Marce, si tacuisses, philosophus mansuisses... (du bist ja bekennender
Althistoriker).
Ziko
Am 18. November 2008 13:36 schrieb Marcus Cyron <kenwilliams-1(a)web.de>de>:
Oooch Ziko - wir hätten mal am Wochenende über die DDR
sprechen sollen. Ich
bin ja auch der Meinung, daß alles weniger aufgeregt gesehen werden sollte.
Aber bei deinen Interpretationen ist einiges sehr - Interpretativ. Die SED
wies kaum mal Jemanden ab. Und was du Einladungen nennst, nannten andere
Versuche sie in die Partei zu zwingen. Wer Karriere machen wollte mußte in
die SED. Und die wollte eben alle Kandidaten für Elite-Positionen bei sich
haben.
Kurz gesagt - dein zweiter Abschnitt ist ebenso falsch, wie die dummen
Vorwürfe der Stasiritis, die ihm jetzt allenthalben gemacht werden. Die
Wahrheit liegt dazwischen. Er ist weder Teufel, noch Heiliger oder Opfer.
Grüße
Marcus
Dass das Verhalten von Lutz Heilmann sehr
kritisch zu hinterfragen ist,
dürfte gerade unter Wikipedianern unstrittig sein. Die öffentliche
Unterstützung für unsere Freie Enzyklopädie tut uns allen sicherlich gut.
Um
die Kritik aber auf eine gemäßigte Bahn zu
bringen, hier ein Versuch, der
Person und dem Fall gerecht zu werden.
Lutz Heilmann schloss sich als junger Mensch, mit zwanzig Jahren, der SED
an. Dies ist man nicht einfach so geworden, sondern man wurde von der
Partei
eingeladen, und da die SED nicht jeden nahm,
sondern auf Intelligenz und
Talent achtete, konnte Heilmann die Einladung als sehr schmeichelhaft
empfinden. Außerdem ist man als junger Mensch auf der Suche nach einem
Beruf, und anscheinend hat sich während seines Wehrdienstes - den in der
DDR
fast jeder ableistete, da das Regime die
Alternative Bausoldat sehr
unangenehm gestaltete - die Möglichkeit ergeben, eine Elite-Karriere beim
MfS zu beginnen. Das Regime ist für seine menschenverachtende Haltung und
seine Methoden bekannt, und der MfS-Personenschutz ist nicht mit einer
entsprechenden Aufgabe in einem Rechtsstaat zu vergleichen. Dennoch gilt
für
Heilmann wie für jeden anderen die
Unschuldsvermutung, solange die
Forschung
oder die Staatsanwaltschaft nichts weiteres über
seine damaligen
Handlungen
findet.
Berichten zufolge scheint Heilmann politisch voll hinter seiner Partei
gestanden zu haben; es muss offen bleiben, inwieweit hier und später in
seinem Leben Opportunismus eine Rolle gespielt hat. Jedenfalls wurde
seine
Arbeit beim MfS erst mit der Auflösung dieses
Terrorapparates beendet,
und
erst 1992 trat er aus der in PDS umbenannten SED
aus. 2001 trat er wieder
ein, sein Leben in der DDR scheint also nicht so unangenehm gewesen zu
sein,
um ihn davon abzuhalten.
Es ist selbstverständlich, dass ein Mensch nicht gern von sich aus etwas
preisgibt, das von vielen anderen Menschen als verwerflich angesehen
wird.
Wie ehemalige Nationalsozialisten und
NS-Verbrecher haben auch Täter der
SED-Diktatur gewisse Stellen ihrer Biografie zu verheimlichen versucht.
Zu
kritisieren ist es vor allem, wenn sie dabei
nicht bei der Wahrheit
bleiben,
so wie Heilmann, der seine Tätigkeit als
Berufssoldat nachträglich als
verlängerten Wehrdienst darstellte und behauptete, er habe schon im
Oktober
1989 um seine Entlassung ersucht. Nachdem er 2005
in den Bundestag
eingezogen war, wurde ihm zurecht vorgeworfen, seine sensible
Vergangenheit
nur einem sehr kleinen Kreis mitgeteilt zu
haben.
Aus den Presseberichten kristallisiert sich heraus, dass Heilmann eine
irgendwie geartete Beziehung zu einem anderen Menschen hatte; er selbst
meint, sie sei so kurz gewesen, dass sie nicht als Beziehung zu bewerten
sei. Im Streit verlaufende Beziehungen sind für jeden Menschen
unangenehm,
vielleicht gibt es bei (bekennenden)
Homosexuellen wie Heilmann eine
zusätzliche Komponente, der öffentlichen Meinung wegen. Hier gelten bei
der
Berichterstattung die Bestimmungen zum
Persönlichkeitsrecht, wenngleich,
bei
Prominenten, nicht so strikt wie bei
Normalbürgern.
Der Wikipedia-Artikel ist etwa seit Oktober 2008 ein wenig umkämpft
gewesen.
Eine genauere Untersuchung müsste ergeben, ob
unwahre oder unbelegte
Behauptungen gemacht worden sind. Ob ein Wikipedianer das wiedergegeben
hat,
was er in der Presse gelesen hat, oder ob er
spekuliert hat. Im letzteren
Fall ist zu fragen, ob ein Wikipedianer das böswillig gemacht hat - wenn
Heilmann trotz seiner SED-Vergangenheit der Meinung ist, er sei moralisch
geeignet für den Bundestag, dann sollte er auch bei Wikipedianern nur die
besten Absichten vermuten.
Heilmannns Vorgehen gegen die Wikimedia Deutschland ist sicher in jeder
Hinsicht zu kritisieren. Er hätte auf das Wiki-Prinzip der
Selbstreinigung
und Neutralität vertrauen und Behauptungen in der
Versionsgeschichte
ignorieren können. Er hätte mit Wikipedianern (den Autoren) Kontakt
aufnehmen können. Er hätte mit dem Verein länger reden müssen. Er hätte
sich
über das Gefüge in der Wikimedia-Welt besser
informieren müssen. Die
Einstweilige Verfügung war unverhältnismäßig, und man wundert sich, warum
die Richterin dem Antrag stattgegeben hat. Heilmanns spätere Erklärungen
lassen keine wirkliche Einsicht in diese Fehler erkennen.
Manche Kritik an Heilmann ihrerseits war jedoch überzogen, auch bei
einigen
kommentierenden Spendern, über deren finanzielle
und moralische
Unterstützung wir uns natürlich sehr freuen. Heilmanns Unmut über die
Wikipedia gab und gibt es auch bei vielen anderen Prominenten, nicht nur
ehemaligen SED-Mitgliedern. Es wäre falsch, ihm "Stasi-Methoden"
vorzuwerfen, der Schutz des Rechtstaats gilt auch für jemanden, zu dessen
Vergangenheit der Schutz eines Unrechtsstaats gehört hat.
Der Verein ist wesentlich glimpflicher aus der Sache gekommen als
Heilmann,
dessen politische Karriere spätestens jetzt
zerstört sein dürfte.Wir
haben
aber keinen Grund zum allzu fröhlichen
Triumphgefühl, denn nicht nur
Heilmanns Biografie wurde verstärkt diskutiert, sondern auch das offene
Wikiprinzip. Die Gesichteten Versionen waren jedenfalls ein Schritt in
eine
richtige Richtung, gerade um uns die Offenheit
langfristig bewahren zu
können.
Ziko
--
Ziko van Dijk
NL-Silvolde
_______________________________________________
VereinDE-l mailing list
VereinDE-l(a)lists.wikimedia.org
https://lists.wikimedia.org/mailman/listinfo/vereinde-l
_______________________________________________
VereinDE-l mailing list
VereinDE-l(a)lists.wikimedia.org
https://lists.wikimedia.org/mailman/listinfo/vereinde-l