[Wikide-l] Hat Wikipedia den Höhepunkt seiner Entwicklung erreicht?

P. Birken pbirken at gmail.com
Di Jan 20 20:52:26 UTC 2009


Hiho,

Zunächst: Der Rückgang der Neuanmeldungen kann eigentlich nur, wie
DerHexer anmerkt, mit Single User Login zusammenhängen, da auf allen
Projekten dasselbe passiert:
http://stats.wikimedia.org/EN/TablesWikipediansNew.htm. Ich denke das
was man sieht ist eher eine statistische Bereinigung um internationale
Accounts, die sich vorher für Interwikilinks oder Typokorrekturen oder
Diskussionsbeiträge bei uns anmelden mussten.

Das bedeutet nicht, dass der Rückgang der bereits passiert ist und die
Stagnation der Community nicht alarmierend genug wären.

Ich denke ebenfalls, dass die Community sehr stark in ihrem eigenen
Saft schmort. Diskussionen zu Fragen wie: "Wo soll das Projekt hin?"
oder anderen finden nicht so richtig statt. Wie Frank sagte:
Wikipedianer sind eine Ingroup geworden. Wir kreisen extrem um uns
selbst. Wir benutzen eine eigene Sprache, haben unsere eigenen Regeln
und diskutieren Dinge, die fast nur Wikipedianer interessieren.
Entscheidungsstrukturen sind weiterhin nahezu undurschaubar und
Änderungen am Projekt nur noch unter sehr großem Aufwand machbar.
Letzteres liegt natürlich auch an der basisdemokratischen Ausrichtung,
aber vor allem an dem, was im Internet ganz selbstverständlich ist:
Das Bestehende zieht Leute an, die damit zurecht kommen. Und das
bedeutet im Umkehrschluss, wir ziehen nicht so total viel neue Leute
an. Und ich fürchte, wir ziehen vor allem Fans an, egal ob das
Eisenbahnfans, Fußballfans, Fans von Fernsehserien, von Ortschaften
oder Bäumen sind. Die Leute haben hier eine Plattform, in der sie sich
verwirklichen können und diese Plattform und diese Möglichkeit gilt es
zu erhalten. Das ist etwas qualitativ anderes als "Wie machen wir die
Wikipedia zur Besten Enzyklopädie, die es je gegeben hat und geben
wird?". Eine Frage, die mich umtreibt :-)

Im Gegensatz dazu sind alle Versuche des Vereins bisher wie Wikipedia
Academies, die Zedler-Medaille, Schreibschulungen, Seniorenprojekt, in
Bezug auf das Ziel, neue fachlich gute Autoren zu gewinnen, auf fast
ganzer Linie gescheitert sind und wir müssen uns fragen, warum? Bei
Wissenschaftlern kenne ich denke ich die Gründe: Zu wenig Zeit, die
mangelnde Klarnamensnennung mögen sie nicht und die Autorennennung in
der Wikipedia ist nicht prominent genug. Im Gegensatz zu vielen
anderen haben sie auch bereits Möglichkeiten, zu publizieren und
dementsprechend ist der Drang, sich in der Wikipedia durch Beiträge zu
verwirklichen, nicht gegeben. Hier ist es meiner Meinung nach
notwendig, neue Formen der Mitarbeit für Wissenschaftler zu finden.
Was ist beispielsweise mit Reviews? Man könnte den Autoren anbieten,
ihre Artikel an die Akademie der Wissenschaften Mainz zu schicken.

Bei anderen Berufsgruppen sehe ich täglich weitere Gründe. Wikipedia
ist nicht Newbiefreundlich. Vorlagen, Infoboxen, Regeln und auch die
gesichteten Versionen bilden ein doch sehr komplexes Gebilde. Aber das
größte Problem sind tatsächlich Wikipedianer. Einem neuen Benutzer
wird, anstatt ihm bei seinem Artikel zu helfen, ein QS-Baustein
reingepappt und erzählt, er möge doch Kategorien reinsetzen und
wikifizieren. Anstatt dass das einfach direkt gemacht wird?! Danach
kriegt er eine kryptische Begrüßungsvorlage (ich benutze
Vorlage:Hallo, die ist noch moderat) und wird erstmal mit Lesematerial
zugemüllt. Ich finde es wichtig, dass wir das machen. Aber ist das als
erster Kontakt mit der WP eigentlich so toll? Wirklich toll wäre
folgendes: Ich melde mich an und kriege dann erstmal eine
Superkurzeinführung und der Server blendet mir direkt was auf meiner
Diskussionsseite ein, gemeinsam mit einem Hinweis auf das Tutorial,
der erst verschwindet, wenn ichs gemacht habe. Mit cookies sollte das
ja alles kein Problem sein. Die gesichteten Versionen erlauben es
übrigens recht gut, neue Benutzer zu finden. Man muss sie nur noch gut
behandeln..

Nicht zu vergessen bei der ganzen Sache: Der Umgangston. Nicht nur,
dass der weiterhin mies ist und Zivilcourage in der Wikipedia wirklich
rar ist, jetzt ist auch noch die gängige Meinung, dass alles
archiviert werden muss und jede Diskussion auf Stammtischniveau der
Nachwelt der Wikipediaforscher erhalten bleiben muss. Dazu kommt noch:
Die Konfliktlösungsmechanismen in der Wikipedia sind ein trauriger
Scherz. Welcher Admin versteht, was eine "Diskussionsmoderation" ist?
Und wer von denen ist in der Lage, dass selber durchzuführen?

Nichtsdestotrotz: Die Community lebt. Wir haben fast 6.000 Accounts,
die die Sichterrechte haben. Das sind alles Accounts, die aufgrund von
Edits im letzten Jahr automatisch oder auf Anfrage bei Admins die
Rechte bekommen haben, also aktive Accounts. Tsor schrieb mir einmal
(frei aus dem Gedächtnis wiedergegeben): "Von den Leuten, denen ich
die Rechte gebe, kenne ich eigentlich keinen und die wenigsten haben
ernsthaft außerhalb des Artikelnamensraums editiert." Anders gesagt:
Während der enge Kern der Community um sich kreist und teilweise
jahrelang dieselben Diskussionen und Streitigkeiten pflegt, schreiben
tausend relativ unberührt davon die WP. Die deutschsprachige WP ist
eben schon eine Kleinstadt und da kann man einfach leben ohne sich um
den Rest zu kümmern.

Viele Grüße

Philipp