbar sind. Das führt uns zu einem Backup-Problem, denn man muß die Daten nicht nur regelmäßig umkopieren, sondern auch dafür sorgen, daß immer die Technik (Hard-/ Software) am Start ist mit der die Daten lesbar sind. Da ist eine mittelalterliche Handschrift übrigens ein perfektes Speichermedium: Die kann ich auch nach 1000 Jahren noch lesen – mit einer Diskette von vor 15 Jahren habe ich jetzt schon massive Probleme ;) 4. natürlicher Konservativismus von Archivaren/Bibliothekaren – geht ungefähr so: „1000 Jahre hat die Original-Handschrift gereicht. Wieso sollen wir jetzt Hopplahopp irgendwelchen verrückten Technik-Freaks mit ihren Versprechungen der modernen Medien glauben?“
Vermutlich hätte für den Großteil der Forscher und Laien das Digitalisat vollständig ausgereicht (und sei es nur zum Vor-Sichten bevor man zu den Orginalen reist um diese einzusehen).
Das hätte jede Menge Umweltschäden eingespart (weniger Reisen), hätte den Bücher gut getan (weniger angefasst)
Da wird Dir ein echter Hardcore-Bibliothekar mit Sicherheit antworten, daß die Verfügbarkeit von digitalisierten Handschriften/Aktenstücken nur die Begehrlichkeiten der Forscher und Laien erhöht und sie dann die Bude voll haben mit Leuten, die das alle lesen wollen. Die billigste und beste Konservierungsmethode ist immer noch die Nutzer nicht an die Bücher zu lassen ;)
und vor allem häte man jetzt noch wenigstens etwas wo das Orginal weg ist (es soll ja zum Glück noch Mikrofilme geben) statts nun Forscher in aller Welt anzufragen ob sie (schlechte) Analogkopien haben.
Sehr richtig. Nur hilft eine Argumentation a la „hättet ihr mal schon vor 10 Jahren …" in so einem Fall natürlich überhaupt nicht. Letztendlich wird jetzt noch zwei Wochen das Geheule groß sein das die Handschriften vernichtet sind und in drei Wochen wollen alle Geld für einen Flughafen-Ausbau. Für Kultur und kulturgeschichtlich wertvolle Dinge gibts kein Geld; das ist so. Es sei denn natürlich man kann damit hinterher wieder Geld verdienen …
Ich vermute das Ganze war entweder wieder ein Fall von falschen Besitzdenken ("wir haben diese seltenen Bücher, wenn sie sie haben wollen müssen sie herkommen"), Geldmacherei ("und x€ Gebühr bezahlen") oder falsche Einsparung ("das Digitalisieren kostet aber x€, das sparen wir").
Das alles dürfte in den jeweiligen Vorstandsetagen auch eine Rolle spielen, unbenommen. Das größte und umfassendste Problem aber dürfte sein, daß es wenig bis kein Bewußtsein dafür gibt das auch ein olles Stück Papier von 1325 ein wichtiges Stück unserer Kulturgeschichte ist; und selbst wenn das nur 3 Leute auf der Welt zu schätzen und zu lesen wissen, es wichtig ist, daß die jederzeit darüber verfügen können.
Auch das aktuelle Kölner Desaster wird daran nichts ändern: Ich las im Stern und im Spiegel längere Berichte über das Ereignis und deren Zielrichtung ist nur die Schuldigen herauszubekommen und irgendwem die Verantwortung in die Schuhe zu schieben. Da ist dann viel die Rede davon, daß die U-Bahn X Millionen Euro teurer als geplant wurde, aber keine Rede davon, warum die X Millionen besser in eine Digitalisierung investiert worden wären.
Umso wichtiger ist daher die Lobbyarbeit von WM-DE: Ein Bewußtsein für die Genialität des Gedankens zu schaffen, daß Wissen frei sein muß, ist offenbar uns überlassen; Politik, Wirtschaft und Medien scheinen das nicht hinzubekommen ;)
Wo du aber vollkommen recht hast ist das wir die Füße stillhalten sollten. Wir haben weder die Manpower, noch die Maschinen, die Mittel oder das Wissen um jetzt zu helfen.
S.o.: Wir können Lobbyarbeit machen und Bewußtsein schaffen. Im konkreten Fall können wir nicht viel tun.
Viele Grüße
Henriette