[Wikide-l] Herr Gauss & das Wiki (war: Re: Dünen , Kampf, und was das alles kostet)

Markus Mueller markus at flauta.de
Fr Jan 6 08:58:53 UTC 2006


Am Freitag 06 Januar 2006 01:18 schrieb Jakob Voss:
> Also bitte keine Panik. Das Wiki-Prinzip kann halt nicht gleichzeitig
> dafür sorgen, dass alles schnell korrigiert werden kann und dass alles
> immer stimmt.

Wenn die Möglichkeit, alles schnell zu korrigieren, nicht dazu führt, dass 
alles immer stimmt - ja wozu hat man diese Möglichkeit denn dann überhaupt? 
Das Wikiprinzip ist inzwischen doch längst die Hauptverursacher dafür, dass 
vieles nicht (mehr) stimmt!

Nein, nein. Der fundamentale Denkfehler liegt doch darin zu glauben, das 
Wikiprinzip wäre unidirektional und asymmetrisch. Das funktioniert allerdings 
nur mit einem geschlossenen Benutzerkreis, der ein gemeinsames Ziel hat - so, 
wie es sicherlich in der Anfangszeit der Wikipedia war.

Je mehr schreibberechtigte Benutzer es gibt, desto mehr tendiert das 
Wikiprinzip zur Symmetrie, d.h. die Güte der Veränderungen nähert sich in 
ihrer Verteilung immer mehr einer Gauss'schen Kurve an. Das Wikiprinzip ist 
eine völlig neutrale Einrichtung, es kann von sich aus Informationen nicht 
bewerten oder filtern. Darum wird mit ausreichender Zeit und ausreichenden 
Edits die Qualität des durchschnittlichen Artikels immer mehr auf ein 
mittleres Mittelmaß nivelliert werden.

Wir haben 626 Exzellente bei 334.000 Artikeln. Nehmen wir mal an, das sogar 
3340 aller Artikel wirklich gut sind, dann sind wir bei 1% - also ganz ganz 
rechts in der Gauss-Kurve. Aber auch 10% (33.000 gute Artikel) würde meinen 
Punkt noch genausogut illustrieren. 

Ein uneingeschränktes Wikiprinzip bedeutet letztlich maximale Entropie. Der 
Energieaufwand, dieser Entropie entgegenzuwirken steigt mit zunehmender 
Artikelzahl und mit zunehmender Qualität des einzelnen Artikels exponentiell 
an. Je höher das Niveau eines Artikels, desto unwahrscheinlicher ist ein 
Edit, der einen Artikel nochmal verbessert und desto wahrscheinlicher ist ein 
Edit, der ihn verschlechtert. Das ist simple Oberstufenmathematik.

Durch technische Spielereien wird man die Gesetze der Mathematik nicht ändern 
können, ebensowenig dadurch, dass man immer mehr Energie in die Überwachung 
steckt. Man kann der Entropie nur entgegenwirken, indem man ein Ventil 
einbaut, was den einmal erreichten Zustand, die einmal investierte 
Arbeitsleistung, konserviert und nur noch diejenigen Edits durchlässt, die 
eine möglichst hohe Wahrscheinlichkeit haben, einen Artikel zu verbessern, 
statt ihn zu verschlechtern.

Und das bedeutet zwangsläufig - wie auch immer man das anstellt - dass wir uns 
von dem Wikiprinzip, wie es heute existiert, verabschieden werden müssen. 
Oder wir verabschieden uns alternativ von dem Ziel, eine Enzyklopädie 
schreiben zu wollen. Eins von beiden.

Beides zugleich geht nicht.

Markus.