AW: AW: AW: [Wikide-l] Schreiber, Sozialarbeiter und Steckenpferdreiter

Ralph Teckentrup adornix at gmx.net
Di Jan 18 10:03:27 UTC 2005


> Von: Henriette Fiebig
 
> Ralph Teckentrup wrote:
> 
> > Du wirst Dich entsinnen, daß wir "frouwe" in diesem Lied 
> > einvernehmlich und in Übereinstimmung mit Benecke, Müller, 
> Zarncke mit 
> > "Geliebte" übersetzt haben. Soviel zum Thema richtig und falsch ;-)
> 
> Hi Ralph!
> 
> Stimmt! _Du_ warst das ;)
> 
> Nun ist es aber so - ich hoffe die Liste hier schmeißt nicht 
> bald das Handtuch bei soviel philologischer Spitzfindigkeit 
> ;) -, daß "frouwe" 
> "Herrin" heißt und nicht Frau. Und es bedeutet niemals und 
> nimmer "Frau". Das mittelhochdeutsche Wort für Frau ist "wip" 
> (was nicht - nur ums jetzt mal ganz zum Ende zu führen - Weib heißt).
> Wenn ich innerhalb der Übersetzung - und das ist ja immer 
> Interpretation
> - mich für ein in diesem Falle passenderes und wohlmöglich 
> auch für den modernen Leser verständlicheres "Geliebte" 
> entscheide, dann ist das vollkommen korrekt, ändert an der 
> eigentlichen Wortbedeutung "Herrin" 
> und nicht "Frau" aber gar nix.

Eine interessante Debatte über die Wahrheit wissenschaftlicher Aussagen, die
sicher weit über germanistische Kreise hinaus ihre Beachtung finden wird.
Zumindest wird man uns dafür nicht den Kopf abreissen.

Natürlich heisst frouwe nicht Frau. Es heisst Herrin. Nur: Wie auch die
neuhochdeutschen Worte Frau und Herrin sind mhd. wip und frouwe nicht ohne
eine ganze Reihe von Konnotationen. Und leider sind nhd. Herrin und mhd.
frouwe nicht identisch konnotiert sondern haben lediglich eine gewisse
Schnittmenge, die es erlaubt zu sagen frouwe heisse Herrin. Wir können nur
mutmaßen, was mittelaterlicher höfische Menschen sich so gedacht haben, wenn
im besagten Lied die "here frouwe" besungen wurde (zumal von Betonung,
Melodie und Tempo nichts überliefert ist). Jedenfalls scheint im Mittelalter
die "Herrin" auch ein Wort für die "Geliebte" gewesen zu sein. Und das ist
sie im neuhochdeutschen Sprachgebrauch eher nicht mehr (sadomasochistische
Konstellationen mal außen vor gelassen). Das ist kein trivialer Sachverhalt
und der muß selbst Germanisten und GermanistInnen öfter mal erläutert werden
- und sei es, weil sonst allzu leicht frouwe mit Herrin übersetzt wird, ohne
den Kontext zu beachten...
 
Trotzdem bin ich natürlich der Ansicht, daß es Wahr und Falsch in der
Wissenschaft gibt, und dass man das für jeden Zusammenhang definieren kann
(bei ausreichend weitgehender Erkenntnis, es gibt gewiß noch genug
Unerforschtes). Und dieses Wahre ist doch wohl der Inhalt einer
Enzyklopädie. Nur ist die Vermittlung des Wahren als Wahres anstrengend und
man kann nicht erwarten, daß sich die Sachverhalte entgegen
Volksetymologien, Ideologien und "gesundem Menschenverstand" immer von
selbst durchsetzen. In der Regel muß man laufend das gleiche wieder ganz von
vorn erklären. 
Übrigens haben die großen Papierenzyklopädien ein ganz ähnliches Problem,
nur in anderen zeitlichen Dimensionen. Die Zahl der Korrekturen über die
Jahrzehnte, die nicht nur einfach dem Fortschritt der Wissenschaft, sondern
dem Wandel des Zeitgeistes/der herrschenden Ideologie geschuldet sind, ist
doch sehr hoch - die Mediävistik ist dafür ein sehr gutes Beispiel.

Meint

Ralph (der derzeit auch mehr Gefallen daran findet sich an der Liste der
Neuen Artikel abzuarbeiten, als sich seiner Fachwissenschaft zu widmen)