Hallo Kurt,
Am 27.12.2012 um 13:52 schrieb Kurt Jansson:
Februar, März, April und Mai 2004 waren in der
deutschen Wikipedia die
Hölle. SPON, Tagesthemen und der Spiegel hatten zum ersten Mal über uns
berichtet und Massen ahnungsloser Neugieriger strömten in das Projekt, um
auszuprobieren, ob das mit dem Bearbeiten von Artikeln tatsächlich so
einfach geht. Keiner von ihnen scherte sich um "Was Wikipedia nicht ist",
viele hinterließen Zeichenmüll in Artikeln oder legten neue zu völlig
abwegigen Themen an. Die Zahl der Löschkandidaten explodierte und wir waren
unsicher, ob das Projekt nicht komplett überrannt und von einer
Enzyklopädie zu einem Alles-geht-Wiki werden würde. Es war die schönste,
aufregendste Zeit, die ich in der Wikipedia erlebt habe. Ich wünsche mir,
dass genau so etwas noch einmal passiert.
Die Bedingungen waren damals ganz anders als heute. Einen Eternal September kann es nicht
mehr geben, weil die Konkurrenz im Web 2.0 heute sehr viel größer ist. Außerdem kennt man
Wikipedia heute, das ist nichts Aufregendes mehr.
Wenn man wirklich auf Dauer den Zugang für neue Autoren verbessern möchte, sollte man nach
meiner Erfahrung in Wikipedia macht Schule vor allem den "Bearbeiten"-Button
irgendwie wesentlich stärker hervorheben, denn den sehen die wenigsten. Auch der
"Diskussions"-Button geht unter. Die Tabs werden kaum beachtet, und die Navbar
wird kaum wahrgenommen, weil sie völlig überladen ist. Eigentlich bräuchte wir drei
Interfaces: Eins für Nur-Leser, eins für wenig geübte Autoren und eins für die
Stammbelegschaft. Das wäre die erste Hürde. Das eigentliche Bearbeiten ist erst die
zweite, und wer die erste genommen hat, schafft auch die zweite. Die erste Hürde ist aber
sehr viel schwerer zu nehmen.
Das Backlog in den von Dir genannten Bereichen
bekommen wir notfalls später
abgearbeitet. Auch bin ich sicher, dass wir über eine beachtliche stille
Reserve an Leuten verfügen, die dort wieder aktiv werden, wenn's brennt.
Und genau da wäre ich mir weniger sicher. Alle Teilprojekte arbeiten schon seit langem am
Anschlag, da ist keine Luft mehr für Experimente, und eine stille Reserve sehe ich auch
nicht. Wo sollte die, bitte, sein, und warum versteckt sie sich die ganze Zeit? ;)
Diejenigen
Autoren, die den neuen Editor ausprobieren möchten, werden
sowieso kommen.
Dieses Argument habe ich in anderer Form schon sehr oft von sehr vielen
Leuten in der Community gehört, aber noch nie verstanden. "Wer wirklich an
der Wikipedia mitarbeiten will, der wird auch die Syntax lernen." "Wer auf
ein Problem in einem Artikel hinweisen will, der wird auch die
Diskussionsseite finden und bearbeiten." "Wer sich dauerhaft im Projekt
engagieren möchte, der wird auch mit dem rauen Umgangston klar kommen." Und
andersherum: "Wer das alles nicht auf sich nimmt, der ist per Definition
nicht für das Projekt geeignet, den brauchen wir hier nicht."
Warum sollte das alles so sein? Es gibt viele Hobbys, die ebenso
befriedigend sein können, wie die Mitarbeit an einer Online-Enzyklopädie -
und mit diesen konkurrieren wir um die freie Zeit potentieller Mitarbeiter.
Wir müssen dafür sorgen, dass das Projekt auch für Leute attraktiv ist, die
einfach nur kurz einen Artikel verbessern wollen (... in dem Wissen und der
Hoffnung, dass einige nicht mehr davon loskommen werden...).
Wie sollte der Durchschnittsleser überhaupt mitbekommen, dass er nun viel
einfacher mitarbeiten kann, wenn wir ihn nicht aktiv darauf aufmerksam
machen?
Ich habe natürlich nichts gegen einen Banner, wenn der VE mal freigeschaltet ist. Ich habe
eher etwas gegen den VE an sich, aber das ist wohl nicht mehr zu verhindern.
Zum Thema Autorengewinnung möchte ich gerne auf den Förderverein für Stadtwikis verweisen,
der bei seinem letzten Treffen beschlossen hat, solche Werbeaktionen für Autoren
einzustellen. Hier die Gründe:
http://allmende.stadtwiki.info/wiki/Portal_West/Protokoll_Treffen_20121103#…
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== Ergebnisse der Grundsatzdiskussion ==
# Die Stadtwikis legten bisher den Fokus auf das Gewinnen von Schreibern. Anhand der
Tatsache, dass es nur sehr wenige Schreiber gibt, dafür aber offenbar ein hohes Interesse
der Leserschaft, soll bei den Marketingaktivitäten grundsätzlich der Leser in den
Mittelpunkt rücken.
# Es ist zu prüfen, inwieweit die "neuen" interaktiven "Tools" wie
Twitter und Facebook eine Diskussion auf den Wikis ergänzen können.
Als Ursachen für den Mangel an Schreibern, unter dem sämtliche Stadt- und Regionalwikis
leiden, wurden genannt:
# Bei Tweets und Facebook-Postings ist immer klar, wer der Autor ist. Das hat erhebliche
Auswirkungen auf die Motivation. Diese Plattformen werden nämlich vom permanenten
Wettbewerb um originelle Postings und interessante Linktipps befeuert. Dort geht es in
erster Linie um Selbstdarstellung. Die Autoren von Stadt- und Regionalwikis hingegen
treten bis zur Unerkennbarkeit hinter das Gemeinschaftswerk Wiki-Artikel zurück.
# Im Gegensatz zum Twittern und Facebooken ist das Schreiben von Wiki-Artikeln
zeitaufwändig und anstrengend. Es gibt nicht viele Menschen, die bereit sind, sich dieser
Anstrengung zu unterziehen.
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Viele Grüße,
Jürgen.