Das Recht des Stärkeren (war: Re: [Wikide-l] Frage: Gibt es ein "Krise der Wikipedia" und sind die Probleme neu?)

Markus Mueller markus at flauta.de
Do Dez 8 11:51:42 UTC 2005


Hallo Ulrich!

> Wobei ich Deine Kur, *Artikel* zu sperren, eigentlich eher nicht empfehlen
> würde. Das Problem der Wikipedia ist nicht mit Artikelsperren zu lösen,
> sondern m.E. nur mit: 1) einer klaren Definition von oben, was man sein
> will und was nicht, welche Arbeitsweisen man akzeptiert und welche nicht,
> welche Inhalte man akzeptiert und welche nicht (damit verbunden eine
> Ansage, dass man nicht alle Inhalte akzeptiert) 2) einer verpflichtenden
> Anmeldung mit email-Bestätigung (um den Aufwand zur Anmeldung hoch zu
> treiben); 3) mit einer Administratorenriege, die diese Ansage umsetzt und
> jeden diskussionslos rauswirft, der sich der Zieldefinition nicht
> unterwirft - ohne dass der nächste Administrator ihn/sie wieder entsperrt.

Kein Widerspruch.

Ich habe Dein Abschiedsposting schon vor 3 Monaten gelesen und konnte den hier 
wiederholten Aussagen damals schon weitgehend zustimmen. Und das wird mit der 
Zeit nicht weniger wahr. Was dieses angeht sind wir uns also durchaus einig.

Warum ich dann diese Meinungsbild initiiert habe? Weil für weitergehende 
sinnvolle Maßnahmen offenbar der Leidensdruck für die Mehrheit derer, die an 
solchen Prozessen der Entscheidungsfindung beteiligt sind, noch nicht groß 
genug ist. Und wenn ereines Tages groß genug ist, kontrolliert diese Prozesse 
längst der Mob.

Hier glauben einige Teilnehmer immer noch fälschlicherweise, das, was in der 
Wikipedia ablaufe, habe irgendetwas mit "Basisdemokratie" (im weitesten 
Sinne) oder friedlicher "Konsensfindung" durch Ausdiskutieren zu tun. Nichts 
weniger als das!

Was zur Zeit in der Wikipedia herrscht, ist der nackte Naturzustand, der Krieg 
aller gegen alle. Es herrscht das Recht des Stärkeren - d.h. derjenige, der 
entweder den längeren Atem hat oder die aggressivsten Methoden einsetzt, wird 
in der Regel auch seine Sichtweise prominenter platzieren - oder gar 
durchsetzen - können (solange ein Artikel nicht von sehr vielen Personen 
gleichzeitig betreut wird), als diejenigen, die zwar ausgewogen und fachlich 
korrekt argumentieren, aber schon bald entnervt aufgeben.

Diese Atmosphäre der Gewalt - dagegen muß dringend etwas unternommen werden.

Oder - um bei der schiefen staatsphilosophischen Metapher zu bleiben - die 
Wikipedia braucht eine "Verfassung", in der sich die volonté générale 
widerspiegelt. Dazu, das wissen wir aus der Demokratietheorie, ist es nötig, 
dass alle "Bürger" einen Teil ihrer Rechte freiwillig aufgeben. Geschieht 
dies nicht, so werden die meisten qualifizierten Benutzer ein Hobbesches 
Leben in der Wikipeida führen: 

  "einsam, arm, kümmerlich, roh und kurz".

Oh, und diesselbe Charakterisierung gilt natürlich auch für die überwiegende 
Mehrheit der Artikel in der Wikipedia.

Schöne Grüße,

Markus.