[Wikide-l] Hat Wikipedia den Höhepunkt seiner Entwicklung erreicht?
Henriette Fiebig
henriette.fiebig at snafu.de
Di Jan 20 21:38:55 UTC 2009
On 20.01.2009, at 20:51, P. Birken wrote:
>>
>> Wo sind die Volkskundler, die Literatur- und Medienwissenschaftler?
>
> Sie haben besseres zu tun als Artikel über Orte zu verfassen, für die
> sich außer den Einwohnern keiner interessiert.
Einspruch euer Ehren! :) Als jemand, der seit geraumer Zeit auf den
Pfaden der Volkskunde (speziell: Redensarten) wandelt, kann ich Dir
den Grund nennen:
Derlei Artikel haben allerhand Fallstricke deren dickster unsere
wohlmeinenden aber unwissenden Adepten sind ;) Die legen nämlich gern
Artikel zu etwas an, das „man doch weiß“ – was praktisch immer Murks
ist. Dann LKs mit dem tollen Argument „ist doch interessant,
behalten“. Irgendwer pfuscht noch ein bisschen ergoogeltes Zeugs dazu
und … tadaaaaa … haben wir eine unausgegorene Artikelruine für die
Ewigkeit.
Volkskundliches findet man primär in alten, obkuren und aus den 30er
Jahren stammenden Quellen mit entsprechend nur schwer verdaulichem
„völkischen“ Duktus: An die kommt man 1. schwer ran und 2. sucht man
sich nach neuer und kritischer Literatur meist einen Wolf. Zudem sind
die allermeisten Themen nur in abseitigen Aufsatzsammlungen oder
Artikeln aus längst vergessenen Zeitschriften erschienen. Monographien
sind Fehlanzeige und problemlos nachvollziehbare Quellenangaben auch.
Um in so einem Thema einen wirklich anständigen Artikel schreiben zu
können, muß man schon einiges an Recherchekünsten auf der Pfanne haben
– mit Google kommste höchstens ein paar Zentimeter weit. Dafür aber
landet man bei der Recherche vom Hölzchen nicht nur auf dem Stöckchen,
sondern gleich in der Plantage ;) Ich habe vor zwei Wochen ganz
harmlos mit Eiertänzen angefangen und bin binnen fünf Tagen bei der
Symbolik der jesuitischen Embleme gelandet! (Frag mich nicht, womit
ich mich momentan befasse, um diesen Artikel schreiben zu können ;))
Kurz gesagt: Auch in abseitigen Nischenthemen machen unsere
Qualitätsansprüche es zunehmend schwerer etwas Ordentliches auf die
Beine zu stellen. Wahrscheinlich schreiben einfach deshalb nicht mehr
so viele Leute neue Artikel, weil alles leicht über Google
zusammenstoppelbare schon geschrieben wurde ;) Und die
Literaturwissenschaftler (wie praktisch alle Geisteswissenschaftler)
leiden schlicht unter der Flut von Publikationen, die die Kollegen
ausstoßen: Einig ist man sich auf dem Gebiet nie und unter 23 Quellen
braucht man auch gar nicht erst anfangen sich Gedanken um einen
Artikel zu machen.
Gruß
Henriette