Datensammler (was: [Wikide-l] Re: Wikipedia, Brockhaus & Co.)
Katharina Bleuer
kbleuer at dplanet.ch
Mo Jan 17 09:09:14 UTC 2005
At 12:27 16.01.05 +0100, Florian Schütz wrote:
>Michael Bergbauer schrieb:
>>Wenn du meinst, dass die Wikipedia auf "Fachleute" mit "blattvergoldeten
>>Fachartikel[n]" verzichten kann, dann halte ich das eben fuer
>>hochnaesig.
>
>Hat er das gesagt? Die Hochnäsigkeit bezieht sich eher darauf, dass diese
>Fachleute dann vergrämt die Wikipedia verlassen, weil sie meinen, ihre
>Artikel würden inmitten niederländischer Fußballer um 1900 untergehen.
*LOL*
Denkst Du tatsächlich, jemand würde sich ernsthaft an *guten* Artikel über
niederländische Fussballspieler stören? Was hier kritisiert wird sind nicht
bestimmte Themen, sondern die "Datensammler-Mentalitäten", die dazu führen,
dass jemand Minimalartikel über *alle* niederländischen Fussballer im Jahr
1900 anlegt. "Hans war ein niederländischer Fussballer aus dem Jahr 1900".
"Fritz war ein niederländischer Fussballer aus dem Jahr 1900". "Fridolin
war ein niederländischer Fussballer aus dem Jahr 1900". "Ottokar war ein
niederländischer Fussballer aus dem Jahr 1900".
Jea. Dann können wir sagen, wir haben Artikel über alle niederländischen
Fussballer aus dem Jahr 1900. Aber sind das wirklich Artikel? Sind es
*Enzyklopädie*-Artikel? Was bringen sie dem Leser? Nichts. Es ist möglich,
dass sich jemand für den niederländischen Fussball im Jahr 1900
interessiert und einen Artikel darüber schreiben möchte. *Was* bringt es
ihm zu erfahren, dass die Leute, die er auf seiner Liste hat (oder die auf
der "Liste niederländischer Fussballer um 1900" stehen) und über die er in
der Wikipedia nachschlägt, niederländische Fussballspieler waren?
Nun, man kann dieser Art Artikel zugute halten, dass sie wenigstens das
Wesentlich auf den Punkt bringen, auch wenn sie keiner Nutzen haben - weder
für die Wikipedia noch für den Leser.
Schlimmer hingegen sind die vielen "Albert Einstein war ein Angestellter
der Berner Patentamts. Er mochte Plüschtiere und seine Leibspeise war
Pudding"-Stubs oder sogar Artikel. Die im Beispiel enthaltenen
Informationen sind nicht falsch. Aber dadurch, dass das Wesentliche über
die Person / das Thema nicht gesagt wird, ist das transportierte *WISSEN*
falsch. Solche Artikel *schaden* dem Leser und sie *schaden* dadurch der
Wikipedia. Artikel, die der Wikipedia schaden, gehören gelöscht und zwar
subito.
Wenn ich dann bei der Löschdiskussion um solche Artikel von Admin-Kollegen
lesen muss, dass ein solcher Artikel auch dann unbedingt bestehen bleiben
soll, wenn er nicht umgeschrieben wird, dann frage ich mich ernsthaft, was
wir hier machen. Die ehrliche Antwort lautet: Wir sammeln irgend welche
Daten über irgend welche Personen und kippen sie auf eine Website wo man
das halt eben kann.
Haben wir noch ein gemeinsames Ziel? Hatten wir das überhaupt jemals?
Wollen andere auch eine *Enzyklopädie* schreiben oder wollen sie sich nur
selbst verwirklichen und ziehen ihr redaktorisches Selbstvertrauen aus der
Tatsache, dass sie Daten über alle baden-würtemmbergischen Gemeinden in die
Wikipedia eingespeist haben (aka, aus ihrer Sicht, Artikel über all diese
Gemeinden geschrieben)? Solche Fragen gehen mir in letzter Zeit sehr oft
durch den Kopf und ich weiss keine Antwort.
Was ich sehe ist, dass es grundsätzlich zwei verschiedene Philosophien
gibt. Die einen, die sich sagen: "Die Wikipedia wird nie fertig sein.
Deshalb tun wir unser bestes, wenige, dafür wichtige und gute Artikel über
unseren Themenbereich zu schreiben". Die anderen, die sich sagen: "Die
Wikipedia wird nie fertig Sein: Deshalb tun wir unser bestes, für alle
Themen aus unserem Bereich Artikel anzulegen. Um die Qualität der Artikel
kümmern wir uns dann, wenn dies geschehen ist."
Beide Sichtweisen sind legitim und beide haben ihre Vor- und Nachteile.
Sollte sich die erste Sichtweise durchsetzen wird sich die Wikipedia nie
mit einem exponentiellen Wachstum rühmen können. Und sie wird - auch in
hundert Jahren nicht - sagen können: wir haben Artikel über alle Themen.
Der Vorteil wäre, dass die Wikipedia tatsächlich einen realen *Nutzen*
hätte für die LeserInnen und BenutzerInnen.
Sollte sich die zweite Sichtweise durchsetzen (die aktuelle Tendenz deutet
darauf hin), dann können wir uns daran sonnen. Wir können uns sagen, wir
haben etwas Tolles geleistet, denn wir haben Artikel zu allen möglichen
Themen angelegt. Der Nachteil dabei ist, dass die Wikipedia zum Selbstzweck
verkommt. Der Nutzen einer solchen Wikipedia liegt *ausschliesslich* bei
den AutorInnen.
Das oberste Ziel der Wikipedia ist es, das Wissen dieser Welt für alle
Menschen frei zugänglich zu machen. Denkt bitte mal darüber nach, welche
der beiden Philosophien diesem Ziel besser dient.
Kat