Liebe Anneke,
vielen herzlichen Dank für Deine Mail. Du schreibst darin:
Mit Befremdung habe ich zur Kenntnis genommen, dass wichtige Themen des Projekts und der Community, wie beispielsweise die "Stabilen Versionen", dort nicht zur Sprache kamen.
Zunächst einige Informationen zur Vorgeschichte: Die Anfrage, die den Verein am 30. August 2006 erreichte, lautete "Wir produzieren seit über drei Jahren im ZDF am Sonntagmorgen ein kleines, wir denken "feines" Magazin, dass sich um gesellschaftliche Werte im weitesten Sinne kümmert - mehr über das Format unter www.sonntags.zdf.de . Ich würde am 1.Oktober gern eine Sendung über das Phänomen "soziale Software" gestalten, hinter dem ja viele Menschen stehen, die dem Gemeinwohl verpflichtet sind, [...]". Angefragt wurden Arne Klempert und Kurt Jansson; beide standen gestern für die Aufzeichnung in Mainz aus unterschiedlichen Gründen nicht bereit. Daraufhin haben Arne und Kurt - sehr kurzfristig - bei mir angefragt. Ich habe den Termin übernommen, mir aber in einem ersten Telefonat mit dem ZDF ausdrücklich gewünscht, daß Mathias mich begleitet. Wikimedia-Projekte basieren auf der Gemeinschaftlichkeit und genau das sollte mit der Tatsache ausgedrückt werden, daß wir zu zweit dort hingehen. Obwohl das Auftauchen zweier Studiogäste in dem Maganzin "Sonntags. TV fürs Leben" eher ungewöhnlich ist, war der betreuende Redakteur von der dahinterstehenden Idee begeistert und hat auch Mathias dazugebeten. Dann fanden in der letzten Woche mehrere Telefonate statt. In deren Verlauf wurde ich mehrmals darauf hingewiesen, daß das Thema der Sendung (s.o.) explizit nicht die Wikipedia ist und daß wir insbesondere alle technischen Dinge bitteschön herauslassen sollen (mit dem Hinweis auf ein möglicherweise älteres Sonntagmorgenpublikum). Stattdessen ist der Redakteur mit mir verschiedene Themen durchgegangen, wobei wir auch beim Schulprojekt gelandet sind. Davon war er begeistert. Ein anderes Thema, was auf dem Zettel von Gert Scobel, dem Moderator, stand war im übrigen: "Gesprochene Wikisource" und ich bin mir ziemlich sicher, daß Deine Mail heute anders ausgefallen wäre, wenn das Gespräch darauf gekommen wäre ;-)
Du schreibst weiter:
sowie der, ebenfalls von Frank Schulenburg initiierten, Wikiversity (da scheiden sich wohl die Gemüter).
Zunächst einmal wurde die Wikiversity nicht von mir initiert. Darüberhinaus lade ich Dich herzlich ein, einmal einen Blick hinter die Kulissen zu wagen (Mathias hat da schon einiges angedeutet): Du sitzt auf einem Stuhl, angestrahlt von gleißendhellen Scheinwerfern. Vor und neben dir vier Kameras. Du schwitzt und hoffst, daß man das durch die dicke Schicht Schminke nicht zu doll sieht. Im Ohr hast Du noch die Ansage des Redakteurs: "Wir machen das nur ein Mal. Egal, was passiert - das wird so gesendet". Im Hinterkopf hast Du die Vorgespräche. Was soll genannt werden? Was passt ins Profil der Sendung? Was soll nicht genannt werden? Dann die Abschlussfrage: Wie wird die Zukunft für Wikimedia aussehen? Du denkst: Hoffentlich sagt Mathias jetzt was. Der denkt aber selber noch nach und sagt nix. Außerdem sieht der Moderator genau Dir ins Gesicht. Du denkst: Mist. Am liebsten würde ich jetzt fragen: "Hab ich eine Glaskugel? Bin ich Hellseher?" (fällt natürlich aus). Also sagst Du, um Luft zu holen: "Das ist eine wirklich schwer zu beantwortende Frage". Naja. Kein wirklich guter Abschluß der Sendung. Also schiebst Du nach, daß Wikimedia immer wieder neue Projekte startet. Eines davon Wikiversity. Andere werden folgen. Ein Teil der Zukunft von Wikimedia liegt in den neuen Projekten, die wir starten werden. Hinterher habe ich mir gedacht: Blöde Antwort, das mit den neuen Projekten, die Frage hätte man besser beantworten können: "Die Zukunft? Die Qualität unserer Inhalte wird immer besser werden." oder so ähnlich. So mit einigem Abstand heute fallen mir noch viele gute andere Antworten ein. Die Betonung liegt auf "mit einigem Abstand heute". Von der Couch aus läßt sich das immer besser wissen. Dabei vergißt man als Zuschauer leicht, daß da Menschen vor der Kamera stehen. Und das bedeutet nach meiner gestrigen Erfahrung: "ein offenkundiges Vertreten eigener Interessen" fällt in der oben beschriebenen Situation sowieso aus. So abgebrüht ist keiner bei seinem ersten Fernsehauftritt. Ich zumindest nicht.
Du schreibst, du würdest Dir zukünftig öffentliche Vertreter wünschen, die weniger offenkundig eigene Interessen verfolgen.
Auch hier ein - wie ich hoffe nicht allzu persönlicher - Hinweis zu den Hintergründen: Am vergangenen Samstag ist mein Vater gestorben. Die Beerdigung hat vorgestern in Lüneburg stattgefunden. Ich bin am Freitagmorgen in den Zug nach Lüneburg gestiegen, habe dann um 15 Uhr die Trauerrede gehalten (mein Vater hatte sich das so gewünscht) und bin um 15.57 wieder in den Intercity Richtung Mainz/ZDF gestiegen. Mich selbst hat es sehr geschmerzt, so schnell wieder abreisen zu müssen. Und es ist mir sicherlich nicht leicht gefallen, meine Mutter in dieser Situation alleine zu lassen. Ich habe dies getan, weil ich eine Aufgabe übernommen hatte und weil ich mich als gewählter Vertreter von Wikimedia in der Verantwortung fühle. Ich habe dies auch getan, obwohl ich öffentliche Auftritte wie diesen lieber dem ersten oder dem zweiten Vorsitzenden überlassen würde. Wenn Du dies alles unter der "offenkundigen Verfolgung eigener Interessen" verstehst, dann tust Du mir ehrlichgesagt leid.
Grüße, Frank