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Grüße,
Michael
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Spaltet die Wikipedia
Torsten Kleinz 31.01.2005
Die freie Enzyklopädie wächst und wächst - jetzt ist die Zeit zu handeln
Vor einem halben Jahr habe ich die Frage gestellt, ob die Wikipedia [1] eine Einbahnstraße
ins Weltwissen [2] ist . Die Frage lässt sich mittlerweile mit "Nein"
beantworten: Es ist eine Straße mit vielen Abzweigungen - und nicht wenige davon führen
geradewegs ins Chaos. Nun ist die Zeit, die richtige Ausfahrt zu finden.
Die Wikipedia wächst: Zehntausend, hunderttausend, eine Million Artikel - es scheint nur
eine Zeitfrage zu sein, bis die freie Enzyklopädie fast jede beliebige weitere Grenze
bricht. Kaum eine Woche, in der nicht ein neues Projekt, eine neue Initiative, eine neue
Plattform das Licht der Welt erblickt. Immer wieder kann das freie Projekt die
kommerzielle Konkurrenz ausstechen, althergebrachte Methoden in ihre Schranken verweisen.
Das Wikifieber greift um sich: Immer öfter sind Wikipedia-Artikel auch in Massenmedien zu
finden, selbst in Unternehmen sind Wikis auf dem Vormarsch. Die Wissensalmende scheint
nahe.
Die Wikipedia wuchert: Lehrbücher [3], Zitate [4], Nachrichten [5] - alles soll auf der
universalen Plattform einen Platz finden. Was im Einzelnen vorgeht, wissen nicht einmal
die engagiertesten Aktivisten. Ein bunter Mischmasch aus Anarchie, Demokratie,
Aristokratie und Monarchie ist für die Entscheidungen verantwortlich. Wer diese
anschließend nachvollziehen will, wird oft in Transparenz erstickt: Zu viele
Mailinglisten, Diskussionsseiten und unverbindliche Abstimmungen sind nachzuschlagen.
Die Phase des Ordnens muss erst noch beginnen
Der Konsens über das Weltwissen ist sehr schmal: Der "neutral point of view"
soll alles richten - doch was jetzt neutral oder schlicht Konvention ist, ist nicht
einfach zu trennen. Fachleute beklagen sich, dass die Artikel in ihrem Fachgebiet nur
unzureichend sind und eine nachhaltige Verbesserung schwer gegen die Masse der Benutzer
durchzusetzen sei. Unterdessen ächzen die Server unter der Last der vielen Abfragen. Die
Projektverantwortlichen haben alle Hände voll zu tun, um die Plattform am Laufen zu
halten, Spenden zu aquirieren und die ersten ambitionierten Printfassungen in die Gänge zu
bringen.
Die freie Enzyklopädie ist heute immer noch so etwas wie ein weltweites Brainstorming, das
unverbindliche, unmoderierte und weitgehend regelfreie Zusammentragen von Ideen. Auch in
der Wirtschaft hat sich diese Methode bewährt - durch den freien Gedankenfluss kommen oft
die brillantesten Ideen zu Tage. Doch die Phase zum Ordnen der Gedanken wurde noch nicht
nachdrücklich eingeleitet. Es gibt schon lange Zeit Initiativen, die Qualität der
Wikipedia durchgehend zu erhöhen. Es werden Qualitätsoffensiven ausgerufen, um bestimmte
Themenbereiche besser auszuleuchten, über relativ formlose Peer Reviews werden Artikel zu
"Exzellenten Artikeln" ausgerufen. Ein umfassende Bewertungssystem für Artikel
ist angedacht, wurde aber noch nicht umgesetzt.
Drei Punkte haben die Initiativen gemeinsam: Zum einen sind sie viel zu langsam, um
wesentliche Anteile der Wikipedia zu erfassen. Sie dienen als Leuchttürme und als positive
Beispiele, können aber nicht für die gesamte Plattform Wirkung entfalten. Es existieren in
der deutschen Wikipedia erst gut 300 exzellente Artikel [6] - genug, um zu beeindrucken,
aber zu wenig, um den Durchschnitt der Artikel wesentlich anzuheben. Zum zweiten setzen
die etablierten Mechanismen sehr auf die besonders aktiven Wikipedianer und bieten für
Außenstehende aber zu wenig Anreiz zur Teilnahme. Was Weltwissen ist und wie es
aufbereitet werden muss, wird im besten Fall unter einigen Dutzend Beteiligten
ausgekungelt. Bisher oft mit vorzeigbaren Ergebnissen - feste Bewertungsmaßstäbe gibt es
aber nach wie vor nicht. Zum dritten hat die einmal geschaffene Qualität keinerlei
Bestandsgarantie. Ein exzellenter Artikel kann durch unsachgemäße Erweiterungen, Flamewars
und Umsortierungen sehr schnell wieder unübersichtlich und sachlich inkorrekt werden.
Ständige Überarbeitungen setzen eigentlich ständige Überwachungen voraus, doch dezidierte
Strukturen hierzu existieren noch nicht.
Entsorgung von Altlasten zur Qaulitätssteigerung
Zwar hat die Wikipedia mittlerweile auch ohne diese Mechanismen ein beachtliches Niveau
erreicht, doch zeichnet sich ab, dass dieser Trend sich nicht ohne weiteres fortsetzen
wird. Die Wikpedianer haben viel Spaß an einer ständige Ausweitung des Projekts, so dass
es schwer fällt, innezuhalten, eine Bilanz zu ziehen und über die nächsten Schritte
nachzudenken.
Verbindliche Vorgaben erhielt die deutsch Wikipedia in letzter Zeit durch eine
Distribution: Der Verlag Directmedia Publishing gab eine CD mit den Inhalten der Wikipedia
heraus und war deshalb gezwungen, aus den teilweise chaotisch formatierten Inhalten ein
Nachschlagewerk zu machen. Dafür musste einige Altlasten entsorgt werden. Für die nächste
Ausgabe arbeiten die Wikipedianer bereits an weiteren Formalisierungen: So wird zu jedem
Personenartikel eine Auflistung der Personendaten angefügt. Nicht nur die geplante
DVD-Distribution profitiert davon, auch der Wikipedia-Nutzer erhält so schneller Auskunft
über die grundlegenden Daten.
Was bei den formalen Aspekten funktioniert hat, könnte auch bei den anderen Fragen
funktionieren. Die hochkomplexe Qualitätsfrage kann wahrscheinlich nur außerhalb der
Community verbindlich geklärt werden. So wäre es an der Zeit, das Vorgängerprojekt Nupedia
wiederzubeleben. Unter diesem Namen hatte Jim Wales zusammen mit Larry Sanger bereits ihre
erste freie Online-Enzyklopädie begonnen, die auf einen ausgefeilten Redaktionsmechanismus
aufbaute und daran scheiterte: Die Schwelle zur Mitnahme war so hoch, dass niemals eine
kritische Masse an Artikeln zusammenkam, die neue Mitarbeiter motivieren konnte. Diese
kritische Masse ist nun vorhanden, das Projekt Nupedia ist jedoch verschwunden.
Dabei ist ein fester Redaktionsprozess gefragter als zuvor. Er könnte die Bewegung in dem
Wissensschatz auf ein vernünftiges Maß reduzieren und gleichzeitig dafür garantieren,
dass wirklich jeder Artikel die gleiche Behandlung erfährt und einen durchgängigen
Standard erhält. Durch eine abgeschlossene und produktive Arbeitsplattform kann die
notwendige Meta-Kommunikation auf ein notwendiges Maß beschränkt werden: die selben Themen
müssen nicht wieder und wieder durchgekaut werden. Eingeschränkte
Bearbeitungsmöglichkeiten erleichtern das ausliefern statischer Seiten und entlasten die
Wikipedia von dem ganz normalen Ansturm der Nur-Leser. Zudem könnte eine namentlich
bekannte Redaktion und eine transparentere Quellenpolitik dem Leser zusätzliche
Orientierung und Vertrauen geben.
Bei OpenSource-Projekten fällt es sehr leicht, so genannte Forks zu produzieren:
Abspaltungen des eigentlichen Hauptprojekt, die auf der Basis der bisher geleisteten
Arbeit weitermachen. Solange die Bedingungen der Lizenz genügt wird, kann jeder seine
eigene Wikipedia aufmachen. Nur eine Einschränkung gibt es: Die Namensrechte an
"Wikipedia" liegen bei der Wikimedia Foundation.
Das Mozilla-Projekt hat es vorgemacht: nach langem Zögern hatten sich die Entwickler
endlich entschlossen, den sperrigen Mozilla in mehrere Einzelanwendungen aufzuspalten und
schufen so unter anderem den Webbrowser Firefox, der das schaffte, was Mozilla nicht
vergönnt war: Endlich konnten ein freier Browser dem Platzhirsch Microsoft tatsächlich
Marktanteile abnehmen.
Eine Spaltung der Wikipedia hieße nicht ihr Ende - ein neues Qualitätsprojekt könnte sogar
unter dem Dach der selben Foundation stattfinden. Ein solche Neuanfang wäre schwer und
müsste gut bedacht werden. Doch durch das Abstoßen von Altlasten könnte die Wikipedia so
neuen Schwung bekommen.
LINKS
[1]
http://www.wikipedia.org
[2]
http://www.telepolis.de/r4/artikel/17/17817/1.html
[3]
http://de.wikibooks.org/wiki/de:Hauptseite
[4]
http://de.wikiquote.org/wiki/de:Hauptseite
[5]
http://de.wikinews.org/wiki/Hauptseite
[6]
http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Exzellente_Artikel
Telepolis Artikel-URL:
http://www.telepolis.de/r4/artikel/19/19297/1.html
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