[Wikide-l] Der zweite ließ das Schreiben sein, da waren's nur noch acht...
Ulrich Fuchs
mail at ulrich-fuchs.de
Fr Mär 4 09:03:32 UTC 2005
Am Freitag, 4. März 2005 01:56 schrieb Elisabeth Bauer:
> Und der nächste:
> http://en.wikipedia.org/wiki/User:Mirv
Das "fetishization of process is the worst" halte ich für eine richtige
Feststellung. Die Vfd-Problematik sehe ich für die deutschspr. WP nicht, was
da landet, landet da größtenteils berechtigt, und es landet viel zu wenig da.
Mittlerweile werden - fetishization of the process - im Gegenteil bei der
dt.spr. Wp viel zu viele Anträge mit dem Verweis auf irgendwelche Löschregeln
schonmal von vorneherein abgelehnt. Interessant zu beobachten, wie diese
ursprünglich für Admins gedachten Regeln, wann sie Artikel mal eben wegputzen
können und wann sie sie besser zur Diskussion stellen sollten, zu einer
"Löschantragsstellvoraussetzung" mutierten.
Offenbar scheint es - ich spreche jetzt nur fr die dt.spr. WP, aber ich
fürchte, es ist ein Grundproblem von Wikis in dieser Größerordnung - eine Art
Stille Post zu geben, was den Hintergrund und die Bedeutung der Regeln
angeht, die sich die Community geschaffen hat. (Man kann das auf den
Diskussionsseiten schön beobachten). Sie werden von einer auf die nächste
"Generation" immer leicht falsch tradiert, und verändern dadurch ihre
Bedeutung und auch das Feld, für das sie angeblich Gültigkeit besitzen. Über
bleibt letztlich eine Regelwerk, das seinen Sinn, Entscheidungen für
Routinefälle nicht jedesmal neu finden zu müssen, verfehlt.
Was Wikipedia nach wie vor fehlt (und was sie wohl nie bekommen wird, dafür
ist es zu spät), ist eine allgemein akzeptierte Grundverfassung, die das
Projektziel klar definiert (insbesondere, was WP unter einer "Enzyklopädie"
versteht). 95% der Regeln in der WP dienen dazu, eine Gemeinschaft zu
organisieren, die sich offenbar nicht darüber klar ist, was sie eigentlich
will, (nur 5% der Regeln beschäftigen sich mit Inhalten (Namenskonventionen
etc.)) - damit reiben sich die Leute untereinander auf, erfinden immer neue
Regeln, missinterpretieren alte, es fallen letztlich die Leute aus, denen es
um Inhalte geht und es bleiben die, denen es um die Reibereien geht. Damit
wirkt der evolutionäre Druck auf die verbleibenden Inhalte in Richtung "gut
für Reiberei" und nicht "gut für das deklarierte Ziel", und der Teufelskreis
schließt sich.
Ich halte daher auch Versuche wie Vermittlungsausschuss, Arbitration
Committee, Three revert rule usw. für völlig kontraproduktiv. Geregelt werden
muss nicht, wie die Wiki-Community funktioniert (mit ein paar Ausnahmen:
Keine persönlichen Angriffe etc.) und wie Streit zu schlichten ist (was nur
zu neuem Streit führt), geregelt werden muss, was die Inhalte sein sollen.
Eine "drei-revert-Regel" ist Unsinn (sie ist Wiki-spezifisch), eine "keine
Aussage ohne Angabe einer wiss. Quelle"-Regel ist sinnig (sie regelt was
Inhalt sein kann und was nicht). Eine "Abgelehnte Löschanträge dürfen nicht
wieder vorgeschlagen werden"-Regel ist unsinnig, eine "Artikel mit vorwiegend
werblichen Aussagen werden umgehend gelöscht"-Regel ist sinnig. Was es dann
noch braucht, sind Admins, die Teilnehmer anhand dieser inhaltlichen
Mitarbeit beurteilen dürfen und können und im Notfall die vor die Tür setzen,
die sich nicht an die (dann nur noch sehr wenigen) Grundregeln halten können
oder wollen.
Wikis funktionieren nicht, wenn Leute nicht mutig sind. In der Wikipedia kann
man nicht mutig sein, als Normalo-User nicht (weil man dann nämlich jede
Menge in den Artikeln stehenden Müll einfach kaltschnäuzig löschen müsste,
was die Müll-Schreiber sofort auf einen losschlagen lässt
(INHALTSVERNICHTUNG!!!)), und als Admin auch nicht, weil man in ein Korsett
aus Regeln gepfercht ist, die letztliche sämtliche Mittel, die man fürs
mutig-sein bräuchte, faktisch einer Minderheit von Usern unterordnen, die auf
diversen Meta-Seiten möglichst laut schreien. Die "ever-increasing power of
sysops", die Mirv bemängelt, kann ich zumindest für de nicht feststellen - im
Gegenteil; als ich als Admin anfing, waren die Machtbefugnisse eines Admins
weitaus größer, und wir waren weitaus produktiver. Einen Cassiel sind wir
innerhalb von zwei Wochen losgeworden, bei einem Thomas7 eiert die Wikipedia
seit bald vier Monaten rum, und das liegt nicht nur an der Größe, sondern
daran, dass faktisch kein Admin mehr die Macht hat, den Schlüssel umzudrehen.
Uli