Dünen , Kampf, und was das alles kostet (war: Re: [Wikide-l] WP-Artikel über lebende Personen)
Markus Mueller
markus at flauta.de
Do Jan 5 19:26:46 UTC 2006
Am Donnerstag 05 Januar 2006 17:22 schrieb Ivo Köthnig:
> Gut Mathias, jetzt wissen wir, wie wir solche Artikel erkennen, nur werden
> sie deshalb noch lange nicht überwacht. Da nützt auch ein Aufruf nicht, die
> unübwachten Artikel stärker im Auge zu behalten. Denn darunter leiden dann
> andere Artikel. Die Zeit, die die Leute investieren, wird durch solche
> Features ja nicht mehr. Im günstigsten Fall kann man die investierte Zeit
> zum überwachen besser aufteilen. Aber irgendwann ist auch da die Grenze des
> "Überwachbaren" erreicht.
So ist es. Solche Probleme lassen sich schön mit Hilfe der Mathematik
demonstrieren. Jeder überwachte Artikel kostet den Überwachenden Zeit, die
logischerweise nicht mehr in andere Arbeit investiert werden kann. Ich hatte
schonmal vorgerechnet, dass - wenn wir hypothetisch die Verpflichtung
einführen sollten, dass jeder Admin einen gleichen Anteil Artikel zu
überwachen hätte - etwa 1800 einzigartige Artikel auf jede Person kämen, für
dessen täglich unvandalierten Zustand dieser dann verantwortlich wäre (und da
sind dann nichtmal die Artikel drin, die er aus anderen Interessen in seiner
Beobachtungsliste stehen hat).
Wir haben es also mit einem grundlegenden Problem zu tun: Wikiprinzip und
Enzyklopädie beginnen in dieser Größenordnung inkompatibel zueinander zu
werden. Denn um das Wikiprinzip uneingeschränkt aufrecht erhalten zu können,
ist ein mindestens linear steigender Verwaltungsaufwand vonnöten (meine These
ist sogar, dass es sich um einen leicht exponentiell ansteigenden Aufwand
handelt).
Wikiprinzip bedeutet Veränderung, aber der liebe Gott hat es leider nicht so
eingerichtet, dass die Veränderung automatisch nur in positive Richtung
verläuft. Der Wind baut eine Düne auf und der Wind baut die Düne auch wieder
ab. Das ist das nackte, uneingeschränkte Wikiprinzip. Unreguliert vergehen
die mit Energieaufwand geschaffenen Informationen mit der Zeit wieder in das
Rauschen, aus dem sie durch Denkarbeit geformt wurden.
Wir leisten uns allerdings jeden Tag abertausende Mannstunden - meist die Zeit
der besten Autoren - nur um gegen diese Entropie anzukämpfen. Jeden Tag
investieren wir ungeheure Arbeit, um das Wikiprinzip uneingeschränkt aufrecht
zu erhalten, ohne das irgendetwas Produktives oder auch nur Positives daraus
erwachsen würde: ein Kampf um den nackten Erhalt des bereits Erreichten,
buchstäblich nur "um des Prinzips willen". Ist das denn die Art von Arbeit,
die man intelligenten, arbeitswilligen Menschen in ihrer Freizeit zumuten
sollte? Dieser deprimierende Kampf gegen die Erosion des Wissen und das
Versumpfen in der Mediokrität, das KOSTET uns ungeheuer viel. Hat schonmal
jemand versucht zu berechnen, welche ungeheuren Opfer uns dieser Luxus
kostet?
Er wird uns zumindest unseren - metaphorischen - Kopf kosten.
Umdenken ist also angesagt. Der erste Schritt kann nur darin bestehen, die
Zahl der Artikel in der Wikipedia massiv zu reduzieren. Die Wikipedia darf
nicht mehr auf das Vergrößern einer amorphe Masse Wert legen, sondern
ausschließlich auf die qualitative Verbesserung der existierenden Artikel.
Wikipedia wird in Zukunft für fast alle Beteiligten nur noch ein Verbessern
dessen, was bereits erreicht wurde, bedeuten.
Das Einführen eines Stopps des Neuanlegens von Artikeln, ohne das dieses zuvor
als wünschenswert erkannt worden wäre, ist daher die erste in einer ganzen
Reihe von unumgänglicher Massnahmen, die einzuführen sind, wenn denn man
schon am Prinzip des Veränderns durch jedermann um jeden Preis - und dieser
Preis ist *verdammt* hoch - festhalten will.
Markus.