Moin Denis, Ich verstehe die Thesen (zumal ich einmal an einem universitären Institut ein Wiki einrichteten). Zweierlei: Die Wissenschaften werden sich bewegen, doch muss man auch ihren Freiraum begreifen - und der ist begrnzt.
Wikipedia sollte sich bewegen und darüber nachdenken, wie es Wissenschaftler dort abpasst, wo sie publizieren. Sie benötigen wissenschaftliche Journale und Forschungsbände in enen sie Beiträgen zu einem Thema publizieren. Sie benötigen hier wie dort das Peer-Reviewing, das WP nicht bieten kann. WP kann ihnen indes mediale Öffentlichkeit geben - eben über eine eigene Reihe, in der Wissenschaftler ganz wie bei Rodopi oder Cambridge University Press nach ihren eigene Spielregeln publizieren. Die Commons-Lizenz ist dabei überhaupt kein Problem, auch nicht dass man ihre Arbeiten ausschölachten könnte. Ich profitiere von jeder Verwenduing meiner Arbeit, die mich zitiert, ich kriege Jobs, wenn ich öffentlich diskutiert werde, ich mache gar keinen sonstigen großen Gewinn mit meiner Veröffentlichung. In Wikipeia der online Enzyklopädie ist Commons ein Problem, da mein Beitrag am Artikel letztlich nicht identifiziert wird. Niemand kennt mich als Autor - auch wenn ich laut Versionsgeschichte unter Klarnamen editiere. Jeder in Fachkreisen kann mich indes als Autor vermuten, sobald ich spezifisches Wissen und spezifische Perspektiven anbiete und wird dabei nicht wissen, was alles nicht von mir in diesem Artikel ist - beides, darauf wollte ich hinweisen, ist haarig. Die Lage sieht bei Abbildungen besser aus (ich riskierte einige Vorveröffentichungen aus meinem laufenden Forschungsprojekt über Commons, da die einzelne statistische Grafik letztlich mit mir verbunden bleibt. Dass andere sie in ihren Publikationen kostenlos benutzen können, ist ok. Ich profitiere von jedem Zitat, das meinen Namen draußen herumtreibt.
Ich denke, wir werden darüber nachdenken müssen, dass WP kein Medium für wissenschaftliche Arbeit ist. Sie reflektiert diese im optimalen Fall kritisch, und das haben wir intern so halbwegs begriffen, wenn wir Sätze wie no original research formulieren. (ist natürlich Unsin, da was immer ich als Mann vom Fach schreibe, untrennbar mit meiner Perspektive verbunden ist - und gerade das wil jedes andere Lexikon, das mich um einen Beitrag bittet). Wenn wir Wissenschaftler bei uns haben wollen, müssen wir Medien für wissenschaftliche Arbeit schaffen - peer-reviewed, abgeschlossen zitierbar, an Bibliotheken vertrieben, als online-ressourcen vernetzt. Wenn ein Tagungsband bei WP erscheint (WP kann da große Verlage unterbieten, die derzeit von DFG Druckkostenzuschüssen leben und für Wissenschaftler darum eigentlich gar nicht so interessant sind), wenn zweitens die Beiträge zudem online publiziert werden auf einer eigenen WP-Plattform, auf der sie datiert und abgeschlossen stehen - zitierbar, peer-reviewed wie im gedruckten Band. Dann können wir den online Beitrag mit WP verlinken, in WP ausschlachten, und: Autoren dazu ermuntern, nachzusehen, ob die Artikel in WP, in die hinein ihr Beitrag verlinkt, auch auf einem guten Stand sind. Dann trennt sich etwas wichtiges: Ich gebe meine Meinung mit Point of view als meine Meinung auf der einen Plattform an ganz wie ein Wissenschaftler es tun soll. Ich sehe WP demgegenüber als online-Enzyklopädie, die Arbeiten wie die meinige ausnutzt. Es ist für den Wissenschaftler ja von Vorteil in WP zitiert zu werden. Mein Plädoyer ist es zu verstehen, wie Wissenschaftler publizieren müssen, und ihnen dazu eine Plattform bei WP zu geben, Aufgaben zu trennen statt von einer Zukunft zu träumen, in der das Handbuch, das WP nun einmal ist, Wissenschaft einer neuen Menschheit sein wird.
Zur Zeit regiert in WP und WM die Vermutung, dass es eine wissenschaftliche WP geben könne. Das ist eine prekäre Utopie, da das Geschäft des Handbuchwissens und des Lexikonartikels ganz ehrlich Pseudowissenschaft ist, eine sekundäre Ausschlachtung von Wissenschaft. Das weiß der Dozent, der darunter leidet, dass seine Studenten WP zitieren, statt Wissenschaft zu betreiben. Er will, dass sie wissenschaftlich fundiert ihren Point of view anbieten und erhält von ihnen was sie selbst als Privatmeinungen ausweisen mit billigem WP-Wissen unterfüttert. Wir haben mit all unseren Redaktionsrichtlinien keinen klaren Begriff entwickelt von der tatsächlichen Differenz zwischen WP und den Wissenschaften - beide benötigen einander ganz anders als wir das bislang wahr haben wollen. Wir träumen da noch etwas von einer anderen Wissenschaft und einer anderen Wikipedia und der Auflösung einer tatsächlich wissenschaftsnotwendigen Spannung aus Theoriebildung, öffentlich ausgeübter persönlicher Verantwortung und Forschung bei aller Objektivität auf die Wissenschaftler dabei ganz eigen abzielen. Olaf
Denis Barthel denis@denis.net hat am 26. November 2010 um 14:40 geschrieben:
Am 25.11.2010 17:02, schrieb Olaf Simons:
Wir sollten nicht unbedingt Wissenschaftler als
Artikel-Autoren gewinnen.
Passt. Allerdings würde ich andere Konsequenzen ziehen wollen.
Deine Darstellung ist ziemlich interessant, ergänzt sie doch aus geisteswissenschaftlicher Sicht Statements von Naturwissenschaftlern, die im Rahmen der Academy abgegeben wurden. Hier waren die Beweggründe anders, denn es geht bei Naturwissenschaftlern selten um Schulen, Strömungen oder Positionen, sondern meist um rein Faktisches. Trotzdem gibt es aber auch hier noch viel zu wenige Aktive. Beide Perspektiven lassen sich meines Erachtens prinzipiell auf die von David Ludwig in der Keynote formulierte Einsicht zurückführen: "Wikipedia besitzt kein Reputationssystem.".
Die Wikipedia ist für viele Wissenschaftler auch ein Kulturschock: der Gedanke, dass Laien in der Wikipedia gleichberechtigt neben ihnen agieren dürfen, die Existenz von Vandalismus, die (scheinbar) fehlende Zuschreibung an Autoren, die "Unabgeschlossenheit" der Texte oder auch die Angst davor, zuviel Wissen freizugeben und so etwas zu verlieren. Das Problem, das hier auftaucht, ist zu einem gewissen Stück auch, das Wissenschaft selbst ein nur wenig offenes System mit wenig Anknüpfungspunkten darstellt. Wie groß die Differenz dahin ist, machte der Academy-Vortrag von Daniel Mietchen klar, der in seinem Vortrag "Wissenschaft als Wiki" exemplarisch ein komplett anderes Bild einer möglichen Wissenschaft entwarf: [1]
Vielleicht ist es ein Fehler in den bisherigen Ansätzen, Einzelpersonen adressieren zu wollen, für die die Frage nach der Reputation ihrer Arbeit meist viel wichtiger ist. Alles andere kommt irgendwann lang danach, inklusive der aufklärerischen Idee, die Welt an ihrem Wissen teilhaben zu lassen :(
Für Wissenschaftler spricht nichts dagegen diese Beiträge unter eine Commons-Lizenz zu stellen. Sie erhalten auch bei Rodopi, Metzler oder Reclam nichts für ihre Arbeit. Wichtig ist für sie, dass klar ist,
was sie wann schrieben.
In den Vorträgen des zweiten Tages der Academy klang das (evtl. auch hier ein Unterschied der Disziplinen) deutlich anders - die Angst vor der mangelnden Kontrolle des Materials (könnte ja dem Konkurrenten zugute kommen), die Frage nach der wichtigen Anhäufung von Impact-Faktoren, die man nicht über die Mitarbeit in einem "Forscherwiki" zustande bekommt, der Unwille von Kollegen, aus Wikis zu zitieren, egal wer da schreibt .... eine Menge Gründe wurden da angeführt, nicht zuletzt auch das schlichte "Kenn ich nich' - will ich nich'.". Ich entsinne mich noch an ein Wort zur Verbreitung von Open Access (hier nach Southpark zitiert [3]): "ein wirklich gut informierter SPrachwissenschaftler hat schon mal vage gehört, dass es sowas wie OA gibt" - dass Freie Lizenzen da wesentlich besser durchschlagen, halte ich für eine mutige These.
Anders ist dies bei Organisationen - zum Beispiel Universitäten oder Instituten. Hier gibt es oft gemeinsame Interessen. Die Wikipedia lässt sich z.B. zu beiderseitigem Nutzen in der Lehre als eine Art Lern- und Lehrplattform einsetzen, so wie es zum Beispiel das Wiwiwiki.net in den Wirtschaftswissenschaften tut, das en-WikiProject "Murder Madness and Mayhem" [2] in der Literatur Lateinamerikas oder -viel weiter gezogen- die PPI-Initiative der Wikimedia Foundation. Auch der Ansatz, dass Forschungsinstitute ihre Arbeitsgebiete als Maßnahme der Öffentlichkeitsarbeit in der Wikipedia präsentieren, wäre -adäquat ausgearbeitet- denkbar.
Vielleicht also mehr Wissenschaft als Wissenschaftler? Vielleicht macht es einfach mehr Sinn, in Zukunft dort zu agieren, wo bereits Schnittstellen bestehen, als künstlich welche konstruieren zu wollen?
Gruß, Denis Barthel
[1] http://www.science3point0.com/coaspedia/index.php/User:Daniel_Mietchen/Talks...
[2] http://en.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:WikiProject_Murder_Madness_and_Mayhem
[3] http://asinliberty.blogspot.com/2010/11/wikipedia-academy-liveblogging-samst...
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