[Wikide-l] Die Leiden der jungen Schweizerin

Reinhard Kraasch wiki at kraasch.net
So Nov 29 12:06:50 UTC 2009


Henriette Fiebig schrieb:
> On 28.11.2009, at 15:39, Reinhard Kraasch wrote:
>
> Hi,
>
>   
>> ja, schon - aber was nützt das ganze, wenn am Ende ein wunderschöner
>> Artikel über ein Unternehmen bar jeder Relevanz herauskommt? Deshalb
>> wird ja auch in [[WP:DEA]] usw. immer darauf hingewiesen, dass man
>> zuerst die Relevanz abklären und dann erst schreiben sollte - leider
>> liest das aber niemand.
>>     
>
> liest das niemand oder findet nur niemand diesen Text oder kann er nur  
> mit dem Satz „Woher auf [[WP:RK]] achten!!!“ nichts anfangen? Oder  
> anders: In welcher Rolle sprichst Du hier: Speziell als Mentor, als  
> Support-Team-Mitarbeiter oder als Abarbeiter von Löschanträgen oder  
> der neuen Artikel?
>
>   
Löschanträge arbeite ich eher selten bis gar nicht ab - ich sehe mich eher als Kundenbetreuer (im Support-Team wie als Mentor). 
Seit ich (auf Rat von Guandalug) meinen Mentees auch die Kommunikation per E-Mail anbiete, sieht das allerdings durchweg so aus: 
Der/die/das Mentee schickt mir eine E-Mail mit Artikelvorschlag - ich schreibe zurück, warum der Artikel in Wikipedia keine Chance hat - und das war's dann...

Wobei die Mentees ja immerhin schon die Schwelle der Anmeldung genommen haben - eine niedrigschwellige "Beratung" müsste eigentlich weitaus früher einsetzen. 

>> (Bzw. die Leute lesen es, kümmern sich aber
>> nicht darum - sei es, dass sie rein emotional nicht mit der  
>> "Irrelevanz"
>> ihres Themas leben können, sei es, dass sie nun einmal diese Aufgabe
>> bekommen haben und nun schlecht zu ihrem Chef gehen können und sagen:
>> "Tut mir leid, aber unsere Klitsche ist nun mal irrelevant").
>>     
>
> _Genau_ diese Diskussion hatten wir doch schon mal im  
> Mentorenprogramm: Die ganzen armen und hilflosen Sekretärinnen und  
> Praktikanten, die für den Chef einen Artikel schreiben sollen und dann  
> im Mentorenprogramm aufschlagen, die würden euch vermutlich für die  
> Ewigkeit dankbar sein, wenn sie dem Chef einen kurzen – sozusagen  
> offiziellen – Text eines Wikipedianers vorweisen könnten, der  
> freundlich aber bestimmt „ihre Klitsche ist irrelevant“ aussagt. Die  
> sind sich doch u. U. auch voll bewußt, daß das nur schiefgehen kann,  
> aber ihnen fehlen Autorität und Hintergrundwissen um dem Chef die  
> bittere Pille zu verabreichen. Kurz: Die machen das, weil sie müssen  
> und nicht, weil sie euch oder uns ärgern wollen.
>   
Ich persönlich könnte auch mit wesentlich lockereren Relevanzkriterien 
z.B. im Unternehmensbereich (und schärferen im Bereich 
"Hochschullehrer") leben - aus meiner Sicht ist die Relevanz eines 
durchschnittlichen Professors (ohne Nachweis besonderer Meriten im 
Forschungsbereich) mit der eines Inhabers bzw. Geschäftsführers eines 
durchschnittlichen Kleinunternehmens gleichzusetzen. Aber das wird in 
der Community wohl anders gesehen (warum, wäre mal eine soziologische 
Untersuchung wert - ich vermute, dass es unter den Wikpedianern neben 
dem Bias "männlich, jung, technikaffin" auch noch den Punkt 
"hochschulnah" bzw. "unternehmensfern" gibt ...)
>> Deswegen:
>> Sicher ist der Umgangston in der Löschdiskussion verbesserungsfähig -
>> besser wäre es aber, wenn es gar nicht zur Löschdiskussion käme, weil
>> der Autor im Vorwege sieht, dass das Thema keine Chance hat.
>>     
>
> Warum sollte ein Thema schon im Vorfeld keine Chance haben? Achim zum  
> Beispiel hats uns doch mehrfach vorgemacht, daß man über die  
> seltsamsten Dinge sehr lesenswerte Artikel schreiben kann. Und aus  
> Sicht des unwissenden, aber wohlmeinenden WP-Adepten: Wenn alles  
> drinsteht, was mich interessiert und ich immer alles finde was ich  
> suche, warum sollte dann ausgerechnet das, was ich jetzt ergänzen  
> will, nicht auch passend sein? Natürlich ist das eine 1A subjektive  
> Sicht – nachvollziehen kann ich sie totzdem. Nochmal: Die wenigsten  
> wollen uns bewußt ärgern, die wollen etwas Gutes tun. Und wenn ich  
> mich nicht irre, dann wurde für  genau für solche Fälle …  
> *staubrunterpust* … AGF erfunden, oder?
>   
Nun ja, Achim ist Achim - mit dem mögen sich selbst gestandene Admins 
nicht anlegen. Es wird halt selten ausgesprochen, aber Rückhalt in der 
Gemeinschaft bzw. eine gewisse Reputation ist natürlich auch wichtig bei 
Behaltensentscheidungen (und das ist eigentlich auch ganz gut so, 
solange es nicht zu echter Kungelei verkommt, also wirklich miese 
Artikel behalten werden, nur weil sie von bestimmten Leuten erstellt 
wurden) . Allerdings sind die eingestellten Artikel, von denen wir hier 
reden, in den allerseltensten Fällen von dieser Qualität (siehe halt 
auch das Elaborat unserer "Schweizerin"), sondern wie gesagt entweder 
Sub-Stubs, oder meist direkte Kopien irgendwelcher - stark werblicher - 
Websites, die eine Menge Nacharbeit erfordern.

Durch das Nicht-Löschen qualitativ mangelhafter Artikel entsteht - 
unabhängig davon, wer jetzt die Nacharbeit warum macht - auf jeden Fall 
ein Arbeitsaufwand. Wobei es eigentlich dem Gedanken eines freiwilligen 
Projekts widerspricht, andere mit Arbeit zu versorgen. (Insofern hat 
Magnus' Limbo-Gedanke schon einen gewissen Charme, zum einen kann man 
argumentieren: "Ist immerhin nicht gelöscht worden", zum anderen "Steht 
aber ja noch nicht im Artikelnamensraum" - faktisch dürfte das aber wohl 
nicht viel bringen, weil der Chef gesagt hat: "Stell einen Aritikel in 
Wikipedia" und nicht "Stell den Artikel irgendwo hin, egal ob ihn dort 
jemand liest"...).

Und der Ansatz "da wird sich schon jemand finden, der das verbessert" 
funktioniert mit zunehmener Größe von Wikipedia (und mit abnehmender 
"Sexiness" der betroffenen Artikel) auch immer schlechter. Auch das 
sieht man an den Unternehmensartikeln - den Einstellern ist ja selten 
bewusst, dass sie sich um den Artikel auch langfristig kümmern müssen: 
die schlagen dann nach Jahren im Support-Team auf und beklagen sich über 
falsche Logos, falsche Umsatzzahlen usw. (Bzw., einigen ist es wohl 
schon bewusst, aber sie haben halt keinen Auftrag dafür - oft genug 
werden ja auch Praktikanten damit beschäftigt, die natürlich nach Ende 
des Praktikums ganz anderes im Sinn haben.) Und so hat dann das 
Unternehmen seine Werbefläche und wir Wikipedianer haben die Arbeit.

Wie gesagt: Ich finde einfach, man sollte sich ehrlich machen und den 
Neulingen nicht sagen: "Komm her und leg los - du bist ohne Ansehen der 
Person oder der Art und Dauer deiner Mitarbeit willkommen" (was eben 
faktisch einfach nicht [mehr] stimmt), sondern: "Das hier ist leider 
alles nicht so einfach - nimm dir bitte ein, zwei Stunden Zeit und mach 
dich mit den Regeln vertraut"
>> Es sei
>> denn, man verfolgt den Ansatz: "Wir nehmen diskussionslos alles", aber
>> den halte ich, auch wenn er immer gern wieder - und speziell von  
>> außen -
>> an Wikipedia herangetragen wird, für indiskutabel und auch -
>> glücklicherweise - für in der Community nicht durchsetzbar.
>>     
>
> Zwischen „wir hauen alles weg, was nicht auf den 1. Blick  
> exzellenzfähig aussieht“ und „wir behalten jeden Kram“ liegt  
> allerdings ein weites Feld. Mit Maximalforderungen kommen wir nicht  
> weit. Sieht man doch täglich.
>   
Nun ja, aber Aufwand liegt ja im ständigen Abwägen - wenn man 
Maximallösungen wählen würde (sei es: "Wir nehmen alles", sei es "Wir 
nehmen nur Artikel von angemeldeten Benutzern, die ihre E-Mail-Adresse 
hinterlegt haben"), wäre sicher alles viel einfacher. (Ob es auch 
schöner wäre, ist letztendlich die Frage, die hier diskutiert wird - 
bzw.: jeder hat natürlich eine andere Vorstellung von Wikipedia).
>>  Am liebsten hätten die eine
>> "Artikelabgabestelle" oder Redaktion (viele davon verwechseln das OTRS
>> mit einer derartigen Redaktion), wo sie - auch gerne gegen Geld -  
>> diesen
>> "ihren" Artikel in Auftrag geben können.
>>     
>
> Warum sollten sie nicht so denken? Die WP macht von außen den  
> Eindruck, daß sie ein Produkt aus _einer_ strengen Hand ist und was  
> der Gelegenheitskonsument so mitbekommt, gibt es in WP tatsächlich  
> irgendwelche Leute (Adminis-Dingsda), die die WP überwachen und darauf  
> achten, daß irgendwelche Kriterien eingehalten werden.
>   
Da hilft wohl nur mehr Aufklärung - wobei wir als Wikipedianer natürlich 
im Kopf haben sollten, dass den allermeisten Menschen Wikipedia ziemlich 
egal ist - viele Wikipedianer sind da von einer gewissen 
Betriebsblindheit befallen.

Ich sehe derzeit vier "Zugangstore" zur Wikipedia bzw. Bereiche, in 
denen Neulinge mit Wikipedianern konfrontiert werden:
- das Support-Team
- das Mentorenprogramm
- die Eingangskontrolle
- und daraus folgend: die Löschdiskussionen

wobei Support-Team und Mentorenprogramm kundenorientiert und - so wie 
ich es wahrnehme: höflich - mit den Neulingen umgehen, zudem einen 
festen Personalstamm und einiges an Richtlinien und interner Kontrolle 
haben. Nur die Bereiche "Eingangskontrolle" und "Löschdiskussion" sind 
nicht sauber strukturiert - da kann jeder mitreden, da kann jeder die 
Sau rauslassen - da besteht wirklicher Verbesserungsbedarf. (Vielleicht 
in der Weise, dass die Mitarbeiter dort sich auch irgendwie 
qualifizieren müssen, gewählt werden müssen - was auch immer).

Es geht aber ja schon mit den unverständlichen Begrüßungsbausteinen los, 
die manche den Neulingen in bester Absicht auf die Diskussionsseite 
packen. Die Leute sollen ja lernen, Seiten zu bearbeiten - und dann 
finden sie als erstes ein völlig undurchsichtiges Wirrwar von 
Vorlagenprogrammierung und Bilddateien auf der Diskussionsseite! Und 
überhaupt: Die Diskussionsseiten, die Pingeligkeiten mit "Signatur" usw. 
- da soll sich jemand erst einmal reinfinden. Mal abgesehen, dass jeder 
anders begrüßt, dass es da mittlerweile Dutzende von verschiedenen 
Bausteinen gibt.

Ich wäre für eine sauber strukturierte und einfache 
Kommunikationsschnittstelle in der Art einer Forumssoftware, die 
unabhängig von der Funktion "Artikel bearbeiten" funktioniert (die 
"liquid threads" sind nicht von dieser Art). Und für eine Notwendigkeit 
der Anmeldung mit Hinterlegen einer E-Mail-Adresse - da kann man dann 
beispielsweise eine standardisierte Begrüßungsmail versenden und 
E-Mail-Kontakte für weitere Fragen anbieten. E-Mail ist zudem ein 
Kommunikationskanal, der den meisten vertraut ist - auf jeden Fall 
weitaus vertrauter als "Diskussionsseiten".

Aber das ist in der Community wohl nicht durchsetzbar ("auch ich habe 
als IP angefangen" - ich weiß). Hier, aber nicht nur hier gibt es 
mittlerweile ein Maß an Betriebsblindheit und Fixiertheit auf den Status 
Quo, der mich mittlerweile aufregt - sich anzuschauen, wie andere 
Projekte Zugangsberechtigungen usw. handhaben, ist für viele 
Wikipedianer undenkbar geworden, das hat manchmal schon etwas 
Sektiererisches.
>> Und da sie sich im Grunde nicht
>> die Bohne für Wikipedia interessieren, haben sie natürlich auch keine
>> Ahnung von deren (in der Tat mittlerweile ausufernden) Mechanismen.
>>     
>
> Warum sollten sie sich auch für unsere Interna und Streitigkeiten  
> interessieren? Die wissen, daß WP dieses tolle Portal ist in dem sie  
> alle Informationen finden. Punkt. Wir (= Wikipedianer) haben ein  
> Produkt und die sind die Kunden. Wenn ich eine Dosensuppe kaufe, dann  
> will ich auch nur ein leckeres Essen und nicht wissen, wie es  
> hergestellt wurde.
>   
Das sehe ich nicht so: So lange es um unsere eigentlichen Kunden, die 
Leser, geht: Die müssen sich ja in der Tat nicht um die Interna kümmern. 
Es geht aber ja um Leute, die an Wikipedia schreibend mitarbeiten wollen 
- die sind eher in der Situation, dass sie Mitglied in einem Klub werden 
wollen. Um auch ein Beispiel zu bringen: Für die Neulinge ist es eher 
so, als ob man am Strand langgeht, und jemand sagt: "Ach, komm doch 
heute abend vorbei, wir machen hier am Strand eine Grillparty - jeder 
ist willkommen!" Und geht man am Abend an den Strand, und wird mit 
allerlei unverständlichem Brimborium empfangen, muss irgendetwas 
Merkwürdiges trinken und stellt am Ende fest, dass man Mitglied in einer 
obskuren Sekte mit mehr als fragwürdigen Ritualen geworden ist.

Wenn wir in der Dosensuppen-Metapher bleiben wollen: Wenn es wirklich 
nur um das Wohlbefinden der Leser/Schreiber/Wikipedianer geht, sollten 
wir eine Abladerampe für Artikelwünsche schaffen und die Artikel (als 
Wikipedianer) selbst schreiben. Oder halt: Wenn ich lecker essen will, 
darf ich keine Dosensuppe kaufen...
> Gruß
>
> Henriette
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>   
Gruß
Reinhard