Am Dienstag, 9. September 2003 22:15 schrieb Bodo Wiska:
Hallo hier von [[Benutzer: Wiska Bodo]],
nachdem ich mit den verschiedenen Abgeordneten in Brüssel in Kontakt
getreten bin und unter anderem eine Parlamentarierin quasi im gleichen
Vielleicht schad's ja nicht weil irgendwer hier was damit anfangen kann, ich
füg hier mal ne Kopie einer mail von mir an meinen(?) hiesigen
CDU-Europaparlamentarier an, der zufälligerweise noch genau in diesem
dämlichen Rechtssausschuss sitzt. Reaktion von ihm auf diese mail: Null.
Allerdings: Die mail ging damals in Kopie auch an Daniel Cohn Bendit (einem
heftigen Kämpfer gegen die Patentrichtlinie, Reaktion von ihm (bzw. seinem
Büro) übrigens auch Null)
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Softwarepatentierung gefährdet meine Existenz als Existenzgründer in Essen
Von:
Ulrich Fuchs <mail(a)ulrich-fuchs.de>
An:
jzimmerling(a)europarl.eu.int
Kopie:
dcohnbendit(a)europarl.eu.int
Datum:
Sat, 21 Jun 2003 16:04:11 +0200
Sehr geehrter Herr Zimmerling,
mit großer Sorge habe ich die Nachricht zur Kenntnis genommen, dass der
Ausschuss für Recht und Binnenmarkt im Brüsseler EU-Parlament am letzten
Dienstag mit deutlicher Mehrheit einen Richtlinienvorschlag zur
Patentierbarkeit von computerimplementierten Erfindungen angenommen hat.
Diese Entscheidung kann ich nicht nachvollziehen. Softwarepatente gefähren
meine Existenzgrundlage als selbstständiger Softwareentwickler, sowie die von
vielen anderen Kollegen ebenso. Sie legen mir zudem für mein zukunüftiges
Wachstum enorme Steine in den Weg, wie ich Ihnen im folgenden kurz begründen
möchte.
Ich habe das letzte Jahr investiert, um eine eigene Software zu entwicklen,
die nun marktreif ist (
http://www.equilipresto.de).
Ich gebe zu, dass es auf den ersten Blick verführerisch erscheint, diese
Software und vor allem die darin enthaltenen technischen Lösungen patentieren
zu können, und mich so vor "Ideenklau" zu schützen. Die neue Richtlinie würde
diese Möglichkeit vorsehen.
Bei näherer Betrachtung stelle ich jedoch fest, dass diese Software nicht zu
realisieren gewesen wäre, wenn bestimmte Technologien bereits patentiert
gewesen *wären*. So verwendet meine Software beispielsweise Ideen, wie sie in
Tabellenkalkulationen und Projektplanungssystemen heute üblich und Stand der
Technik sind. Wären diese Verfahren (z.B. die Anzeigemöglichkeit eines sog.
Gantt-Diagrammes zur (Stichwort Technizität!) "Visualisierung von
Planungsvorgängen mithilfe eines DV-gestützten Systems") patentierbar, so wie
es der Richtlinienvorschlag vorsieht, und hätte der z.B. der Erfinder des
Gatt-Diagramms H.Gantt, ein Patent darauf, so wäre die Softwareentwicklung
nur unter Zahlung von Lizenzgebühren möglich gewesen, die mich als
Existenzgründer absolut überfordert hätten.
Der Aussschuß verspricht sich laut Nachrichtenlage eine "Verbesserung der
Wettbewerbsposition der europäischen Wirtschaft". Das Gegenteil werden
Softwarepatente leisten: Softwareentwicklung ist eine Branche, die ihre
Dynamik daraus bezieht, dass kleine und junge Unternehmen nur sehr niedrige
Hürden nehmen müssen, um Marktzugang zu finden, und mit einer guten Idee sehr
schnell wachsen können. Insbesondere sind die Investitionen, die getätigt
werden müssen, relativ gering. Wenn diese Hürden nun erhöht werden, weil für
die Idee keine "klassischen" Verfahren mehr verwendet (z.B. aus Lehrbüchern
entnommen) und rekombiniert werden können, sondern unter die Patentierung
fallen, wird der Marktzugang für 90% der der deutschen Klein- und
Kleinstunternehmen, die Software entwickeln, unmöglich. Lediglich wenige
Großunternehmen werden sich die Rechtsabteilungen leisten können,
Patentrecherchen zu betreiben, Lizenzgebühren zu zahlen und diese (dann enorm
hohen Investitionen) wiederum durch Patente zu schützen. Diese Möglichkeiten
haben die Kleinunternehmen nicht.
Patente haben den Sinn, mit temporären Monopolen einen Investitionsschutz
aufzubauen und so die Investition rentabel zu machen. Dies macht im Bereich
der Technik Sinn, da dort die Entwicklungszeiten und Investitionskosten sehr
hoch sind, bevor eine Erfindung marktreif ist. Softwareentwicklung ist damit
jedoch nicht zu vergleichen: Softwareentwicklung ist ein Prozess der kleinen
Schritte, bei dem schon bekannte Technologie mit bekannten Verfahren (z.B.
der Betriebswirtschaft) und Löungsansätzen eines Kunden kombiniert werden, um
den Kunden bei der informationstechnischen Handhabung seines Problems zu
unterstützen. Aufgrund bereits vorhandener Software, mit der neue Software
erstellt wird, sind in der Regel sehr schnell Ergebnisse zu erzielen, die
keine große Forschung und Investition voraussetzen. Insofern ist auch nicht
zu rechtfertigen, dass diese geringe Investition mit einem *Patent* geschützt
werden müsste.
Softwaretechnologie arbeitet nach einem anderes Prinzip, nach dem sich
Investitionen "rechnen": Eine entwickelte Methode (z.B.: Das erwähnte
Gantt-Diagramm) kann in einer sog. Bibilothek "gekapselt" und als Modul
verkauft(!) werden. In aller Regel ist es für einen dritten einfacher, dieses
Modul zu kaufen, als es selbst nachzuprogrammieren. Bei einer technischen
Erfindung ist das anders: das Mannesmannverfahren für nahtlose Röhren kann
sehr leicht mit geringeren als den Investitionen des Herrn Mannesmann kopiert
werden. Ein Programm wie z.B. Microsoft Word kann ich aber nicht
"nachprogrammieren", ohne mindestens die selbe Investition zu tätigen, die
Microsoft getätigt hat!
Um Software zu entwickeln, werde ich also eine geringe Investition tätigen, um
die Bibliotheken zu kaufen, mit denen ich mein gegebenes Problem schnell
lösen kann. Dann greife ich auf Ideen(!) zurück, die andere auch schon gehabt
haben, aber eben nicht in der entsprechenden Kombination. In der geschickten
Kombination liegt der eigentliche Kern der Entwicklung neuer Software. Wird
mir diese Möglichkeit einer geschickten Neukombination in der Praxis durch
hohe Zugangskosten (durch Patente bedingte Lizenzgebühren) für die
Einzelbausteine, die Ideen, verwehrt, weil jetzt auch die Idee unter das
Patentrecht (und nicht mehr nur die physische Software unter das
Urheberrecht) fällt, so wird hunderten von Unternehmen die Existenzgrundlage
entzogen.
Diesem Gedankengang folgend sehe ich also mitnichten, wie Softwarepatente der
Brache, in der ich arbeite helfen sollen. Sie werden im Gegenteil die Dynamik
der Branche ausbremsen, die kleinen und mittelständischen Entwickler vom
Markt verdrängen und lediglich einigen wenigen Großunternehmen (von denen
nebenbei bemerkt nur ein einziges ein europäisches ist) helfen.
Ich weiß, dass ich meine Software nicht patentieren muss, um meine Investition
zu schützen: Jeder der sie nachprogrammiert, muss den selben Aufwand treiben.
Wenn er die der Software innewohnende Idee direkt benötigt (z.B. um sein
Unternehmen damit zu steuern), wird er entsprechende Lizenzen kaufen. Niemand
wird eine Software programmieren, die das gleiche tut wie meine, da es immer
günstiger wäre, die Lizenzen von mir zu kaufen. Wenn jemand die Idee(!) in
einem anderen Zusammenhang verwendet und weiterentwicklen möchte (z.B. um
einen Leitstand für eine Feuerwehreinsatzentrale zu entwickeln), so sollte
ihm der Marktzugang nicht dadurch verwehrt werden, dass er bei mir
Lizenzgebühren zahlen muss, die er sich nicht leisten kann, und dass somit
nie ein besserer Feuerwehrleitstand auf den Markt kommen wird. Ich verkaufe
Produkte (Softwarebiblotheken), nicht Ideen (Logikkonzepte). Ideen und
Gedanken sind frei und müssen es bleiben. Nur so entwickelt sich in einer
Gesellschaft Fortschritt.
Der Tatsache, dass ich mir als Existenzgründer an einem Samstag morgen die
Zeit nehme, Ihnen diese mail zu schreiben, zeigt, wie wichtig mir mein
Anliegen ist. Ich habe Sie einerseits angeschrieben, weil Sie als Essener
Abgeordneter im Europaparlament und erst Recht als Mitglied des
entsprechenden Ausschusses der naheliegenste Ansprechpartner sind.
Insbesondere jedoch betonen Sie in Ihren Stellungnahmen immer wieder, wie
sehr die Entscheidungen in Europa die Bürger hier in der Region betreffen.
Die letzte Entscheidung des Ausschusses betrifft neben einer ganzen Branche
zumindest einen Essener Bürger - mich - massiv, und zwar in
existenzgefährdender Weise. Insofern würde ich mich also auch um eine
Rückmeldung Ihrerseits sehr freuen.
mit freundlichen Grüßen
Ulrich Fuchs
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Dipl. Ing. Ulrich Fuchs
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