Natürlich ist es schwierig, sich nach der Wahl auf Aussagen von Parteien zu
verlassen die diese vor der Wahl getroffen haben. Immerhin haben wir im Fall
der Wikimedia-Wahlprüfsteine den Vorteil, dass sich weder CDU/CSU noch FDP
sonderlich im Sinne der Wissensbefreiung geäußert haben. Sie können also
jetzt bei der Umsetzung ihrer Ankündigungen nur schwerlich enttäuschen.
Wahl“versprechen“ mag man es wirklich nicht nennen, was in ihren Antworten
zu den Wahlprüfsteinen steht. Aber immerhin ist es eine Planungsgrundlage:
Alles bleibt wie es ist, nur das zusätzliche Leistungsschutzrecht für
Verleger kommt. Die Rhetorik immerhin hat sich in den letzten Jahren
angepasst. Selbst wenn es nur vage und allgemein ist: die allgemein positive
Einstellung zum Konzept Open Source hätte ich jetzt ehrlich gesagt nicht
erwartet. Auch wenn die Ankündigungen für die nächsten vier Jahre vielleicht
nicht das Versprechen, was sich Wikimedia und Wikipedia vom Urheberrecht
erhoffen. Ein Blick lohnt dennoch, um herauszufinden, was Schwarz-Gelb mit
dem Urheberrecht plant.
Generell scheinen uns beide Parteien ganz vage und abstrakt gewogen. Die
CDU/CSU lehnt zwar die direkte staatlich Förderung von Open Source Projekten
und/oder Wikipedia ab, unterstützt „hingegen eine indirekte Förderung durch
die stärkere Nutzung freier und offener Software durch Behörden.
Open-Source-Software bietet aus wirtschafts- und sicherheitspolitischer
Sicht Vorteile für den Staat. Auch unterstützen wir – wo möglich – die
Bereitstellung von staatlichen Informationen zur Nutzung durch Projekte wie
Wikipedia und OpenStreetMap. Vorbild kann die Bereitstellung von 100.000
Fotos aus dem Bundesarchiv für Wikipedia sein.“ Die FDP betont zwar ganz
generell die Wichtigkeit von Wikipedia, scheint das Projekt aber ansonsten
nicht für förderungsbedürftig oder ähnlich zu halten.
Die Antworten der CDU zu den thematischen Fragen zum Urheberrecht sind
meines Erachtens leider ein kompletter Totalausfall. Das liest sich wie das
Wahlprogramm zur Kultur, das mehr oder weniger assoziativ zu den Fragen
gepastet und wurde, und deshalb halt vor allem vor „Kulturerbe“,
„Innovation“, „Zusammenarbeit“ etc. glänzt, auch gerne ein „siehe oben“
beinhaltet, aber wenig konkretes zu sagen hat. Vage bleibt das Gefühl, das
alles so bleiben soll wie es ist. Generell liegt hier aber offensichtlich
kein sonderlicher Schwerpunkt der CDU: Einzige Ausnahme ist hier das
Leitungsschutzrecht für Verlage, dass sie relativ ungeschminkt befürwortet.
Dem Recht, dem gerade eine heftige Lobbyarbeit seitens der Verlage
zuarbeitet, steht auch die FDP sehr „aufgeschlossen gegenüber“, so dass mit
diesem zusätzlichen Recht wohl demnächst zu rechnen ist. Die Frage der
Netzneutralität immerhin hält die CDU für „eine Selbstverständlichkeit“,
während die FDP keinen Regelungsbedarf sieht und das dem Markt überlassen
will. Für eine Partei, die sonst doch starken Wert auf neutrale
Ausgangsbedingungen im Wettbewerb legt, eine ungeahnte Aussage. Andererseits
kann man sich ja auch mal freuen, wenn man der CDU/CSU zustimmt.
Zumindest dem Enthusiasmus bei der Beantwortung der Wahlprüfsteine nach zu
urteilen, liegt die federführende Rolle in Sachen Urheberrecht bei der FDP.
Die hat tatsächlich die Fragen gelesen und vergleichsweise zielgenau
beantwortet. Deren Position lässt sich auch vergleichsweise kohärent
darstellen. Eine Ausweitung des §5 auf alle Werke, die von Personen im
Dienst oder im Auftrage des Bundes im Rahmen ihrer Arbeit erstellt wurden,
„wäre zu weitreichend und zu undifferenziert“ und steht deshalb nicht im
Fokus. Regelungen zu Open Access für Veröffentlichungen aus öffentlichen
Mitteln steht sie zwar nicht ganz skeptisch gegenüber, ist aber stark
dagegen Autoren oder Verlagen reinzureden, bringt ebenso das Europa- wie das
Verfassungsrecht dagegen in Stellung. Immerhin ist sie eher dafür wenn sich
Verlage und Wissenschaft freiwillig – aber anscheinend ohne staatliche
Unterstützung – zum Ausbau von Open-Access-Datenbanken bereit erklären und
will anscheinend nicht dagegen intervenieren. Ebenso will sie eine
öffentliche Datenbank zum Thema nicht komplett ausschließen. Ähnlich verhält
es sich mit den verwaisten Werken, die einen zentralen Punkt im Urheberrecht
darstellen. Bei ihnen wäre es eventuell möglich den „Lizenzerwerb“ zu
vereinfachen, allerdings nur unter zahlreichen Bedingungen. Leider schreibt
sie auch nicht, was aus den grundlegenden Rechten wird und vor allem, wer
denn in der Lage sein soll, eine solche Lizenz zu vergeben.
Die Netzsperren schaffen es ja derzeit sogar ab und an in die Massenmedien,
wenn man Glück hat sogar mit detaillierten Hintergrundberichten, so dass man
hier zur Information nicht unbedingt auf obskure Websites und Wahlprüfsteine
angekommen ist. Hier liegt wohl auch das größte Potenzial für spannende
Auseinandersetzungen in den nächsten Wochen: „CDU und CSU werden die
Dreifachstrategie gegen Kinderpornografie im Internet weiter vorantreiben:
... und den Zugang zu den Seiten sperren, so wie dies seit vielen Jahren
erfolgreich in vielen Ländern erfolgt.“, die FDP hingegen „hält das Gesetz
zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen für
ungeeignet, die Entstehung und Verbreitung kinderpornographischen Materials
erfolgreich zu bekämpfen ... Zudem verletzt der Gesetzentwurf
verfassungsrechtliche Kompetenzen von Bund und Ländern.“ Bleibt abzuwarten,
ob die FDP das wirklich ernst meint, oder ob das einfach eine
Verhandlungsmasse in den Koalitionsverhandlungen ist, die dann irgendwann
gegen ein weiteres Ressort im Finanzministerium aufgegeben werden kann.
Mir bleibt als Executive Summary: Leistungsschutzrecht für Verleger wird
kommen. Im Sinne der User und im Sinne des freien Zugangs zum Wissen wird
sich das Urheberrecht kaum ändern. Open Source Projekte sollen zumindest
nicht gesetzlich unterbunden werden. Welchen weiteren Weg die Netzsperren
nehmen, wird wohl vor allem davon abhängen, wie ernst die FDP ihre neu
wiederentdeckte Zuneigung zu den Bürgerrechten nimmt.
southpark