Vor einigen Jahren hat die WMF einmal die Landesvereine gefragt, was für einen "ersten Angestellten" sie hatten. Dabei zeigte sich, dass manche Landesvereine eine Art Assistenten des Vorstands eingestellt haben, und andere einen verantwortlichen Geschäftsführer (Direktor).
Gerade für kleinere Vereine mit noch unerfahrenen, unsicheren Vorstandsmitgliedern scheint die Assistentenlösung attraktiv zu sein. Hierbei meinen die Vorstandsmitglieder, maximale Kontrolle ausüben zu können und zu sollen. Der Assistent erhält haarklein die Befehle vom Vorstand und weiß dann, wie er seinen Arbeitsalltag auszufüllen hat. Der Vorstand will also nicht nur strategisch, sondern auch operativ die Fäden in der Hand halten.
Wikimedia Nederland gehört zu den Vereinen, die sich für die andere Lösung entschieden haben, auch, weil wir rasch die Mitarbeiterschaft auf 3 FTE ausbauen wollten. Wir haben eine Direktorin eingestellt und ein Dokument mit klaren Absprachen aufgestellt: was macht der Vorstand als Kollektivorgan, was machen einzelne Vorstandsmitglieder aufgrund ihres Portefeuilles (Vorsitzender bei der Repräsentation, Schatzmeister bei den Finanzen usw.), und was macht die Direktorin. Die Direktorin hat dann nach und nach große Teile der Ausführung an weitere Angestellte delegiert. Verantwortliche Kontaktperson im Vorstand war ein bestimmtes Vorstandsmitglied mit entsprechender beruflicher Erfahrung.
Als Vorsitzender habe ich beispielsweise mit einer Angestellten die Mitgliederversammlungen organisiert und konnte in Grenzen bestimmen, wie die stattfand, aber ich hätte beispielsweise nicht bestimmen können, welcher von unseren Angestellten mir zur Hand gehen sollte. Es ist die Entscheidung der Direktorin, welcher was wann tut. Ihr Rahmen ist unser Arbeitsplan, der von der Mitgliederversammlung zusammen mit dem Haushalt abgesegnet worden ist. Natürlich haben wir Vorstandsmitglieder etwas Zeit gebraucht, um uns an die neue Struktur zu gewöhnen, aber ich habe mir immer gesagt: Wenn wir unsere Direktorin nicht Direktorin sein lassen, dann hätten wir uns eben keine für teuer Geld ins Haus holen sollen. Für die bloße Ausführung meiner spontanen Gedankenblitze hätte ein Assistent gereicht.
Die Struktur funktioniert sehr gut, und ich bin überaus froh, dass wir nicht die Lösung mit einem Assistenten gewählt haben. Ich habe nämlich bei anderen Landesvereinen gesehen, wie sich die Frustration auf beiden Seiten angestaut hat und einige Assistenten recht schnell "geflüchtet" sind. Ganz sicherlich wenn man mehrere Angestellte hat, lässt sich mit dieser Konstruktion kaum arbeiten, weil die Vorstandsmitglieder wesentlich mehr Zeit investieren müssten, um ihre selbstgewählte Rolle durchzuhalten, ebenfalls nicht, weil manchmal gleich mehrere Vorstandsmitglieder den Angestellten Befehle erteilen wollen, was für alle nur noch verwirrender ist, und man muss sich bei manchen auch fragen, ob sie denn die Qualifikation mitbringen, um tatsächlich verantwortlicher Vorgesetzter zu sein.
Mir hat mal jemand gesagt, dass einige Vorstandsmitglieder in Landesvereinen womöglich gern "Chef" spielen möchten, weil ihnen diese Rolle im eigenen Berufsleben verwehrt geblieben ist.
In Wikimedia Deutschland hatte man seinerzeit die Geschäftsführer-Lösung ja sehr konsequent durchgesetzt. Der Geschäftsführer ist als Vorstand im besonderen Maße gestärkt worden, und das Präsidium kann sich auf seine eigentlichen Aufgaben konzentrieren. Das ist bei einer so großen Organisation unzweifelhaft sinnvoll; wenn man viel erreichen will und viele Ressourcen einsetzen will, muss man sich eine entsprechende Verantwortungsstruktur geben. Umso wichtiger ist es, dass Präsidiumsmitglieder viel Zeit und Energie in eine gute, handhabbare Strategie (im weitesten Sinne) investieren, stets im Kontakt mit Mitarbeitern und Ehrenamtlichen, um einen tragfähigen Rahmen zu haben.
Für diejenigen, die sich für Analogien mit dem historischen Staatsrecht interessieren: In der Absoluten Monarchie ist der Minister nur ein unverantwortlicher Diener (Assistent), der die Befehle des Monarchen ausführt. In der Konstitutionellen Monarchie ist der Minister (Direktor) jedoch selbst verantwortlich. Wenn der Monarch (in unserem Falle ein gewähltes Kollektivorgan, das Präsidium) meint, dass der Minister nicht genug nach den Vorgaben regiert, muss er den Minister auswechseln. Tut der Monarch das ohne hinreichenden Grund bzw. zu häufig, könnte es ihm passieren, dass er kein politisches Schwergewicht findet, das den Job überhaupt noch machen will, und umso schwieriger wäre es für einen solchen Monarchen, seine Politik durchzusetzen.
Wieder eine viel zu lange Mail geworden, sorry. Aber ich halte das Rollenverständnis für eine Grundsatzfrage im Interesse des Wohles unseres Vereines Wikimedia Deutschland. Im neuen Präsidium könnte es ein guter Start sein, sich der eigenen Rolle genauer zu vergewissern, mehr aus der Portefeuille-Einteilung zu machen und miteinander abzusprechen, was jeder vom anderen erwartet. Ein starkes Präsidium ist wichtig für ein gesundes Gleichgewicht von Präsidium und Vorstand.
Besten Gruß Ziko
Am Dienstag, 18. November 2014 schrieb Ziko van Dijk :
Lieber Sebastian, lieber Sebastian,
in den vergangenen Jahren war ich überaus in der Wikimedia-Bewegung engagiert und habe ein wenig über die Ländergrenzen hinausblicken dürfen. Meiner Erfahrung nach hakt es in mehr als einem Wikimedia-Landesverein an vor allem jenen Punkten: Das Rollenverständnis von Vorstandsmitgliedern (oder Funktionsträgern im Allgemeinen); falsche Erwartungen von Vereinsmitgliedern; mangelnde Ausbildung.
Einige Vorstandsmitglieder finden sich in ihrer Rolle nicht zurecht. Manche sind wenig aktiv und machen Vorstandsarbeit eigentlich gar nicht gern; andere zeigen einen fehlgeleiteten Eifer, das sogenannte Mikromanagement. Ich weiß von einem ehemaligen Vorsitzenden (nicht in WMDE), der fast täglich in der Geschäftsstelle angerufen hat, um den Mitarbeitern zu sagen, was sie wann tun sollen.
Der Vorstand (oder in DE "das Präsidium") hat ganz bestimmte Funktionen und soll in erster Linie für eine Strategie, für einen Jahresplan und einen Haushalt sorgen. Dies vorbereitet von den Mitarbeitern und unter Mitsprache der Mitglieder. Schließlich kontrolliert der Vorstand, ob der Verein als Ganzes die darin enthaltenen Ziele erreicht hat. Politikhistorisch gesehen erinnert der Vorstand also an den Monarchen in der konstitutionellen Monarchie, und der Geschäftsführer (in DE "Vorstand") an den verantwortlichen Minister. Der Monarch kann dem Minister Vorgaben machen und ihn auswechseln, aber nicht "regieren". (Siehe [[Konstitutionelle Monarchie]], einer meiner "Wikipedia 48 Artikel".)
Wer sich nicht für Haushalt und Richtlinien und Berichte usw. interessiert, der ist für einen Vorstand nicht so geeignet; wer eigentlich ein Projekt managen will, auch nicht. Solche Leute, welche Talente und Qualitäten sie sonst im Leben unter Beweis stellen mögen, werden naturgemäß enttäuscht auf ihre Vorstandszeit zurückblicken.
Ich habe ferner die Erfahrung gemacht, dass auch die "einfachen" Vereinsmitglieder nicht immer realistische Erwartungen haben. Einige kommen mit Ideen an, bei denen man antworten muss: 'Das können wir nicht leisten', oder 'Das können wir jetzt nicht leisten'. Dies akzeptieren manche Vereinsmitglieder aber nicht und schlagen dann wie Kinder wütend um sich.
2013/2014 haben uns einige WMDE-Mitarbeiter verlassen, auf eigenen Wunsch oder anders, und mir ist ein Kontrast aufgefallen: Während diese Menschen für WMDE gearbeitet haben, sind sie teils allerbösartigst von bestimmten Ehrenamtlichen beschimpft worden, und bei der Entlassung haben dann dieselben Ehrenamtlichen darüber geklagt, wie falsch/unmenschlich/dumm die Entlassung sei...
Allgemein scheint mir manche Vereinskommunikation verbesserbar zu sein. Wenn ich eine Frage habe, dann wende ich mich zunächst an die Betroffenen, und überlege erst dann, ob eine Mailingliste damit behelligt werden muss. In 99 Prozent aller Fälle erhalte ich auch so die Auskünfte. Auf manchen Mitgliederversammlungen (fragt mal nicht, in welchem Land) hatte ich den Eindruck, dass ein Auftritt vornehmlich mit Selbstdarstellung zu tun hatte, weniger mit der Absicht, etwas zu verbessern.
Und schließlich glaube ich, dass wir alle noch nicht genug über die Wikimedia-Bewegung wissen. Ich könnte mir vorstellen, dass wir dazu gesonderte Trainings vertragen könnten, damit Hauptamtliche und Ehrenamtliche besser vorbereitet zum Beispiel zu internationalen Treffen fahren. Da fallen mir jetzt einige Leute aus anderen Landesvereinen ein, die eher einen Einführungskurs in die Bewegung brauchen als dass sie sinnvoll an einer Wikimedia Conference teilnehmen könnten. Wir überfordern unsere Leute oftmals und wundern uns dann, warum die Resultate so durchwachsen sind.
Es erübrigt sich wohl zu wiederholen, auf welche Punkte ich bei einem Kandidaten für das WMDE-Präsidium besonders achte. Allgemein freue ich mich über die große Zahl an Kandidaten. Ich halte es für legitim, seine eigene Wahlentscheidung zu veröffentlichen, weiß aber nicht, ob ich das für mich möchte. Einige "Wahlprüfsteine" fände ich sinnvoll, ähnlich wie bei den WMF-Wahlen, aber dazu ist es mittlerweile vielleicht etwas spät.
Besten Gruß Ziko van Dijk
Am 17. November 2014 23:45 schrieb Sebastian Wallroth <sebastian.wallroth@wikimedia.de javascript:;>:
Sebastian Moleski hat seinen Standpunkt zu der Frage der Einbindung von freiwilligen Mitstreitenden in die Arbeit von Wikimedia Deutschland dargelegt. Am 17.11.2014 um 13:17 schrieb Sebastian Moleski:
Das letzte Jahrzehnt hat bewiesen, dass es nicht nur möglich ist, eine umfassende Enzyklopädie in vielen Sprachen auf rein ehrenamtlicher Ebene zu erstellen, sondern
dass es
im Zeitalter des Internets anders gar nicht nachhaltig geht.
Das ist eine entscheidende Erkenntnis: Nachhaltigkeit ist ohne das Engagement von Ehrenamtlichen nicht zu erreichen. Den Einsatz für Freies Wissen nur bezahlten Kräften zu überlassen funktioniert erstens nur so lange, wie Gelder zur Verfügung stehen. Sobald die Quelle versiegt, bricht das System zusammen. Zweitens skaliert dieses System nicht. Man kann mit einer begrenzten Anzahl Mitarbeiter nur eine begrenzte Menge von Arbeit schaffen. Mit freiwilligen Kräften hat man eine potenziell gigantische Anzahl von Mitstreitenden.
Mit dem nächsten Satz relativiert er diese Erkenntnis.
Das sollte aber nicht die Sicht darauf verschließen, dass diese Erfahrungen
mitunter
eben nicht zu verallgemeinern sind. Haupt- und ehrenamtliche Tätigkeit
muss
sich vielmehr gegenseitig komplementieren,
Das klingt sehr vernünftig. Das beste aus beiden Welten zu nehmen - wer kann dagegen sprechen? Sebastian Moleski spricht mit seinen Taten dagegen. Zusammen mit Pavel Richter hat er die Arbeit im Verein allein auf bezahlte Mitarbeitende ausgerichtet. Ehrenamtliche Mitarbeitende bleiben auf das Präsidium und keine Handvoll Arbeitsgruppen beschränkt, die kaum etwas bewirken. Und das liegt nicht daran, dass Ehrenamtliche nichts erreichen könnten. Wikimedia Deutschland wurde von Ehrenamtlichen geschaffen. Die übergroße Mehrheit der Vereine und Verbände in Deutschland wird mangels ausreichender Gelder in bewundernswerte Weise von Ehrenamtlichen gestaltet.
Dass die Notwendigkeit besteht, Freiwilligen die Arbeit im Verein zu ermöglichen wird zur Zeit nur aus einem Grund so nachdrücklich betont. Ehrenamtliches Engagement für Freies Wissen ist bei Wikimedia Deutschland zur Zeit faktisch nicht möglich.
Sebastian Moleski will jedoch seinen Kurs fortsetzen
und zwar ohne diese elenden Machtdiskussionen, wie sie immer wieder auftauchen, und ohne das eine schlecht zu machen oder das andere zu überhöhen.
Ich weiß, dass es lästig ist, immer wieder mit der Nase darauf gestoßen zu werden, dass Wikimedia Deutschland ohne ehrenamtliches Engagement weit unter seinen Möglichkeiten bleibt. Mir macht es auch keinen Spaß, dass immer wiederholen zu müssen. Und es ganz sicher falsch, die Arbeit der Mitarbeitenden in der Geschäftsstelle schlecht zu machen. Darum tut das auch niemand. Eine Überhöhung der Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Freiwilligen ist gar nicht möglich. Denn dieses Potenzial liegt sträflich brach.
Ich würde mich freuen, wenn mehr Mitglieder ihre Meinung äußern würden. Bitte schreibt, wie die Zukunft des Vereins aussehen soll.
Mit freundlichen Gruß, Sebastian Wallroth
Sebastian Wallroth Präsidium Wikimedia Deutschland http://about.me/real68er PGP Key https://de.wikipedia.org/wiki/Benutzer:Sebastian_Wallroth/PGP
Stellen Sie sich eine Welt vor, in der jeder Mensch freien Zugang zu der
Gesamtheit des Wissens der Menschheit hat. Helfen Sie uns dabei! http://spenden.wikimedia.de/
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