Liebe Zielgruppe,
nach weiteren zwei Wochen melde ich mich mit einem semi-Wochenbericht (Semiwochen-Bericht? Biwöchentlich?) zurück.
1. Wikipedia Academy NIH
Bevor Frank Schulenburg Angestellter der Wikimedia Foundation wurde, startete er in Deutschland die "Wikipedia Academy" (erste: http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Academy_2006). Einen Ableger dieser Veranstaltung gibt es nun seit letzter Woche auch in den USA (http://en.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Academy/NIH_2009). Wir hatten das große Glück, als Kooperationspartner die NIH zu gewinnen, die National Institutes of Health. Die NIH sind eine sehr große und angesehene Gruppe von Einrichtungen im Bereich der biomedizinischen Forschung, die übrigens auch im Bereich der Open Access-Förderung ganz hervorragende Arbeit geleistet haben. Was die NIH selbst produziert, ist "PD-GOV", also gemeinfrei dank US-Regierung. Das Wikimedia-Team, das der Einladung der NIH nach Bethesda gefolgt ist, konnte einen Tag lang Wikipedia erklären, in Workshops ging es beispielsweise um erste Schritte beim Bearbeiten von Artiklen. Mein Fokus dort waren erste Gespräche, um größere Bestände "freizueisen", was dank dem erwähnten PD-GOV weniger eine lizenzrechtliche Frage ist als die praktische Frage, welche Daten wo liegen und wie man sie am geschickstesten hochladen kann ist. Wir werden uns einen Blick über die Bestände der einzelnen NIH-Institute verschaffen und schauen, welche beispielsweise in Wikimedia Commons gut aufgehoben wären. Großes Interesse gab es in der Abschlussrunde zum Thema Verlinkungen mittels frei zugänglicher Klassifikationen oder all das, was wir unter "Normdaten" verstehen. Im Bereich der Biomed-Artikel auf en.wikipedia.org wird bereits eifrig davon Gebrauch gemacht - und dabei leider oft der eigentliche Artikel etwas vernachlässigt (zufällig herausgegriffenes Beispiel http://en.wikipedia.org/wiki/XRCC6, vor allem in der Infobox). An dieser Stelle verweise ich auch auf data.gov, einen Sammelort für Regierungsdatenbanken zum freien Benutzen, etwas, das ich mir auch für Deutschland und Europa wünschen würde. Wir werden in den kommenden Wochen das NIH bei der Erstellung einer Policy bei Fragen zur Seite stehen, die den Angestellten die Mitarbeit in Wikipedia auch während ihrer Arbeit erlaubt. Ein Blogposting dazu ist in Arbeit.
Randnotiz: Es ist erstaunlich, wie viel Unterschied ein gut gemachtes Interface bei der Motivation macht, Bilder hochzuladen. Unter http://picasaweb.google.de/mathias.schindler/NIH# habe ich ein paar Bilder von der Veranstaltung abgelegt, es ist derzeit jedoch ungleich schmerzhafter, diese Bilder dann auf Commons hochzuladen. Ja, ich kenne übrigens auch den Commonist, frage mich aber, warum es nicht möglich ist, etwas ähnliches direkt in einer Web-Oberfläche zu implementieren. Augenfälligstes Beispiel: Warum muss ich ein Aufnahmedatum eingeben, wenn diese Angaben schon in den EXIF-Daten stehen?
2. Videos, Wikipedia und der ganze Rest
In den letzten zwei Wochen ging es in der Presse wieder hoch her wegen "Videos auf Wikipedia" (beispielsweise http://www.heise.de/newsticker/Open-Source-Videodienst-Kaltura-fordert-Youtu...). Dabei gerät fast in Vergessenheit, dass schon jetzt Videos in Wikipedia eingebunden werden können (völlige Fehldarstellung der Lage auf http://news.cnet.com/8301-27076_3-10289952-248.html). All die damit verbundenen Probleme auf der inhaltlichen Ebene kann man beispielsweise bei http://en.wikipedia.org/wiki/Joint_Strike_Fighter#Design_phase entdecken. Das dort eingebundene Video würde (http://en.wikipedia.org/wiki/File:Air_Force_Link_-_TV11.ogv), wenn es Text wäre, noch nicht einmal für einen NPOV-Warnbaustein reichen sondern gleich als Werbespam gelöscht werden. Wir haben hier also ein Video in mäßig niedriger Auflösung und "coolen" Bildern, das überlegt ist mit einem durchaus professionell gelesenen Werbetext für eine neue Art, Dinge und Menschen kaputtzumachen. Der einzige Ort, um auch nur schwach für jeden Leser sichtbar den bias dieses Materials darzulegen, wäre die Bildbeschreibungszeile beim Einbinden des Videos in einen Artikel. Oder das mühsame und derzeit technisch kaum umzusetzende Editieren der Tonspur oder - noch aufwändiger - das Bearbeiten des Videos hin zu einem ausgewogenen Eindruck über den JSF. Sofern es um Wikipedia geht, werden Videos meiner Meinung nach nur in Ausnahmefällen wirklich brauchbar sein. Ich befürchte, dass viele Videos - wenn sie einen informationellen Mehrwert bieten, dieser mit Mängeln erkauft wird, die wir derzeit nicht einfach beheben können. Die Videos haben wenn, dann als "Footage" derzeit eine Chance, maximal in der Form, wie der Fernsehkanal Phoenix einmal vor vielen Jahren gestartet ist oder wie es C-SPAN heute noch macht. Kurz gefasst als Behauptung: Videos sind in Wikipedia vor allem dann passend, wenn sie für sich alleine stehen können und nicht erst noch bearbeitet wurden, ob jetzt innerhalb oder außerhalb von Wikimedia/Kaltura.
3. Die Gefahren unfreier Werke
Zum 31. Juli 2009 wird das Portal "xipolis.net" abgestellt. Die Senioren unter uns werden vielleicht davon schonmal gehört haben. An diesem Ort stellte BIFAB zum ersten Mal den Text der Brockhaus-Enzyklopädie (kostenpflichtig) ins Netz. www.brockhaus-enzyklopaedie.de ist inzwischen offenbar in den Besitz von Bertelsmann/wissenmedia übergegangen (die historische Ironie wird am besten durch http://www.heise.de/newsticker/Bertelsmann-bedraengt-Brockhaus-Eigenes-Wisse... ausgedrückt), zumindest das Impressum hat sich diesbezüglich geändert. Nach meinen Informationen ist der letzte Ort, um auf Brockhaus-Lexika zugreifen zu können die Seite http://munzinger.de/search/query?f=query&qid=query-12. Ich bezweifle, dass die Inhalte dort noch gepflegt werden. Nicht erst in Zeiten der Finanzkrise sind Webdienste etwas sehr Vergängliches. Ich bin darum froh über jede Seite, die komplette Abzüge ihrer Datenbank anbietet: http://download.wikimedia.org/dewiki/20090710/. Das ist die Freiheit, die wir meinen und die möglicherweise auch irgendwann einmal den Nutzern von Seiten wie pons.eu, wissen.de oder spiegel.de vor Augen geführt wird, um willkürlich ein paar Namen zu nennen, stellvertretend für eine ganze Industrie.
4. Die Gefahren unfreier Links
Eine illustre Runde von Verlegern trommelt gerade massiv für die Schaffung eines Leistungsschutzrechts für ihren Stand. Das Feindbild wird in etwa so aufgebaut, dass man für alle Welt sichtbar Inhalte ins Netz stelle und dann Google daherkäme und Geld mit Diensten wie "Google News" verdienen würde, das ja *eigentlich* den Verlegern zustünde. Dazu wurde eine "Hamburger Erklärung" veröffentlicht, die den argumentativen Rahmen dieser Wünsche abstecken soll: http://www.epceurope.org/presscentre/archive/International_publishers_demand...
Wenn man sich anschaut, was Google News eigentlich technisch Banales macht, kann einem schon angst und bange ob der Empörung der Verleger werden: Google wertet die robots.txt von Webseiten aus. Erlauben die Einstellungen das Crawlen der Webseiten (oder fehlt eine solche Datei), ruft ein Roboter die Seiten ab und indexiert den dort sichtbaren Volltext. Wenn nun ein Kunde auf news.google.de einen Begriff eingibt, werden alle Seiten im Index angezeigt, die diesen Begriff enthalten. Entweder sortiert nach "Relevanz" oder nach zeitlicher Abfolge. Außerdem sortiert ein Roboter alle ankommenden Nachrichten in Themenblöcke und zeigt jene Themen prominent an, die gerade für die gedachte Zielgruppe (oder einen einzelnen registrierten Nutzer) relevant sein könnten. Volltexte werden auf Google news nicht angezeigt, nur die jeweilige Trefferumgebung oder eine Überschrift und ein paar Metadaten. Für den Nutzer relevant: Ein direkter Link auf den eigentlichen Artikel auf der jeweiligen Seite der Publikation.
Soweit ich weiß gibt es bis heute keinen Gesetzesentwurf für das gewünschte Leistungsschutzrecht. Angesichts der geäußerten Begehrlichkeiten der Verlage sieht das für mich jedoch nach einem direkten Angriff auf die Freiheit, Seiten Dritter ohne deren explizite Erlaubnis verlinken zu dürfen aus. In Deutschland war seit 2001 diese Frage seit der BGH-Entscheidung zu Paperboy (sowas wie Google News des "Web 1.0", wenn es das gäbe) eigentlich klar: Wer Inhalte ins Netz stellt, muss damit leben, wenn sie verlinkt werden. Die kommerziellen Interesse von Verlagen stehen hinter den Funktionsprinzipien des Web zurück. http://www.jurpc.de/rechtspr/20030274.htm . Dazu O-Ton BGH in erfreulicher Klarheit: " Ohne die Inanspruchnahme von Suchdiensten und deren Einsatz von Hyperlinks (gerade in der Form von Deep-Links) wäre die sinnvolle Nutzung der unübersehbaren Informationsfülle im World Wide Web praktisch ausgeschlossen. Ein Berechtigter, der die Vorteile des World Wide Web, die gerade auch auf der Hyperlinktechnik beruhen, für seine Angebote in Anspruch nimmt, kann es deshalb nicht als unlautere Behinderung beanstanden, wenn andere die Hyperlinktechnik zur Erschließung seines eigenen Webangebots für die Öffentlichkeit nutzen.". Erst wenn ein konkreter Gesetzesentwurf vorliegt, wird man wissen, wie weit sich Verleger durchlobbyiert haben, diesen Zustand zu unterwandern. In allerletzter Konsequenz droht hier Wikipedia eine Gefahr in der Freiheit, alles und jeden verlinken zu dürfen, der aus unserer Sicht einem Nutzer einen informationellen Mehrwert bietet.
Umgekehrt muss man fragen, warum sich Verlage so sehr ins Knie schießen wollen. Nachrichtenseiten bekommen enormen Traffic über Google und Google News und befeuern damit ihre Einnahmen aus dem Bannergeschäft. Schon jetzt könnten sie einfach durch einen Eintrag in der robots.txt die Inhalte aus Google herausnehmen. Es geht also letztlich um ein "have a cake and eat it too": Google soll Verlagen Geld dafür zahlen, dass Google die Leser auf die Verlagsseiten weiterleiten darf und dass damit die Verlage Umsatzeinnahmen mit Werbung auf ihren Seiten machen können. Klar, mein Wirt gibt mir auch immer Geld, damit ich bei ihm mein alkoholfreies Weizen oder mein Glas Milch (hüstel) trinke.
Für solche Befürchtungen sollte man sich vielleicht noch eine Weile zurücklehnen und warten, in welche Richtung das Sperrfeuer primär gegen Google (Spiegel Online sagt dazu: "Sie schimpfen auf Google und meinen das Internet" http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,637021,00.html) weiter gehen wird. Eine Bekannte vermutet, dass es den Verlagen im ersten Schritt eh erstmal darum gehen wird, überhaupt ein Leistungsschutzrecht zu bekommen, weil ab dann der Aufwand für die Ausdehnung auf andere Bereiche (mit dem Alibi "wir stellen nur den alten - eigentlich gemeinten - Zustand wieder her) deutlich sinkt. Für mich zentral ist bis dann die einfache mit ja oder nein beantwortbare Frage (beispielsweise an Verlage): Wollt ihr ein Gesetz, das die Paperboy-Entscheidung aufhebt? Wenn ja, haben wir eine neue Bedrohung für Wikipedia und das Internet insgesamt.
5. Die Chance, 20 NPG-Keilereien zu verhindern (aka Wikipedia GLAM conference)
Am 6. und 7. August werden das National War Memorial in Canberra, Australien und Wikimedia Australien eine Konferenz zu Kooperationen zwischen "Wikipedia" (und dem Wikimedia-Universum) und den G allerien, L ibraries, A rchiven und M useen ausrichten. Unter http://wikimedia.org.au/wiki/GLAM finden sich weitere Informationen.
Die Zwischenüberschrift ist bewusst gewählt. Jede erfolgreiche Kooperation erspart Wikimedia oder individuellen Aktiven bei Wikimedia-Projekten unnötigen Stress, juristische Drohungen oder am Ende auch eine Klage. Dabei geht es nicht darum, dass wir inhaltlich von der Position abrücken müssen, dass Reproduktionen von gemeinfreien Werken ebenfalls gemeinfrei sind. Ich werde auf dieser Konferenz von den Projekten aus Deutschland berichten. In Sachen NPG habe ich dazu letzte Woche kurz gebloggt (http://blog.wikimedia.de/2009/07/21/wikimedia-commons-national-portrait-gall..., danke auch an die Kommentatoren). Die Wikimedia Foundation ist, soweit ich das mitbekommen habe, derzeit noch in Gesprächen mit der NPG über eine Beilegung des Streits in einer Weise, die sowohl Wikipedia/Wikimedia Commons als auch der NPG genügen dürfte.
In Sachen NPG noch ein Linktipp: http://blog.kennisland.nl/knowledgeland/2009/07/26/uk_national_portrait_gall...
6. Die Chance, NPG-Keilereien ein für allemal zu verhindern (aka höchst lesenswerter Artikel)
Unter http://ingenta.yakeworld.ddns.info/content/mohr/zge/2009/00000001/00000002/a... findet sich - für 33 US-Dollar plus Steuern - ein ausführlicher Aufsatz von Felix Stang, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Recht des Geistigen Eigentums und Wettbewerbsrecht an der Uni Bonn zur Frage, wie es denn nun um die Abbildungen von gemeinfreien Werken auf Wikipedia und Wikimedia Commons steht. Ich habe den Aufsatz seit vorgestern gedruckt vor mir und werde noch ein bisschen brauchen, um ihn komplett nachvollziehen zu können. Bisher sieht es sehr solide aus.