An meinen liebsten Liesel den ich kenne:
In Anbetracht der tatsächlichen Situation - und als langjähriger Organisator des relativ erfolgreichen Stammtisches in Wien weiß ich das recht gut - ist es schwer, dauerhaft aktive, konstruktive Neuteilnehmer zu finden. Der Stammtisch ist nur ein Indiz von mehreren dafür, wie zäh im Grunde alles läuft. Aber auch gleichzeitig erkennbar, wie stabil doch die Grundlage ist.
In der Diskussion stellt man fest, dass eigentlich jeder Stammtischteilnehmer in seinem Bekanntenkreis als Einziger dasteht, der was zu WP beiträgt. Ob das nun Schüler sind oder Pensionisten. Aber jeder (der Außenstehenden) kennt´s, jeder braucht´s, jeder verwendet es regelmäßig. Kein Thema.
Zur Auslese:
Es bedarf keiner aktiven Auslese durch irgenwelche Personen, die ergibt sich von selbst, wenn man niemandem vorschreibt, an etwas zwingend teilnehmen zu müssen. Aber die Option anbietet.
Selbstverständlich wird jede normale Unterrichtsstunde bei Schülern, welche durch den Vortrag eines WP-Referenten ersetzt wird, möglicherweise als "entlastend" empfunden. Eh klar, wir waren ja selbst in Schulen. Aber ob sich daraus auch Wikipedianer generieren lassen, ist fraglich.
Viel interessanter wäre es, wenn jemand von uns die Möglichkeit eines Impulsreferats in vielleicht allen Klassen bekommt, als Einladung zur Teilnahme an einem alters- und klassenübergreifenden Freigegenstand zur Vertiefung des Themas. Und hier nicht nur in einer Stunde, sondern vielleicht sogar in einer Form eines Blockseminars, oder auch über mehrere Wochen verteilt an einer Schule.
Gleichzeitig ein Konzept für Lehrer (siehe auch unten).
Hier wirds dann anspruchsvoll, denn da ist es mit einer normalen Vorbereitung nicht mehr getan, hier sind auch Referenten mit einer deutlich tieferen Wissens- und WP-Funktionstiefe gefragt, um an praktischen Beispielen zu arbeiten. Direkt.
So vorbereitet - und so eine Schule lässt sich doch finden, denke ich - wäre es als Ergebnis vielleicht möglich, dauerhaft 10 (aus unserer Sichtweise) ernstzunehmende Schüler aus einer Schule zu finden, welche tatsächlich unserer Wunschvorstellung entsprechen.
Selektieren kann man nicht nur durch Ausschließen.
Wikipedia lebt tatsächlich davon, dass Beste aus einer Gruppe von Personen zu bekommen, deren Lebensgestaltung noch ein Zeitfenster für "Gemeinnützigkeitsbereitschaft" im Wikipediasinne offen lässt. Dh. nicht, dass es die Besten sein werden, aber es sind die Besten für diese Aufgabe, weil die anderen "Besten" gar nicht zur Verfügung stehn. Die machen was anderes. Was auch völlig in Ordnung ist.
Wir haben eines unzweifelhaft erreicht: Ohne Wikipedia geht gar nix mehr. JEDER, der für UNS von Interesse ist, weiß was WP ist und nutzt es. Weiß aber nicht, wer dahintersteckt. Diese Frage stellt sich für die allermeisten gar nicht. Es ist völlig egal, ob einer WP einmal in der Woche oder 10x täglich braucht. Das war früher nicht anders als heute. Der Griff zum Lexikon war immer schon unterschiedlich häufig.
Jeder der für uns von Interesse ist, ist auch potentieller Spender. Und hat damit auch seine Position und somit auch eine Aufgabe in Wikipedia gefunden. Dass das funktioniert, hat sich gezeigt und wird auch so bald nicht abreissen, wenn wir in der Lage sind den Usern klarzumachen, dass hinter dem Abruf von Artikeln Menschen stehen, vielleicht gar der Nachbar, der in der Nacht immer das Licht brennen hat. Das ist nicht selbstverständlich! Die 10 erwachsenen Mitbewohner in meinem Haus haben bis auf einen Internetzugang, sieben haben studiert, jeder davon nutzt Wikipedia, aber nur einer ist aktiv. Ein Sonderfall mit 10%, dafür ist mir in der ganzen Gasse mit sicher 300 Personen kein einziger sonstiger Wikipedianer persönlich bekannt. Der nächste Wikipedianer, den ich regelmäßig treffe, wohnt 300 m entfernt, der übernächste 600m. Weitere fünf weiß ich im Umkreis von einem km, ohne sie persönlich zu kennen.
Dass sich hier massiv etwas ändert, liegt an der bestehenden Idealkonstellation, dass seit 10 Jahren die Onlinedurchdringung praktisch bei 70-80% der Gesamtbevölkerung angelangt ist und noch um mindestens 10% steigen wird. Und an den durch die steigenden Angebote im Internet auch verändernden Nutzungsformen und veränderter Zugänge dazu.
Wikipedia ist bereits am Sprung, das wichtigste Wissenskompendium überhaupt für die Deutschen, den Duden seinen Rang abzulaufen. "Schau im Duden nach" wurde in meinem Bekanntenkreis bereits durchgehend durch "Schau in Wikipedia nach" abgelöst, obwohl das Eine mit dem Anderen nicht vergleichbar ist. Der Duden hat es bereit erkannt und die Flucht nach Vorne angetreten. Wir teilweise noch nicht. Weil wir - als Gestalter - am bisherigen Ergebnis weit mehr zweifeln als die Menschen "draußen".
Wir werden es nicht schaffen, mehr als 1% aller User dazu zu bringen, sich unmittelbar am Projekt zu beteiligen. Aber das wäre schon ein wunderbarer Erfolg. Der Rest soll einmal im Jahr ein paar Euro spenden und ansonsten positiv über uns reden. Ist doch toll, oder?
Und wenn wir es schaffen, in jeder Schule 10 aktive Wikipedianer zu bekommen (1-2%), dann ist es auch ein großer Erfolg. Das wäre nämlich (ich kann nur spekulieren) eine Steigerung von 1000%. Ich habe mal ein paar österr. Schüler, welche aktive Wikipedianer sind, angesprochen, sie sind alle allein auf weiter Flur. Und sie gehören alle nicht zur Gruppe der Meinungsmacher in der Schule.
Wissen bieten wir bereits für alle an. Das brauchen wir nicht mehr forcieren, das läuft von selbst. In Ö wird in den wichtigsten Newsportalen standardmässig bereits ergänzend auf Wikipedia verlinkt (Außer von Autoren, welche den Artikel zu sehr bei uns abgeschrieben haben). In D ist es ähnlich, siehe die Kooperation mit dem Spiegel.
Wir müssen schauen, dass wir Lehrer schulen!!!
Die aktuelle, noch immer durchgängig praktizierte Denke ist das bisherige System eines elitären Wissenszuganges. Das ist mit WP auf den Kopf gestellt. Deshalb gerade aus diesem Bereich die kritische Ablehnung, die es vielfach noch gibt.
Aus diesem Denken heraus entspringt und widerspricht gleichzeitig die Aufgabenstellung, welche Lehrer ihren Schülern als Lehr- und Lernstoff vorgeben (in einigen Fächern, nicht allen) der Realität, dass sich Wissensaneignung und -verarbeitung heute nicht mehr mit der vor 30 Jahren vergleichen lässt.
Die Vorgaben des schulischen Lernprozesses sind auch heute noch hierarchisch. Bedingt durch Leistungs- und Auslesesysteme, die weniger Arbeit für Lehrer bedeuten. Vorne steht ein Lehrer, der alles weiß weil er es sich erarbeiten musste, und in der Klasse sitzen Schüler, die auf ihn angewiesen sind, dieses Wissen auch selbst für sich und nachweislich für das Notensystem zu erarbeiten. Mit der Betonung auf das Notensystem.
Ziel ist es, bis zum Abi - oder bis zum Hochschulabschluss - dieses Wissen so weit wie möglich in Kongruenz zu bringen. Ob das aber tatsächlich Wissende in einem klassisch-humanistischen Kontext schafft, möchte ich bezweifeln. Auf der Uni musste ich erfahren, dass sich das Zettel- und Notensammeln des Schulsystems fortsetzt. Mit dem Ergebnis, dass mehr als 50% aller Abschlüsse von Vollidioten geschafft werden.
Das ist die aktuelle Situation und schaffte über Jahrhunderte einen bequemen Polster für alle, die sich als Lehrende bezeichneten. Finanziell und zeitlich, ich kenne in Ö. Lehrer an Gymnasien, welche mit weniger als 30 Stunden Wochenaufwand einwandfrei die Systemvoraussetzungen erfüllen. Es soll aber auch andere Lehrer geben.
In 5 Jahren werden 80% aller Schüler über einen permanenten Zugang zu Wissen (auch während des Unterrichts) über Smartphones oder Tablets haben.
Hier stellt sich mittelfristig die Frage, ob das bisherige hierarchische Wissensvermittlungssystem - welches elitär ist! - nicht einem System weichen muss, welches nicht mehr auf Wissensvorsprung sondern vorrangig auf die Fähigkeit aufgebaut sein wird, wie bestehendes, für alle zugängliches Wissen sinnvoll er- und verarbeitet wird. Wissen ist da und vor allem zugänglich, aber wie lerne ich, dieses auch zu nutzen ohne darin zu ertrinken?
Das ist meiner Meinung nach eine Revolution, weil es bisherige Systeme völlig in Frage stellt. Ich weiss wovon ich spreche, denn ich habe als Kind einer minderprivilegierten Schicht ein Elitegymnasium besucht. Die Unterschiede sind tiefgreifender als man glaubt.
Ob es den Lehrern klar wird, dass Wikipedia hier einen bestehenden Klassenkampf auflöst weil es tiefgreifende Unterschiede (materieller Natur, Wissen war immer mit Kosten verbunden!) aufzulösen imstande ist?
Ob es den Lehrern klar wird, dass die die Wissenshoheit im Grunde genommen nicht mehr für sich alleine haben? Aber, sie haben eine andere Aufgabe bekommen: Ordnung zu schaffen im scheinbar unendlich vorhandenen Wissen.
Ich weiß, liesel, du magst mich in Wirklichkeit! :-)
lg h.
Am 10.05.2011 21:53, schrieb Liesel:
Natürlich kann man mit den idealen Personal bzw. Lernenden auch die besten Ergebnisse erzielen.
Nur Wikipedia lebt eben nicht davon, sich das Beste herauszupicken. Schau dich doch um in der WP, wieviel von den Benutzern haben die intellektuellen und sozialen Fähigkeiten an diesem Gemeinschaftsprojekt zur Erstellung einer Wikipedia mitzuwirken? Und trotzdem erfolgt keine radikale Auslese.
Warum soll dann so eine Auslese bei den Wikimedia-Bildungsveranstaltungen erfolgen? Schreiben wir schon bestimmte Leute vorher ab? Natürlich kann es sein, dass ein Großteil der Schüler gelangweilt ist. Aber wer weiss, vielleicht bleibt irgendwas hängen. Wenn man natürlich jetzt schon die ganze Generation Facebook pauschal abschreibt, muss man sich nicht wundern, wenn diese Menschen irgendwann doch in der Wikipedia landen und alles anders machen.
Die Aufgabe von Wikimedia ist es eben gerade nicht Wissen nur für einen ausgewählten Personenkreis anzubieten.
Gruß Liesel
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