Liebe Zielgruppe,
vor Euch liegt der dieswöchentliche Bericht über meine Arbeit, Inhalte zu befreien. Diese Woche war etwas ungewöhnlich. Vorher ein paar Worte über grundsätzliche Aspekte meiner Arbeit, möglichst viele qualitativ hochwertige Texte loszueisen.
1. Aspekt: Scheitern
Es gibt derzeit wenig Grund, ein "Nein" eines potentiellen Partners derzeit und dauerhaft als ein "Nein" zu begreifen, maximal als ein "noch nicht". Zum einen kostet es uns nichts, einfach ein "noch nicht" im Kopf zu behalten und bei sich bietenden Gelegenheiten einfach nochmal nachzufragen, beispielsweise ein halbes Jahr später oder aus Anlass einer neuen Kooperation. Es sind nur wenige Szenarien denkbar, in denen es wirklich bei einem dauerhaften Nein bleiben könnte. Beispielsweise hatten wir 2004 einmal Brockhaus eine Zusammenarbeit vorgeschlagen und dann so ungefähr in Abständen von 18 Monaten. Diese Frequenz kann man ohne große Schmerzen beibehalten, wer auch immer gerade Inhaber von irgendwelchen Inhalten mit Brockhaus-Label ist.
Ein anderes Beispiel ist Encarta. Ungefähr im Spätsommer 2004 gab es ein Interview mit der deutschen Encarta-Projektmanagerin von Microsoft, Britta Best. Ich habe mit ihr ein oder zwei Jahre später telefoniert und eine Kooperation angeboten, ohne dass eine Reaktion erfolgte. Irgendwann war kein Lebenszeichen von Encarta mehr in Deutschland feststellbar und die Sache schlief noch weiter ein. Nach der Todesnachricht für das ganze Encarta-Projekt habe ich noch mal nachgehakt und es kam zu einer Telefonkonferenz mit dem Projektmanagement von Encarta in den USA. Später kam dann die Entscheidung, vorerst keine Inhalte von Encarta freizugeben. Aus der Außenperspektive sind keine Anstrengungen sichtbar, dass die Encarta-Inhalte weiterhin gepflegt werden, ihre Nutzbarkeit wird so sicherlich nicht steigen. Wenn Microsoft nur deshalb keine Inhalte freigeben wollte, weil es ihnen noch einen monetarisierbaren Wert zuweist, könnte die Antwort nach Ablauf einiger Zeit vielleicht doch anders aussehen. Microsofts Bing hat nach dem Kauf von powerset.com konsequenterweise deren Technologie im Einsatz und verwendet dadurch massiv Wikipedia-Inhalte. In deren eigener Logik sollten sie ab jetzt daran interessiert sein, dass Wikipedia möglichst weiterhin möglichst viele hochwertige aktuelle Inhalte anbietet.
Etwas anders sieht das beispielsweise beim Bundespresseamt aus. Dort ist man leider noch nicht bereit, Inhalte unter freie Lizenz zu stellen. Dies ist eine sehr bedauerliche Entscheidung, die auch direkt der Position von Wikimedia Deutschland entgegenläuft, dass jene Inhalte, die mit Steuermitteln erstellt werden, auch der Öffentlichkeit frei zur Verfügung stehen sollen. In diesem Fall haben wir noch ein paar Mittel, um auf eine Lösung hinzuwirken. Mithilfe ist natürliche wie immer und überall erwünscht.
2. Aspekt: Erfolg
So toll es ist, wenn nach 12 Monaten harter Verhandlungen am Ende viele Bilder unter eine freie Lizenz gestellt werden: Das ist nicht das eigentliche Ziel. Wenn alles nach Plan(tm) geht, dann werden demnächst überall auf dem Planeten Werke unter freie Lizenzen gestellt, ohne dass ein Trupp der Content Liberators anklopfen muss. Bis dahin ist Erfolg alles, was uns diesem Zustand näher bringt. Einen riesengroßen Mitzieh-Effekt haben natürlich Kooperationen derzeit selbst, sowas spricht sich in den jeweiligen Peergroups herum, im Guten wie im Schlechten.
Und nun der eigentliche Text:
Von Samstag bis Mittwoch abend (Ortszeit) verschlug es mich an die amerikanische Ostküste, auf Einladung einer Stiftung (http://www.knowledgecommons.org/). Die Knowlege Commons wird übrigens ebenfalls wie die Wikimedia Foundation von der Alfred P. Sloan Foundation unterstützt und hat Ziele, die ich für mehr als nur vereinbar halte mit denen der Wikimedia Foundation. Thema der Veranstaltung war die Frage, ob und wie Wikipedia-Inhalte mit einer sechsstelligen Zahl an digitalisierten Werken verknüpft werden können. Mit im Raum war Dan Cohen von der George Mason University und Zotero-Held (siehe letzte Woche, die abgewiesene Klage durch Reuters). Wir werden nochmal darauf zurückkommen, Dan war jedenfalls von dem Thema Normdaten sehr angetan und hat meinen halben Vortrag mitgetwittert.
Der zweite Termin fand auf einer Insel statt, die 1626 Gegenstand eines Immobilienskandals war. Ein gewisser Peter Minuit ließ sich Gegenstände im Wert von 60 Gulden abschwatzen, um von einem Stamm die Insel zu "kaufen", der weder dort wohnte, noch sonst irgendwelche Eigentumsrechte an diesem Fleck hatte. Das Nachsehen hatten die dort lebenden Weckquaesgees, die Insel heißt heute Manhattan und liegt im Bundesstaat New York. Seit einigen Jahren habe ich Kontakt mit einigen Leuten bei der New York Times, die sehr darüber erfreut waren, dass ich in der Nähe war und auch relativ spontan Zeit für ein Treffen hatten. Der NYT geht es derzeit finanziell nicht allzu prächtig, auf der anderen Seite kenne ich nur wenige Zeitungen, die online besser aufgestellt sind (ob es da einen Zusammenhang gibt?). Man kann das Treffen wohl am ehesten als gegenseitiges brain-picking bezeichnen, weniger als Vertragsverhandlung. Eines der IMHO sehr interessanten Projekte der Times ist "Times Topics" (http://topics.nytimes.com/topics/reference/timestopics/index.html), eine Art öffentlich einsehbares Kategoriensystem für Times-Artikel. Der nächste Schritt ist die Umwandlung der Topics in "living articles", also der Aufbau einer Enzyklopädie. Man kann das Projekt unter anderem beim Artikel zu General Motors beobachten: http://topics.nytimes.com/topics/news/business/companies/general_motors_corp.... Die Zahl der living articles ist derzeit niedrig zweistellig und wird derzeit noch von den Redakteuren der NYT getragen. Man will mittelfristig hin zu Freiwilligen, die unentgeltlich ihren guten Namen und ihr Wissen und ihre Zeit dafür hergeben, um die jeweiligen Topics auszubauen. Hintergrund: man ist schlichtweg frustriert darüber, dass man nach eigener und vertretbarer Ansicht gute Artikel zu bestimmten Themen hat, aber dennoch immer weit hinter Wikipedia liegt, wenn es um die Suchmaschinentreffer geht. Die NYT hat seit 1860 eine einheitliche Klassifikation ihrer Artikel, allerdings ohne sie bisher veröffentlicht zu haben. Die Klassifikation hat auch keinerlei Andock-Punkte an das, was woanders genutzt ist. Ohne eigene Verwertungsmöglichkeiten steht einer Freigabe der Metadaten nichts im Wege, man müsste dann einmal schauen, ob sich irgendein Szenario finden lässt, um die Daten oder ihren Umgang damit als Hebel für das eigentliche Loseisen von Inhalten zu verwenden.
Die kommende Woche:
* Diverse Proposals schreiben, einige Telefonkonferenzen * Vorbereitungen für einen Workshop * "Stuff"
Ich wünsche Euch allen einen schönen Wochenausklang, vorzugsweise in Berlin auf dem fünfjährigen Geburtstag unseres Vereins.
Viele Grüße, Mathias
Danke für den abermals vorbildhaften Bericht, erlaube ein paar Rückfragen.
Etwas anders sieht das beispielsweise beim Bundespresseamt aus. Dort ist man leider noch nicht bereit, Inhalte unter freie Lizenz zu stellen. Dies ist eine sehr bedauerliche Entscheidung, die auch direkt
Was ist das Argument, das das Amt vorbringt? Und gibt es allgemeine Regeln für die Bundesbehörden, auf die wir uns stützen können?
äher bringt. Einen
riesengroßen Mitzieh-Effekt haben natürlich Kooperationen derzeit selbst, sowas spricht sich in den jeweiligen Peergroups herum, im Guten wie im Schlechten.
Im Guten kann ich mir vorstellen, aber was im Schlechten? Beispiel?
Dein Engament in USA - ist das noch WM-DE, oder schon in Absprache mit WMF? :-)
Den Texteil über die NYC fand ich am interessantesten (darf ich den wiederverwerten? IWW), denn das Problem haben ja viele Zeitungen. Und da wir für unsere WP-Arbeit viel Zeitung lesen, können wir da nicht ganz ignorant sein. Spannende Entwicklung.
Besten Gruß Ziko
2009/6/13 Ziko van Dijk zvandijk@googlemail.com:
Etwas anders sieht das beispielsweise beim Bundespresseamt aus. Dort ist man leider noch nicht bereit, Inhalte unter freie Lizenz zu stellen. Dies ist eine sehr bedauerliche Entscheidung, die auch direkt
Was ist das Argument, das das Amt vorbringt? Und gibt es allgemeine Regeln für die Bundesbehörden, auf die wir uns stützen können?
Das Bundespresseamt sagt, es habe die zusätzliche Sichtbarkeit seiner Inhalte via Freigabe und Nutzung auf Wikipedia nicht nötig, man wolle außerdem nicht verzerrend in den kommerziellen Markt für Bilder eingreifen.
riesengroßen Mitzieh-Effekt haben natürlich Kooperationen derzeit selbst, sowas spricht sich in den jeweiligen Peergroups herum, im Guten wie im Schlechten.
Im Guten kann ich mir vorstellen, aber was im Schlechten? Beispiel?
Im Schlechten kann sein, wenn beispielsweise der Eindruck entstünde, dass der moralischen Verpflichtung zur Freigabe von Bildern genüge getan sei, wenn die Bildauflösung bei 800 Pixeln liegt.
Dein Engament in USA - ist das noch WM-DE, oder schon in Absprache mit WMF? :-)
Mein Arbeitgeber ist WM-DE, aber ich befreie auch im Auslandseinsatz Content. In diesem Fall erfolgten Fahrtkosten weder durch WMF noch durch WM-DE, sondern durch die Stiftung, die mich dort haben wollte auf dem Treffen.
Den Texteil über die NYC fand ich am interessantesten (darf ich den wiederverwerten? IWW)
Geh einfach davon aus, dass meine Texte unter cc-by-sa stehen und mache Attribution bei Weiterverwendung.
Mathias
Mathias Schindler schrieb:
2009/6/13 Ziko van Dijk zvandijk@googlemail.com:
Etwas anders sieht das beispielsweise beim Bundespresseamt aus. Dort ist man leider noch nicht bereit, Inhalte unter freie Lizenz zu stellen. Dies ist eine sehr bedauerliche Entscheidung, die auch direkt
Was ist das Argument, das das Amt vorbringt? Und gibt es allgemeine Regeln für die Bundesbehörden, auf die wir uns stützen können?
Das Bundespresseamt sagt, es habe die zusätzliche Sichtbarkeit seiner Inhalte via Freigabe und Nutzung auf Wikipedia nicht nötig,
Aha. Endlich herausgefunden: *Das* ist also der Unterschied zwischen Horst Köhler und Barack Obama:
http://www.whitehouse.gov/copyright/
man wolle außerdem nicht verzerrend in den kommerziellen Markt für Bilder eingreifen.
http://bundespraesident.de/Journalistenservice/Servicehinweise-,12012/Impres... --> http://www.bundesbildstelle.de/
| Die Fotos werden auch für Veröffentlichungen Dritter bereitgestellt, | z.B. für Zeitungen, Zeitschriften, Verlage, Stiftungen und | Institutionen, dafür sind marktübliche Nutzungshonorare zu zahlen.
Daran könnte man wohl nur politisch etwas ändern...
Im übrigen: Danke für Deinen ausführlichen Bericht.
Jürgen.
vereinde-l@lists.wikimedia.org