Hallo Jens,
zunächst einmal: Du weißt, dass ich mich im Präsidium bezüglich der Trennung von Pavel Richter sehr skeptisch geäußert habe, einerseits inhaltlich und andererseits wegen der hohen damit verbundenen Kosten.
Aber zu deinen Fragen:
zu 1. Die Aufsichtspflicht des Präsidiums sollte zunächst davon ausgehen, dass auch die Geschäftsstelle und der Vorstand mit viel Engagement am gemeinsamen Ziel der Förderung Freien Wissens arbeiten. Daher ist für mich auch bei der Aufsicht eine Kooperation auf gleicher Augenhöhe mit einem Vorstand angesagt und keine "Kontrollmentalität". Es muss eine gemeinsame Überprüfung der Zielerreichung geben. Wenn es gelingt, ein Vertrauensverhältnis zwischen Vorstand und Präsidium aufzubauen, wird es viel leichter für den Vorstand, Probleme zu benennen und Defizite "einzugestehen" (statt sie vor den "Kontrolleuren" zu verstecken). Es muss natürlich auch Instrumente und Methoden zur Überprüfung der Leistung und der Wirkung der Arbeit der Geschäftsstelle geben. Die Stabsstelle Evaluation hat bisher leider nur sehr allgemeine (um nicht zu sagen theoretische) Überlegungen angestellt, und dies seit längerer Zeit. Die Stabsstelle muss dringend zu einem praktikablen, auf NGOs und speziell WMDE zugeschnittenen Controllinginstrumentarium kommen. Allerdings muss das anders aussehen als die zahlenfixierte Metrikenverliebtheit der amerikanischen Freunde in der WMF. "Wirkung" und "Qualität" lassen sich nicht immer in nakte Zahlen fassen. Und ja, es muss natürlich ein transparentes Berichts- und Dokumentationswesen geben, wie du es forderst, um die Aufsichtsfunktion des Präsidiums zu unterstützen.
zu 2. Wenn ein Vorstand eine vom Präsidium kritisierte Entwicklung nicht angeht, wäre mit ihm zu erörtern, warum er oder sie das nicht tut. Es kann Gründe geben. Die Kritik ist nicht so formuliert, dass sie aus Sicht des Vorstands aufgegriffen werden kann, es gibt Missverständnisse bzgl. der Stoßrichtung der Kritik, es gibt unterschiedliche Interpretationen einer Situation usw. In jedem Fall muss die Frage der mangelnden Umsetzung unmittelbar mit dem Vorstand erörtert werden, um den Knoten aufzulösen. Vielleicht ergibt sich auch, dass der Vorstand recht hat, das Präsidium kann auch dazulernen. Ich sehe im übrigen keinen Anlass zu der Annahme, dass der Vorstand, den wir berufen, Probleme "wegleugnet" oder "wegwischt". Die beste Methode gegen ein solches (unterstelltes) Verhalten ist der Aufbau einer Vertrauensbasis, die auf dem gemeinsamen Engagement für Freies Wissen basiert.
Grüße. Jürgen
Am 28. November 2014 um 03:13 schrieb Jens Best jens.best@wikimedia.de:
Hallo Jürgen,
Eine wunderbare Sonntagsrede.
Zwei Nachfrage hätte ich, Jürgen.
- Nachdem du ja jetzt ein Jahr im Präsidium warst und auch die Trennung
von Herrn Richter mitentschieden hast, wie möchtest du in Zukunft der von dir angeführten "grundsätzlichen Aufsichtspflicht" gerecht werden?
Hoffst du, wie ich, dass es unter einem neuen Vorstand ein Berichts- und Dokumentationswesen sowie ein Prozess-, Kontakt- und Knowledgemanagement geben wird, welches es zukünftig ermöglicht ohne unverhältnismässigen Aufwand, Zahlen, Fakten und Entwicklungen nachvollziehen zu können oder findest du das frühere Prinzip des "das Präsidium lässt sich ein paar schöne Geschichten vom Vorstand und den Bereichsleitern erzählen" ausreichend?
- Wenn dir bei der Erfüllung der "grundsätzlichen Aufsichtspflicht" ein
paar Strukturprobleme im Alltag der Geschäftsstelle klar werden, wie möchtest du diese dann angehen? Insbesondere würde mich interessieren, was du machen willst, wenn der Vorstand eine kritisierte Entwicklung trotz deutlichen Hinweisen aus dem aufsichtsführenden Präsidium nicht angeht oder gar durchblicken lässt, dass er das grundsätzlich anders sieht und diese Probleme mithilfe seiner zentralen Machtposition geschickt leugnet/wegwischt?
Über eine Antwort auf die beiden Fragen würde ich mich sehr freuen.
Beste Grüsse
Jens
Am 28. November 2014 um 02:47 schrieb Jürgen Friedrich < juergen.friedrich@wikimedia.de>:
Nach einem langen Abend der Lektüre einer sehr disparaten Diskussion zur Präsidiumswahl auf dieser Liste (ich war vier Wochen im Ausland) stehe
ich
ein wenig hilflos vor der Frage, was man zu all den Einzelheiten sagen soll. Ich versuche mal, einige wenige Stränge aus der Diskussion aufzugreifen und meine Position dazu - in Ergänzung zu meiner Selbstvorstellung - zusammenzufassen:
Die Förderung der Communitys muss - auch gegen den Trend in der
Foundation
- gestärkt werden. Es darf vor allem nicht bei Sonntagsreden bleiben,
sondern es muss sich in den materiellen Entscheidungen, z.B. bei der Mittelverteilung im Rahmen des Jahresplans, deutlich niederschlagen und dann in ihrer Wirksamkeit überprüft werden. Mittelentscheidungen sind Strukturentscheidungen: Wollen wir mehr Software-Entwicklung oder mehr Community-Unterstützung, wäre so eine Frage.
Mit den Mitteln des Vereins, die ja im Wesentlichen Spendenmittel und Mitgliedsbeiträge sind, muss wesentlich zielorientierter umgegangen
werden.
Die Verausgabung von Mitteln für den "Überbau" (von immensen Kosten für
den
Vorstandswechsel bis hin zu überbordender Beschäftigung von externen Beratern/Dienstleistern) muss kritisch anlysiert und letztlich reduziert werden. Meine Position: Die Mittel des Vereins müssen mindestens zu 80%
für
die Unterstützung der Communitys und der direkten Förderung Freien
Wissens
verwendet werden.
Das Präsidium muss sich auf die strategischen Gestaltungsfragen konzentrieren und seiner grundsätzlichen Aufsichtspflicht gerecht werden. Das bedeutet für mich im Umkehrschluss, dass sich das Präsidium möglichst vollständig aus der operativen Tagesarbeit der Geschäftsstelle
heraushalten
soll. Die starke operative Orientierung des Präsidiums in der
Vergangenheit
hat die inhaltliche Diskussion zur Zukunft des Vereins zu kurz kommen lassen.
Die Mitarbeiter der Geschäftsstelle sind in ihrer ganz überwiedenden Mehrheit außerordentlich engagiert. Es gibt aber in einigen Bereichen der Geschäftsstelle hinsichtlich Effektivität und Service-Orientierung im Verhältnis zu den Freiwilligen noch einige Luft nach oben. Ich bin überzeugt, dass diese Potenziale in konkretes Handeln umgesetzt werden können - und will das durch strukturelle Beiträge unterstützen.
Die Form der Auseinandersetzung in den Diskussionen des Vereins ist teilweise unterirrdisch. Wo kommt diese Aggressivität her? Brauchen wir diese Machtspiele? Ich hoffe, es gelingt mir im Falle einer Wahl,
Beiträge
zur Versachlichung unserer Diskussionen zu leisten. Andere Meinungen
müssen
toleriert und dürfen nicht polemisch abgebügelt werden. Wir müssen uns
auf
die Ziele des Vereins und auf unsere gemeinsame Vision des Freien Wissens konzentrieren. Das hört sich banal an, findet aber in der Realität leider viel zu wenig statt.
Die Frage der Interessenkonflikte im Zusammenhang mit einer Präsidiumsmitgliedschaft bzw. -kandidatur hat ja in den Diskussionen auf dieser Liste breiten Raum eingenommen. Grundsätzlich gut so, aber es gibt doch noch so viele andere zentrale Themen der Präsidiumsarbeit, die hier eine Rolle spielen müssten (Schwerpunktsetzung in der Arbeit des Vereins
in
den nächsten fünf oder zehn Jahren; Verbesserung des Verhältnisses
zwischen
Verein und Communitys; Perspektiven der Projektförderung usw.) Aber da
die
Frage an die Bewerber gestellt ist, hier meine Antwort: Ich bin der Auffassung, dass Einrichtungen/Firmen, an denen Funktionsträger des
Vereins
maßgeblich beteiligt sind, nicht in geschäftliche Ausschreibungen von
WMDE
einbezogen werden sollen.
Viele Grüße. Jürgen _______________________________________________ VereinDE-l mailing list VereinDE-l@lists.wikimedia.org https://lists.wikimedia.org/mailman/listinfo/vereinde-l
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