Lieber Sebastian, lieber Sebastian,
in den vergangenen Jahren war ich überaus in der Wikimedia-Bewegung
engagiert und habe ein wenig über die Ländergrenzen hinausblicken
dürfen. Meiner Erfahrung nach hakt es in mehr als einem
Wikimedia-Landesverein an vor allem jenen Punkten: Das
Rollenverständnis von Vorstandsmitgliedern (oder Funktionsträgern im
Allgemeinen); falsche Erwartungen von Vereinsmitgliedern; mangelnde
Ausbildung.
Einige Vorstandsmitglieder finden sich in ihrer Rolle nicht zurecht.
Manche sind wenig aktiv und machen Vorstandsarbeit eigentlich gar
nicht gern; andere zeigen einen fehlgeleiteten Eifer, das sogenannte
Mikromanagement. Ich weiß von einem ehemaligen Vorsitzenden (nicht in
WMDE), der fast täglich in der Geschäftsstelle angerufen hat, um den
Mitarbeitern zu sagen, was sie wann tun sollen.
Der Vorstand (oder in DE "das Präsidium") hat ganz bestimmte
Funktionen und soll in erster Linie für eine Strategie, für einen
Jahresplan und einen Haushalt sorgen. Dies vorbereitet von den
Mitarbeitern und unter Mitsprache der Mitglieder. Schließlich
kontrolliert der Vorstand, ob der Verein als Ganzes die darin
enthaltenen Ziele erreicht hat. Politikhistorisch gesehen erinnert der
Vorstand also an den Monarchen in der konstitutionellen Monarchie, und
der Geschäftsführer (in DE "Vorstand") an den verantwortlichen
Minister. Der Monarch kann dem Minister Vorgaben machen und ihn
auswechseln, aber nicht "regieren". (Siehe [[Konstitutionelle
Monarchie]], einer meiner "Wikipedia 48 Artikel".)
Wer sich nicht für Haushalt und Richtlinien und Berichte usw.
interessiert, der ist für einen Vorstand nicht so geeignet; wer
eigentlich ein Projekt managen will, auch nicht. Solche Leute, welche
Talente und Qualitäten sie sonst im Leben unter Beweis stellen mögen,
werden naturgemäß enttäuscht auf ihre Vorstandszeit zurückblicken.
Ich habe ferner die Erfahrung gemacht, dass auch die "einfachen"
Vereinsmitglieder nicht immer realistische Erwartungen haben. Einige
kommen mit Ideen an, bei denen man antworten muss: 'Das können wir
nicht leisten', oder 'Das können wir jetzt nicht leisten'. Dies
akzeptieren manche Vereinsmitglieder aber nicht und schlagen dann wie
Kinder wütend um sich.
2013/2014 haben uns einige WMDE-Mitarbeiter verlassen, auf eigenen
Wunsch oder anders, und mir ist ein Kontrast aufgefallen: Während
diese Menschen für WMDE gearbeitet haben, sind sie teils
allerbösartigst von bestimmten Ehrenamtlichen beschimpft worden, und
bei der Entlassung haben dann dieselben Ehrenamtlichen darüber
geklagt, wie falsch/unmenschlich/dumm die Entlassung sei...
Allgemein scheint mir manche Vereinskommunikation verbesserbar zu
sein. Wenn ich eine Frage habe, dann wende ich mich zunächst an die
Betroffenen, und überlege erst dann, ob eine Mailingliste damit
behelligt werden muss. In 99 Prozent aller Fälle erhalte ich auch so
die Auskünfte. Auf manchen Mitgliederversammlungen (fragt mal nicht,
in welchem Land) hatte ich den Eindruck, dass ein Auftritt vornehmlich
mit Selbstdarstellung zu tun hatte, weniger mit der Absicht, etwas zu
verbessern.
Und schließlich glaube ich, dass wir alle noch nicht genug über die
Wikimedia-Bewegung wissen. Ich könnte mir vorstellen, dass wir dazu
gesonderte Trainings vertragen könnten, damit Hauptamtliche und
Ehrenamtliche besser vorbereitet zum Beispiel zu internationalen
Treffen fahren. Da fallen mir jetzt einige Leute aus anderen
Landesvereinen ein, die eher einen Einführungskurs in die Bewegung
brauchen als dass sie sinnvoll an einer Wikimedia Conference
teilnehmen könnten. Wir überfordern unsere Leute oftmals und wundern
uns dann, warum die Resultate so durchwachsen sind.
Es erübrigt sich wohl zu wiederholen, auf welche Punkte ich bei einem
Kandidaten für das WMDE-Präsidium besonders achte. Allgemein freue ich
mich über die große Zahl an Kandidaten. Ich halte es für legitim,
seine eigene Wahlentscheidung zu veröffentlichen, weiß aber nicht, ob
ich das für mich möchte. Einige "Wahlprüfsteine" fände ich sinnvoll,
ähnlich wie bei den WMF-Wahlen, aber dazu ist es mittlerweile
vielleicht etwas spät.
Besten Gruß
Ziko van Dijk
Am 17. November 2014 23:45 schrieb Sebastian Wallroth
<sebastian.wallroth(a)wikimedia.de>de>:
Sebastian Moleski hat seinen Standpunkt zu der Frage
der Einbindung von
freiwilligen Mitstreitenden in die Arbeit von Wikimedia Deutschland
dargelegt. Am 17.11.2014 um 13:17 schrieb Sebastian Moleski:
Das letzte Jahrzehnt hat
bewiesen, dass es nicht nur möglich ist, eine umfassende Enzyklopädie in
vielen Sprachen auf rein ehrenamtlicher Ebene zu erstellen, sondern dass es
im Zeitalter des Internets anders gar nicht nachhaltig geht.
Das ist eine entscheidende Erkenntnis: Nachhaltigkeit ist ohne das
Engagement von Ehrenamtlichen nicht zu erreichen. Den Einsatz für Freies
Wissen nur bezahlten Kräften zu überlassen funktioniert erstens nur so
lange, wie Gelder zur Verfügung stehen. Sobald die Quelle versiegt,
bricht das System zusammen. Zweitens skaliert dieses System nicht. Man
kann mit einer begrenzten Anzahl Mitarbeiter nur eine begrenzte Menge
von Arbeit schaffen. Mit freiwilligen Kräften hat man eine potenziell
gigantische Anzahl von Mitstreitenden.
Mit dem nächsten Satz relativiert er diese Erkenntnis.
Das sollte
aber nicht die Sicht darauf verschließen, dass diese Erfahrungen mitunter
eben nicht zu verallgemeinern sind. Haupt- und ehrenamtliche Tätigkeit muss
sich vielmehr gegenseitig komplementieren,
Das klingt sehr vernünftig. Das beste aus beiden Welten zu nehmen - wer
kann dagegen sprechen? Sebastian Moleski spricht mit seinen Taten
dagegen. Zusammen mit Pavel Richter hat er die Arbeit im Verein allein
auf bezahlte Mitarbeitende ausgerichtet. Ehrenamtliche Mitarbeitende
bleiben auf das Präsidium und keine Handvoll Arbeitsgruppen beschränkt,
die kaum etwas bewirken. Und das liegt nicht daran, dass Ehrenamtliche
nichts erreichen könnten. Wikimedia Deutschland wurde von Ehrenamtlichen
geschaffen. Die übergroße Mehrheit der Vereine und Verbände in
Deutschland wird mangels ausreichender Gelder in bewundernswerte Weise
von Ehrenamtlichen gestaltet.
Dass die Notwendigkeit besteht, Freiwilligen die Arbeit im Verein zu
ermöglichen wird zur Zeit nur aus einem Grund so nachdrücklich betont.
Ehrenamtliches Engagement für Freies Wissen ist bei Wikimedia
Deutschland zur Zeit faktisch nicht möglich.
Sebastian Moleski will jedoch seinen Kurs fortsetzen
und zwar ohne diese elenden
Machtdiskussionen, wie sie immer wieder auftauchen, und ohne das eine
schlecht zu machen oder das andere zu überhöhen.
Ich weiß, dass es lästig ist, immer wieder mit der Nase darauf gestoßen
zu werden, dass Wikimedia Deutschland ohne ehrenamtliches Engagement
weit unter seinen Möglichkeiten bleibt. Mir macht es auch keinen Spaß,
dass immer wiederholen zu müssen. Und es ganz sicher falsch, die Arbeit
der Mitarbeitenden in der Geschäftsstelle schlecht zu machen. Darum tut
das auch niemand. Eine Überhöhung der Möglichkeiten der Zusammenarbeit
mit Freiwilligen ist gar nicht möglich. Denn dieses Potenzial liegt
sträflich brach.
Ich würde mich freuen, wenn mehr Mitglieder ihre Meinung äußern würden.
Bitte schreibt, wie die Zukunft des Vereins aussehen soll.
Mit freundlichen Gruß,
Sebastian Wallroth
Sebastian Wallroth
Präsidium
Wikimedia Deutschland
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