[Wikide-l] "Internetexperte" "prophezeit" das Ende von Brockhaus und weiteren "Qualitätsangebote" (hoffentlich sind die Weasel-Tags richtig gesetzt)

Henriette Fiebig Henriette.Fiebig at snafu.de
Mi Jul 5 09:13:05 UTC 2006


Mathias Schindler wrote:

>>From the mit-software-patenten-wäre-das-nicht-passiert-Department:
> 
> http://www.firmenpresse.de/pressinfo21294.html
> 
> "So kann sich die Wikifizierung zu einem neuen Schmarotzertum
> auswachsen. Inhalte anderer Autoren werden zusammengefügt,
> anonymisiert veröffentlicht und verwendet. Da dies ohne finanzielle
> Abgeltung geschieht, werden wertvolle Inhalte durch diesen Prozess
> wertlos gemacht", kritisiert Sander. Die Autoren derartiger
> Qualitätsangebote könnten dann nur mit Rückzug reagieren, da ihre
> geistige Arbeit keinen materiellen Verdienst mehr erbringe."

Da wären dann die nächsten Sätze auch noch interessant gewesen:

"Dies könnte in einigen Jahren auch im Internet stattfinden, wenn die 
Geistreichen ihren Geist einfach nicht mehr der Öffentlichkeit zur 
Verfügung stellen. Im Internet würde dann nur noch kollektiver Müll 
erscheinen", so Sander."

Das alles aber muß man im Zusammenhang mit diesem Artikel sehen, auf den 
sich die PM bezieht:

http://www.sueddeutsche.de/kultur/artikel/306/78228/

"Was wir jetzt beobachten können, ist eine beängstigende Ausbreitung des 
Trugschlusses, das Kollektiv sei unfehlbar. Davon bleiben nicht einmal 
Eliteorganisationen verschont. Der Aufstieg der Wikipedia, der Reichtum 
von Google und das Wettrennen zur ultimativen Metaseite haben zu einem 
Goldrausch geführt, von dem schon Regierungsstellen, Universitäten und 
die Planungsabteilungen von Top-Firmen angesteckt wurden.

Es ist gut zu verstehen, was den Trugschluss des Kollektivismus für 
große Organisationen so attraktiv macht: Wenn es ein unfehlbares 
Grundprinzip gibt, müssen die Einzelnen keine Risiken eingehen und keine 
Verantwortung übernehmen. Das passt zu den enormen Unsicherheiten und 
der geradezu pathologischen Angst vor Verantwortung in unserer Zeit. 
Gleichzeitig müssen wir in Institutionen funktionieren, die keiner 
Führungskraft mehr verpflichtet sind. Jeder Einzelne, der Angst davor 
hat, innerhalb seiner Organisation das Falsche zu sagen, kann sich 
deswegen immer auf der sicheren Seite wähnen, solange er sich hinter 
einem Wiki oder ähnlichen Ritualen von Meta-Aggregaten verstecken kann.

/.../

Die entscheidende Frage ist allerdings, in welchen Punkten man als 
Einzelner klüger ist als das Kollektiv. Im Schnelldurchlauf würde ich 
die Grenze zwischen effektivem Kollektivdenken und Schwachsinn wie folgt 
definieren: Das Kollektiv kann immer dann Klugheit beweisen, wenn es 
nicht die eigenen Fragestellungen definiert; wenn die Wertigkeit einer 
Frage mit einem schlichten Endergebnis, wie einem Zahlenwert festgelegt 
werden kann; und wenn das Informationssystem, welches das Kollektiv mit 
Fakten versorgt, einem System der Qualitätskontrolle unterliegt, das 
sich in einem hohen Maße auf Individuen stützt. Wenn nur eine dieser 
Vorgaben wegfällt, wird das Kollektiv unzuverlässig. Ein Individuum 
entwickelt dagegen ein Höchstmaß an Dummheit, wenn es mit umfangreichen 
Machtfunktionen ausgestattet und gleichzeitig von den Folgen seiner 
Handlungen abgeschirmt wird."

Und in diesem Text steckt eine enorme Menge an Wahrheit, wie ich finde. 
Wir sehen das doch in der WP: Nicht der Einzelne ist persönlich 
verantwortlich für die Texte, die er schreibt und wenn er Mist 
geschrieben hat, dann kann er sich - und das noch offiziell abgesegnet! 
- dahinter verstecken, daß "die Community es schon richten wird". Das 
die anderen Leser und Bearbeiter nämlich seine Fehler korrigieren. Das 
ist doch - wenn man es genau bedenkt - tatsächlich hirnrissig. Da landen 
wir Leute ein, daß sie Enzyklopädie-Texte schreiben und wir nehmen ihnen 
die Verantworung für das Geschriebene ab und verlagern stattdessen die 
Verantwortlichkeit auf den, der eigentlich Wissen und Information sucht.

Und wenn dann der Experte ankommt und korrigiert, dann kann er sich auch 
noch mit jedem hergelaufenen Deppen darüber streiten, wer jetzt Recht 
hat. Das da praktisch jeder Experte schreiend davonläuft, weil er 
nämlich zurecht keine Lust hat, sein in mühsamer Arbeit gewonnenes 
Wissen in zähen und absurden Diskussionen gegen Leute zu verteidigen, 
deren fachlichen Hintergrund (so der überhaupt vorhanden ist) er gar 
nicht kennt, das ist für mich nur zu verständlich.

> 
> Argumentativ deckungsgleich mit dem Tenor der 13 Thesen des Theologen
> aus Mannheim, der ja wahlweise das Nebeneinander und darüber hinaus
> noch das Ende unfreier Texte erklärt und dessen Thesen bei dieser
> Zusammenfassung völlig verzerrt wiedergegeben wurden, weil es ja genau
> andersherum ist.

Das ausgerechnet einer, der die Idee der WP-Academy unterstützt und 
meint, daß wir mehr Fachleute (= ausgebildete Akademiker) brauchen, hier 
die Diskussion auf die Software-Patente umbiegt (um die es in beiden 
Texten mit keiner Silbe geht), finde ich ausgesprochen enttäuschend. Die 
Frage ist doch gar nicht, ob freies Wissen gut oder böse ist, die Frage 
ist, wie wir die Zurverfügungstellung von freiem Wissen attraktiver 
machen! Und attraktiv bedeutet für sehr viele Menschen eben nicht Geld, 
sondern Anerkennung ihrer Leistung. Darüber sollten wir mal diskutieren.

Gruß

Henriette

-- 
Reality continues to ruin my life (Calvin)