[Wikide-l] Die Leiden der jungen Schweizerin
Henriette Fiebig
henriette.fiebig at snafu.de
Sa Nov 28 07:16:31 UTC 2009
On 27.11.2009, at 21:29, Bjoern Hoehrmann wrote:
Hi,
zunächst mal Dank für die Diskussion und die ausführlichen
Darstellungen deiner Gedanken – ich finde solche
„Außenperspektiven" (auch wenn Du schon ein semi-innerer Äußerer ;))
bist – immer hochinteressant!
> * Reinhard Kraasch wrote:
>> Insofern: Wikipedia einladender und benutzerfreundlicher zu machen,
>> da
>> bin ich im Prinzip dabei, faktisch sehe aber große Probleme, sowohl
>> bei
>> der Mentalität der "Insassen" als auch bei den Erwartungen der
>> Aussenstehenden - die sich über weite Teile eben nicht mit den
>> Projektzielen von Wikipedia decken. Die meisten Neulinge wollen gar
>> nicht "an einer Enzyklopädie mitarbeiten", sondern wollen sich
>> selber,
>> ihre Firma, ihren Insektenzüchterverein darstellen - "Enzyklopädie"
>> kommt in dieser Gedankenwelt gar nicht vor.
>
> Dass Artikel nur von weitgehend unabhängigen eingestellt und
> bearbeitet
> werden sollten war auch mein Eindruck, bis ich mich die letzten Wochen
> näher eingearbeitet habe. Wirklich stehen tut das aber scheinbar nicht
> im "Metabereich", vor allem habe ich auch keine Erklärung warum es die
> Regel gibt gefunden (ohne jetzt erneut gezielt gesucht zu haben), und
> eher das Gegenteil scheint mir das Fall zu sein.
Doch, doch: Die Regel steht sogar sehr ausführlich im Metabereich und
dort ist auch erklärt, warum es sie gibt; man muß sie nur finden –
typisches Problem. Und um sie zu finden – _noch_ typischeres Problem –
muß man die Terminologie der Wikipedia beherrschen. In WP heißt das
nämlich Selbstdarstellung. Wobei hier interessanterweise
[[Wikipedia:Selbstdarstellung]] auf
* http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Selbstdarstellung#Eigendarstellung
linkt, weil die [[Wikipedia:Selbstdarstellung]] ein Redirect auf
[[Wikipedia:Interessenkonflikt]] ist.
Ich kann mich auch noch genau erinnern, was der Anlaß war diese Regeln
ganz explizit für den Hilfe-Namensraum zu entwickeln (auch wenn das
wieder nach „Opa erzählt vom Krieg“ klingt): Wir hatten vor Jahren
(kann 2005 gewesen) einen Autor der Artikel über seine Kinderbücher
angelegt hatte, die dann allesamt – weil weder Buch noch Autor
sonderlich bekannt waren – auf den Löschkandidaten landeten. Dort hat
der Autor dann den für ihn kapitalen Fehler gemacht vehement gegen die
Löschung zu protestieren und hat ewig lange und extrem bös geführte
Diskussionen ausgelöst. Nach drei Wochen hat er sich selbst gegoogelt
und herrlich prominent verlinkt alle Kommentare der Löschdiskussion
gefunden, die ihm und seinen Büchern absolute Bedeutungslosigkeit und
Irrelevanz bescheinigten. Fand er verständlicherweise nicht so toll
und hat dann verlangt, daß wir die Google-Links löschen.
Ich glaub an der Stelle ist auch uns zum ersten Mal so richtig bewußt
geworden, daß die Neuautoren zwar so ungefähr wissen was Wikipedia ist
(„das Internet-Lexikon in das jeder alles reinschreiben kann“), nicht
aber welche Auswirkungen sowas haben kann („Wikipedia-Einträge werden
prominent verlinkt und Beiträge sind auch nach Jahren u. U. noch
problemlos zu finden – und zwar _alle_; nicht nur die schönen Artikel“).
Interessanterweise hat es trotz der sehr ausführlichen
Berichterstattung über WP die Information darüber, daß wir deutliche
qualitative Ansprüche an einen Artikel und an unsere Autoren haben und
zwar mitnichten jeder alles in eine Enzyklopädie schreiben kann,
dennoch aber grundsätzlich erstmal jeder eingeladen ist selber
beizutragen, nie so richtig ins Bewußtsein der Massen geschafft. Dafür
wird Wikipedia jetzt wohl als eine Art Produkt wahrgenommen und es ist
enorm schwer den Leuten zu erklären, daß wir keine Redaktion, keinen
Chef, keinen Ressortleiter oder sonst irgendeine Instanz haben die
wahlweise für inhaltliche Korrektheit sorgt, die Admins rausschmeisst,
„mal durchgreift“ oder irgendjemandem zu seinem guten Recht verhilft.
Wir haben mehrfach pro Woche in der Geschäftsstelle Anrufe oder Briefe
von Leuten, die uns bitten eine Verbesserung in einem Artikel
vorzunehmen (das Support-Team kann ebenfalls ein Lied davon singen)
und die fallen aus allen Wolken wenn man ihnen erklärt, daß sie das
auch selber machen können (meist gehts dabei um marginale Änderungen
und nicht den großen Wurf). Was übrigens ganz klar nicht ein Fehler
mangelnder oder schlechter Pressearbeit ist (fragt mal Catrin, was die
täglich an Aufklärungsarbeit zu grundlegenden Informationen leistet!),
sondern … ja, ich weiß nicht … vielleicht ein Problem, daß sich kaum
jemand vorstellen kann das der vielbeschworene „Schwarm“ keine Chefs
braucht und das ein Projekt auch dann funktionieren kann, wenn man den
Beiträgern weitestgehend freie Hand läßt.
> / … /
> Wenn es einen Konsens darüber gibt, dass neue Artikel von "befangenen"
> Autoren aus psychologischen und qualitativen Gründen Tabu sind, sollte
> es nicht weiter schwierig sein, Neuautoren mit Darstellung von Gründen
> in der Erstellungsmaske und anderswo davon zu überzeugen, von ihrem
> Vorhaben, so unschön die Demotivation auch sein mag, Abstand zu
> nehmen,
> beziehungsweise das an konkret benannten anderen Orten zu realisieren.
Das ist tatsächlich irre schwer! 1. setzt Du damit ein relativ großes
Reflexionsvermögen voraus (wer gibt schon gern vor sich selber zu, daß
er nicht neutral ist?), 2. hast Du ratzfatz die Diskussion „wieso sind
_die_ drin und nicht ich??“ und 3. wollen die Vereine, Firmen etc.
eben nicht „an konkret benannten anderen Orten“ stehen, sondern genau
da wo alle stehen: In der Wikipedia. Wobei die Wikipedia wohl
weitestgehend als ein tolles Webverzeichis wahrgenommen wird, nicht
aber als Enzyklopädie (was daran liegen kann, daß unsere eigene
Definition von Enzyklopädie offenbar so vielfältig ist wie die Anzahl
der Mitarbeiter ;)
Gruß
Henriette