Hallo Jürgen,
danke für deine Antworten. Ich weiss, dass du es dir, sicher auch aufgrund der Tatsache, dass du neu im Präsidium warst, am schwersten damit getan hast, die diesjährige wichtige Entscheidung der Trennung vom Vorstand positiv mitabzustimmen.
Ich teile deine prinzipielle Hoffnung, dass ein ehrenamtlich arbeitendes Gremium gegenüber einem hauptamtlich beschäftigten Vorstand eine irgendwie geartete "gleiche Augenhöhe" herstellen kann. Unter einem neuen Vorstand besteht die Möglichkeit, dass dieser/diese ihre Machtposition nicht missbrauchen wird, um diese Augenhöhe geschickt zu verhindern und den Vorstand mehr mit Augenhöhe als mit Augenwischerei gegenüberzutreten. Ein neuer Start mit einem neuen Vorstand ermöglicht es jetzt, dass dies prinzipiell möglich ist. Deswegen betone ich auch gerne, dass diese Stellenbesetzung nun professionell geschehen muss.
Auch dein Hinweis auf keine reine zahlenverliebte Metrik teile ich und dazu habe ich in der Vergangenheit auch Vorschläge gemacht, wie man hier auch qualitativ zu einem Verein mit mehr nachvollziehbarem Impact statt reinem Wachstum kommen kann. Gut, dass du das auch so siehst. Der regelmässige im Präsidium verteilte Dialog mit den Ressorts dient hoffentlich dann dafür, dass diese Nähe eine qualitative wirkungs-orientierte gemeinsame Arbeit möglich wird.
Ebenso teile ich aktuell die Hoffnung, dass wir einen Vorstand bekommen, der/die Probleme nicht wegleugnet oder wegwischt oder seine/ihre Machtposition ausnutzt, um eine Disbalance in der Augenhöhe herzustellen. Einen zweiten Richter wird es, da bin ich mir relativ sicher, nicht geben, außer es kommt zu einer unglücklichen Zusammensetzung des Präsidiums, die einen solchen fragwürdigen Weg erneut einschlägt. Die Gefahr sehe ich bei einigen Kandidaten (nicht bei dir), aber ich bin noch guter Hoffnung, dass eine produktive Zukunft gewählt wird. Der Möglichkeit dafür wurde durch die Trennung vom Vorstand geschaffen.
Es kann immer Gründe geben, eine Entwicklung, auch eine strukturelle Entwicklung in ihrer Geschwindigkeit oder in ihrer Form anders anzugehen, als ursprünglich geplant. Ich erinnere mich gut, wie ich am Anfang meiner Präsidiumszeit genau diese Offenheit auch dem damaligen Vorstand entgegengebracht habe. Ich bin zuversichtlich, dass sich für einen neuen Vorstand entschieden wird, der/die sein/ihr Handeln mit guten Argumenten und vorallem mit einer Offenheit dem Präsidium gegenüber bringen wird, dass ein solcher Dialog überhaupt möglich wird. Das Präsidium repräsentiert die Vereinsmitglieder, einem Vorstand, dem das nicht faktisch egal ist, wird sicher einen kooperativen Stil in der Kommunikation pflegen. Dann fällt die inhalltich-strategische Arbeit im Präsidium auch leichter.
Beste Grüsse
Jens
Am 28. November 2014 um 11:42 schrieb Jürgen Friedrich < juergen.friedrich.1@gmail.com>:
Hallo Jens,
zunächst einmal: Du weißt, dass ich mich im Präsidium bezüglich der Trennung von Pavel Richter sehr skeptisch geäußert habe, einerseits inhaltlich und andererseits wegen der hohen damit verbundenen Kosten.
Aber zu deinen Fragen:
zu 1. Die Aufsichtspflicht des Präsidiums sollte zunächst davon ausgehen, dass auch die Geschäftsstelle und der Vorstand mit viel Engagement am gemeinsamen Ziel der Förderung Freien Wissens arbeiten. Daher ist für mich auch bei der Aufsicht eine Kooperation auf gleicher Augenhöhe mit einem Vorstand angesagt und keine "Kontrollmentalität". Es muss eine gemeinsame Überprüfung der Zielerreichung geben. Wenn es gelingt, ein Vertrauensverhältnis zwischen Vorstand und Präsidium aufzubauen, wird es viel leichter für den Vorstand, Probleme zu benennen und Defizite "einzugestehen" (statt sie vor den "Kontrolleuren" zu verstecken). Es muss natürlich auch Instrumente und Methoden zur Überprüfung der Leistung und der Wirkung der Arbeit der Geschäftsstelle geben. Die Stabsstelle Evaluation hat bisher leider nur sehr allgemeine (um nicht zu sagen theoretische) Überlegungen angestellt, und dies seit längerer Zeit. Die Stabsstelle muss dringend zu einem praktikablen, auf NGOs und speziell WMDE zugeschnittenen Controllinginstrumentarium kommen. Allerdings muss das anders aussehen als die zahlenfixierte Metrikenverliebtheit der amerikanischen Freunde in der WMF. "Wirkung" und "Qualität" lassen sich nicht immer in nakte Zahlen fassen. Und ja, es muss natürlich ein transparentes Berichts- und Dokumentationswesen geben, wie du es forderst, um die Aufsichtsfunktion des Präsidiums zu unterstützen.
zu 2. Wenn ein Vorstand eine vom Präsidium kritisierte Entwicklung nicht angeht, wäre mit ihm zu erörtern, warum er oder sie das nicht tut. Es kann Gründe geben. Die Kritik ist nicht so formuliert, dass sie aus Sicht des Vorstands aufgegriffen werden kann, es gibt Missverständnisse bzgl. der Stoßrichtung der Kritik, es gibt unterschiedliche Interpretationen einer Situation usw. In jedem Fall muss die Frage der mangelnden Umsetzung unmittelbar mit dem Vorstand erörtert werden, um den Knoten aufzulösen. Vielleicht ergibt sich auch, dass der Vorstand recht hat, das Präsidium kann auch dazulernen. Ich sehe im übrigen keinen Anlass zu der Annahme, dass der Vorstand, den wir berufen, Probleme "wegleugnet" oder "wegwischt". Die beste Methode gegen ein solches (unterstelltes) Verhalten ist der Aufbau einer Vertrauensbasis, die auf dem gemeinsamen Engagement für Freies Wissen basiert.
Grüße. Jürgen
Am 28. November 2014 um 03:13 schrieb Jens Best jens.best@wikimedia.de:
Hallo Jürgen,
Eine wunderbare Sonntagsrede.
Zwei Nachfrage hätte ich, Jürgen.
- Nachdem du ja jetzt ein Jahr im Präsidium warst und auch die Trennung
von Herrn Richter mitentschieden hast, wie möchtest du in Zukunft der von dir angeführten "grundsätzlichen Aufsichtspflicht" gerecht werden?
Hoffst du, wie ich, dass es unter einem neuen Vorstand ein Berichts- und Dokumentationswesen sowie ein Prozess-, Kontakt- und Knowledgemanagement geben wird, welches es zukünftig ermöglicht ohne unverhältnismässigen Aufwand, Zahlen, Fakten und Entwicklungen nachvollziehen zu können oder findest du das frühere Prinzip des "das Präsidium lässt sich ein paar schöne Geschichten vom Vorstand und den Bereichsleitern erzählen" ausreichend?
- Wenn dir bei der Erfüllung der "grundsätzlichen Aufsichtspflicht" ein
paar Strukturprobleme im Alltag der Geschäftsstelle klar werden, wie möchtest du diese dann angehen? Insbesondere würde mich interessieren,
was
du machen willst, wenn der Vorstand eine kritisierte Entwicklung trotz deutlichen Hinweisen aus dem aufsichtsführenden Präsidium nicht angeht
oder
gar durchblicken lässt, dass er das grundsätzlich anders sieht und diese Probleme mithilfe seiner zentralen Machtposition geschickt leugnet/wegwischt?
Über eine Antwort auf die beiden Fragen würde ich mich sehr freuen.
Beste Grüsse
Jens
Am 28. November 2014 um 02:47 schrieb Jürgen Friedrich < juergen.friedrich@wikimedia.de>:
Nach einem langen Abend der Lektüre einer sehr disparaten Diskussion
zur
Präsidiumswahl auf dieser Liste (ich war vier Wochen im Ausland) stehe
ich
ein wenig hilflos vor der Frage, was man zu all den Einzelheiten sagen soll. Ich versuche mal, einige wenige Stränge aus der Diskussion aufzugreifen und meine Position dazu - in Ergänzung zu meiner Selbstvorstellung - zusammenzufassen:
Die Förderung der Communitys muss - auch gegen den Trend in der
Foundation
- gestärkt werden. Es darf vor allem nicht bei Sonntagsreden bleiben,
sondern es muss sich in den materiellen Entscheidungen, z.B. bei der Mittelverteilung im Rahmen des Jahresplans, deutlich niederschlagen und dann in ihrer Wirksamkeit überprüft werden. Mittelentscheidungen sind Strukturentscheidungen: Wollen wir mehr Software-Entwicklung oder mehr Community-Unterstützung, wäre so eine Frage.
Mit den Mitteln des Vereins, die ja im Wesentlichen Spendenmittel und Mitgliedsbeiträge sind, muss wesentlich zielorientierter umgegangen
werden.
Die Verausgabung von Mitteln für den "Überbau" (von immensen Kosten für
den
Vorstandswechsel bis hin zu überbordender Beschäftigung von externen Beratern/Dienstleistern) muss kritisch anlysiert und letztlich
reduziert
werden. Meine Position: Die Mittel des Vereins müssen mindestens zu 80%
für
die Unterstützung der Communitys und der direkten Förderung Freien
Wissens
verwendet werden.
Das Präsidium muss sich auf die strategischen Gestaltungsfragen konzentrieren und seiner grundsätzlichen Aufsichtspflicht gerecht
werden.
Das bedeutet für mich im Umkehrschluss, dass sich das Präsidium
möglichst
vollständig aus der operativen Tagesarbeit der Geschäftsstelle
heraushalten
soll. Die starke operative Orientierung des Präsidiums in der
Vergangenheit
hat die inhaltliche Diskussion zur Zukunft des Vereins zu kurz kommen lassen.
Die Mitarbeiter der Geschäftsstelle sind in ihrer ganz überwiedenden Mehrheit außerordentlich engagiert. Es gibt aber in einigen Bereichen
der
Geschäftsstelle hinsichtlich Effektivität und Service-Orientierung im Verhältnis zu den Freiwilligen noch einige Luft nach oben. Ich bin überzeugt, dass diese Potenziale in konkretes Handeln umgesetzt werden können - und will das durch strukturelle Beiträge unterstützen.
Die Form der Auseinandersetzung in den Diskussionen des Vereins ist teilweise unterirrdisch. Wo kommt diese Aggressivität her? Brauchen wir diese Machtspiele? Ich hoffe, es gelingt mir im Falle einer Wahl,
Beiträge
zur Versachlichung unserer Diskussionen zu leisten. Andere Meinungen
müssen
toleriert und dürfen nicht polemisch abgebügelt werden. Wir müssen uns
auf
die Ziele des Vereins und auf unsere gemeinsame Vision des Freien
Wissens
konzentrieren. Das hört sich banal an, findet aber in der Realität
leider
viel zu wenig statt.
Die Frage der Interessenkonflikte im Zusammenhang mit einer Präsidiumsmitgliedschaft bzw. -kandidatur hat ja in den Diskussionen
auf
dieser Liste breiten Raum eingenommen. Grundsätzlich gut so, aber es
gibt
doch noch so viele andere zentrale Themen der Präsidiumsarbeit, die
hier
eine Rolle spielen müssten (Schwerpunktsetzung in der Arbeit des
Vereins
in
den nächsten fünf oder zehn Jahren; Verbesserung des Verhältnisses
zwischen
Verein und Communitys; Perspektiven der Projektförderung usw.) Aber da
die
Frage an die Bewerber gestellt ist, hier meine Antwort: Ich bin der Auffassung, dass Einrichtungen/Firmen, an denen Funktionsträger des
Vereins
maßgeblich beteiligt sind, nicht in geschäftliche Ausschreibungen von
WMDE
einbezogen werden sollen.
Viele Grüße. Jürgen _______________________________________________ VereinDE-l mailing list VereinDE-l@lists.wikimedia.org https://lists.wikimedia.org/mailman/listinfo/vereinde-l
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