Am 09.05.2011 23:14, schrieb Martina Nolte:
Hallo Manuel,
Am 08.05.2011 14:50, schrieb Manuel Schneider:
andererseits ist es ein Unterschied ob ich
zuhause, mit minimalem Einsatz zu einer mir genehmen Zeit, auf eine mir genehme Art und im
mir genehmen Tempo Artikel schreibe, oder ob ich zu vorgegebenen Zeit ein Ergebnis
entsprechender Qualität, ggf. weit weg vom Heimatort und vielleicht unter Einsatz von
Urlaubstagen einen Vortrag halten muss.
Autoren schaffen Bücher an, gehen (an Urlaubstagen) in Bibliotheken,
auch Fotografen setzen - z.B. für die Landtagsprojekte - Urlaubstage
ein, fahren Hunderte von Kilometern, bringe teure Ausrüstung mit. Auch
diese Aktionen müssen zeitintensiv vor- und nachbereitet werden. Ich
sehe hier keinen Unterschied zu einem Referenteneinsatz.
Ich sehe durchaus ein Risiko, dass eine schleichende Kommerzalisierung
unserer Aktivitäten ehrenamtliches Engagement unattraktiver macht.
Unsere Projekte leben aber vom Ehrenamt.
Ja, so ist es, Martina. Und oftmals in nicht unerheblichem Ausmaß, wie
Autoren sich in die Sache reinhängen. Eine Aufwandsentschädiung halte
ich auch für völlig korrekt, nur sollte das dem Begriff Aufwand wirklich
entsprechen. Im Augenblick sprechen wir ja nur von völlig offenen
Strukturen, aber ich werde nachfolgend aufzählen, dass gerade dies nur
von kurzer Dauer sein wird.
Mit meinem Plädoyer, dem Anfang der Kommerzialisierung einen Riegel
vorzuschieben, wollte ich nur erreichen, dass etwas eintritt, was auf
anderen Ebenen schon längst Standard ist in der Wikipedia:
These:
Eine Gruppe von Leuten reißt ein bestimmtes Projekt an sich um dann die
Zugangsregeln für sich selbst zu definieren. Wer dann entsprechend
spurt, darf mitmachen. Wer nicht spurt, oder wer der Peer-Group nicht
nahesteht, der bleibt außen vor. Begründung nachfolgend.
Im Ergebnis wird das zu folgender Entwicklung führen:
1. Eine Startgruppe beginnt mit dem Projekt, vorerst gibt es keine Regeln.
2. Diese Startgruppe organisiert sich, als nächstes werden
Zugangsvoraussetzungen geschaffen, die auf eine bestimmte Personengruppe
zugeschnitten ist.
3. Ein neues Portal in Wikipedia wird eröffnet und die Referenten
vorgestellt.
4. Diese Gruppe erstellt ein Procedere, ob und wie Neuinteressenten
aufgenommen werden.
4. Es wird mit lautem Trommeln, Gekreisch und begleitet von fröhlichem
Pfeifen Demokratie eingeführt, Neueinsteiger bzw. Interessenten sollen
ab nun gewählt werden.
5. Wahlberechtigt sind ausschließlich Personen, welche von Anfang an
dabei waren sowie solche, welche dann in Folge aufgenommen wurden. Der
Rest der Community ist davon ausgeschlossen, denn die haben ja keine
Ahnung.
7. Ein Ausbildungstheater wird inszeniert, nur wer an einer Schulung
teilnimmt, darf sich überhaupt als Interessent anmelden. Die Schulung
ist kostenlos, die Referenten von WMDE gut bezahlt (huch, ein neues
Projekt) und immer dieselben Personen - die über ein gutes Netzwerk
verfügen, aber von der Materie keine Ahnung haben, aber sagen, sie
hätten. Natürlich gibt es dazu ganz tolle Powerpoint-Präsentationen.
8. Der Protest, dass das etwas merkwürdig ist, wird niedergebögelt und
folgerichtig als Verschwörungstheorie des Diderot-Clubs erkannt.
9. Entgelte für diese Referententätigkeit werden - demokratisch
innerhalb der Gruppe abgestimmt, of course - zur Geheimsache erklärt.
10. Wem das komisch vorkommt, der sollte sich einmal die
Zugangsvoraussetzungen für die Teilnahme am Support-Team und der
Mentoren anschauen. Hier läuft und lief das genau nach diesem Muster.
Nur bekommen die bislang nichts für ihre ehrenamtliche Tätigkeit. Aber,
das ließe sich ja in Zukunft ändern! Denn mit Geld wird ja alles viel
besser und professioneller.
Irgendwann einmal, wenn das Ganze dann läuft, wird einer daherkommen und
die Frage stellen: Was bringt das Ganze eigentlich wirklich? Die Frage
nach einer Evaluierung wird gestellt werden, einer
Due-Diligance-Prüfung. Darüber wird dann abgestimmt: Stimmberechtigt
darüber werden alle Referenten sein und nur diese! Daraus ergibt sich
ein vorhersehbares Ergebnis.
Denn keiner wird den Mut haben, seine eigene Tätigkeit kritisch zu
betrachten, wenn er vielleicht mehrere hundert Euro/Monat inzwischen
regelmäßig als Einkommen lukriert und das vielleicht sogar notwendig
braucht.
Falls jemand der Meinung ist, dass ich von Erwachsenenbildung keine
Ahnung habe, dem sage ich, dass ich viele Jahre darin und damit
gearbeitet habe, in etwa 1000 Seminartage. Und in bestimmten
Fachbereichen ein gefragter, gutbezahlter Referent im gesamten
deutschsprachigen Raum war. Und das, was ich machte, hatte mit
Wissensvermittlung per PC zu tun. Und auch mit Supervision von
Referenten selbst. Also, den kommerziellen Bereich kenne ich. Und die
sich daraus zwangsläufig ergebenden Mängel, wenn es um Geld geht.
Wikipedia ist nicht deshalb das geworden, was es ist, weil irgendwer
bezahlt wurde, sondern weil das Grundkonzept einen völlig anderen Weg
vorgegeben hat.
Wenn einer glaubt, dass man mit "üblichen" Schienen das forcieren kann,
was mit dem "üblichen" Weg gar nicht erst zustandegekommen wäre, dem
kann ich nur empfehlen, einmal eine Rückschau zu machen, oder sich
selbst dort einmal beobachten, wo man "freiwillig" etwas macht. Artikel.
Wo liegt dort die Motivation, dass man seine Freizeit "opfert".
Dann wird man feststellen, dass man diese Zeit niemals als Opfer
empfindet, sondern als persönliche Bereicherung. Denn sonst würde man
das gar nicht tun. Und genau das ist der Knackpunkt!
Motivation schafft man nicht dadurch, dass man vor einem Publikum
vorträgt, welches zu einem mehrheitlichen Teil dazu verdonnert wird, an
etwas teilzunehmen, was sie überhaupt nicht interessiert. Das passiert
dann, wenn man für eine Stunde Vortrag in einer Schulklasse eingeladen
wird. Auch wenn es vielleicht in so einer Klasse fünf
Schüler/Schülerinnen gibt, bei denen man von einem potentiellen
Interesse ausgehen kann, so wird es der Rest der Klasse in Folge
erreichen - und da hat kein Referent und kein Lehrer auch nur den
geringsten Einfluss -, dass die Sache eigentlich ein Schuß ins Ofenrohr
war. Zwei negativ agierende Opinion-Leader mit Markenklamotten am Leib
reichen aus, eine Sache nachhaltig für uncool zu erklären. Speziell
dann, wenn gerade diese es probiert haben, Wikipedia als
Destruktionstestgelände zu erkunden.
Meine besten Erfolge in der Erwachsenenbildung erzielte ich in meinen
Seminaren dort, wo ich selbst Seminarteilnehmer aussuchen konnte und die
Teilnahme von manchen anderen einfach verweigerte. Ich konnte fachliche
Gründe anführen. Und ausschließlich dort, wo in Kleingruppen
unterrichtet wurde.
Das bedeutet: Keine Kurse vor ganzen Schulklassen, wo der Lehrer
einlädt! Der Erfolg wird gleich NULL sein! Wenn in Schulen, dann nur
über ein freiwilliges Angebot in der Freizeit der Schüler - aber in den
Räumlichkeiten der Schule selbst. Eventuell nicht nur einmalige
Veranstaltung, sondern in das pädagogische Konzept des Jahresplans
eingebunden. Denn damit ist man dem Freiwilligengedanken deutlich näher
gekommen. Und gleichzeitig auch ein Freiwilligenangebot an Lehrer in
deren Freizeit. Unbezahlt, oder als Teil der Lehrerweiterbildung
deklariert. Wer zu diesen Veranstaltungen auftaucht, der wird auch
(zumindest ein Teil davon) direkt bereit sein, sich weiter zu
engagieren. Der Rest der Lehrer und Schüler ist tot für Wikipedia. Als
Mitarbeiter. Nicht als User. Denn ohne WP geht gar nix mehr, sage ich.
Aber das war nun ein Exkurs in die Umsetzung und geht über meine
ursprünglichen Zweifel an der diskutierten Form der bezahlten
Referententätigkeit hinaus.
Und an Manuel Schneider gerichtet:
Deinen theoretischen Ergüsse erstaunen mich immer wieder. Vor allem weil
ich weiß, dass du keinerlei oder zumindest fast kaum praktische
Erfahrung in bestimmten Bereichen aufweisen kannst, aber trotzdem zu
allem was zu krähen hast.
h.