Hallo Martin,
2014-05-28 0:11 GMT+02:00 Martin Kraft <martin.kraft(a)gmx.de>de>:
> Es ist doch realitätsfremd, so zu tun, als sei das ein Job wie jeder
> andere auch, den man bis zur Rente machen könnte, wenn man sich bloß nicht
> zu schulden kommen läßt.
Das hat auch doch niemand behauptet. Gerade weil es kein Job wie jeder
andere ist, ist die Amtszeit befristet und wird auch immer nur befristet
verlängert, wenn sie überhaupt verlängert wird. Es ist ja durchaus so
gewollt, dass im regelmäßigen Turnus, nämlich etwa alle 4 Jahre, darüber zu
entscheiden ist, ob man den Vorstand behalten oder aber einen neuen finden
will.
> Die Besetzung dieses Amts ist ein wesentliches Werkzeug des Präsidiums die
> Ausrichtung und Entwicklung des Vereins zu beeinflussen. Und Du glaubst
> Doch nicht ernsthaft dass ein für ein (jetzt zwei Jahre) gewähltes Gremium
> bis zu 5 Amtszeiten wartet, bis es aktuell für notwendig erachtet
> Kurskorrekturen vornimmt?! Wenn für den Wechsel (wie aktuell)
> einvernehmlich eine Übergangsregelung gefunden wird, die gewährleistet,
> dass der Verein in der Zeit des Übergangs seine Handlungsfähigkeit behält,
> sehe ich weder arbeits- noch vereinsrechtlich unlösbare Probleme.
Auch das hat niemand behauptet. Das Präsidium hat erst erklärt, es gäbe
eine neue Strategie, die mit dem Vorstand nicht umzusetzen war. Im zweiten
Anlauf heißt es dann, es gäbe gar keine neue Strategie, sondern es gäbe
Unterschiede bei der Priorisierung, ohne diese weiter auszuführen. Ein
Präsidiumsmitglied ließ sich sogar zu der Behauptung hinreißen, es würde
gar keine Veränderungen darin geben, was der Verein tut. Gleichzeitig heißt
es unisono, der Vorstand würde hervorragende Arbeit leisten. Unter den
Umständen ist es halt nicht nachvollziehbar, warum dann ein vorzeitiger
Wechsel stattfinden soll. Kurz gefasst: natürlich heißt eine feste
Amtszeit, dass es in der Regel keine vorzeitige Beendigung gibt, es sei
denn, dafür gibt es gewichtige Gründe. Die demokratisch getroffene
Entscheidung des Präsidiums ohne nähere Begründung allein kann und darf
dafür nicht ausreichen.
Sie könnte ausreichen, wenn die Entscheidung keine negativen Folgen für den
Verein hat. Tatsächlich hat sie das aber in vielerlei Hinsicht, nur eine
Auswahl:
1) Der feste Dienstvertrag mit dem Vorstand enthält eine Vergütung, die bis
zum Vertragsende zu zahlen ist. Der Vertrag kann nur aus wichtigem Grund
gekündigt werden. Das heißt, der Vorstand hat, sofern kein wichtiger Grund
gegeben ist, bis zum Ende seines Vertrages Anspruch auf die Vergütung
unabhängig davon, ob er noch als Vorstand tätig ist oder nicht. Laut
letztem Wirtschaftsplan geht es hier bei einer Restlaufzeit von jetzt 18
Monaten um etwa €130.000. Man muss den Aufhebungsvertrag nicht kennen um
auszurechen, dass die damit zu zahlende Abfindung nicht drei Euro fünfzig
betragen wird. Für diese Abfindung erhält der Verein keinerlei
Gegenleistung.
2) Es muss ein neuer Vorstand gefunden werden, der bereit ist, unter der
realistischen Möglichkeit einer vorzeitigen Abberufung ohne triftigen Grund
bei voller öffentlicher Aufmerksamkeit für den Verein tätig zu werden. Ohne
öffentliche Aufmerksamkeit wäre das vielleicht noch zu ertragen, aber mit
ihr stellt sich die Frage, welche Kandidaten, die für das Amt aufgrund
ihrer Kompetenz und Erfahrung auch tatsächlich in Frage kommen, sich darauf
einlassen werden.
3) Das Timing ist denkbar schlecht. Es muss jetzt, in den Monaten bis
September, ein Wirtschaftsplan für 2015 vorbereitet werden, an dem der neue
Vorstand keinerlei Anteil haben wird. Im ursprünglich vorgesehenen Zeitraum
wäre die Vorstandssuche wahrscheinlich bis Mitte 2015 erledigt gewesen und
der neue Vorstand hätte sich sowohl bei der Jahresplanung als auch bei der
Vorbereitung und der überzeugenden Präsentation der Finanzierungsanträge
bei der Wikimedia Foundation einbringen und wichtige Aufgaben übernehmen
können. Im besten Fall hätte der Vorstand damit Ende 2015 die Position
übernommen und könnte 2016 von Anfang einen Jahresplan umsetzen und
verantworten, an dessen Entwicklung er oder sie selbst aktiv beteiligt war.
Der jetzige Zeitplan läuft darauf hinaus, dass der neue Vorstand etwas
umsetzen und verantworten soll, worin er keinen Einfluss hatte. Bei der
Wikimedia Foundation wird jemand den Antrag verteidigen müssen, der die
Planung nicht mehr umsetzen wird, gleichzeitig wird unbekannt sein, wer
denn nun diese Umsetzung verantworten wird.
4) Die Mitglieder hatten an keiner Stelle die Möglichkeit, auf die Suche
des nächsten Vorstandes einzuwirken und ggf. dem Präsidium aus der
Mitgliederversammlung heraus entsprechende Aufträge zu erteilen. Sie wurden
weder nach ihrer Zustimmung zur Strategie noch zur (neuen) Priorisierung
gefragt. Das ist denkbar schlecht, wenn man berücksichtigt, dass es ein
nachweislich großes Interesse der Mitglieder gibt, sich mehr an den
Entscheidungen im Verein zu beteiligen.
> Manchmal hilft es unbefangen und ohne nennenswerte Vorgeschichte mit einer
> der betroffenen Seiten an eine solche Sache rangehen zu können:
> - Ich sehe ein demokratisch legitimiertes
Präsidium, dass seiner Aufgabe
> entsprechend die Strategie Vereins formuliert, dabei eine neue
> Schwerpunktsetzung beschließt, feststellt, dass sie diese langfristig nicht
> mit dem amtierenden Vorstand realisieren kann oder will, und deshalb mit
> diesem einen Auflösungsvertrag vereinbart.
> - Ich sehe einen Vorstand, der von dieser
Entwicklung zwar kalt erwischt
> wird, aber dann bemerkenswert souverän und professionell damit umgeht. Es
> wird einen für beide Seiten akzeptable Übergangslösung gefunden.
> - Und ich sehe die Mitarbeiter der
Geschäftsstelle, die trotz ihrer
> persönlichen Betroffenheit eine professionelle Mitgliederversammlung auf
> die Beine stellen, auf der die jüngsten Entwicklungen vorgestellt und
> kontrovers diskutiert werden.
> Soweit ist das meines Erachtens ein zwar
einschneidender, aber in
> demokratischen Gruppierungen gängiger Vorgang.
Wichtiger als das, was du siehst, ist, was du nicht siehst. Die
Entscheidung über die langfristige strategische Ausrichtung und die
operativen Prioritäten eines Jahres muss am Ende die Mitgliederversammlung
treffen, nicht das Präsidium allein. Es gibt stehende Beschlüsse der MV zu
beiden Themen, die auch für das Präsidium nicht disponibel sind. Natürlich
darf das Präsidium Änderungen an der strategischen Ausrichtung oder auch an
der Priorisierung vorschlagen und sie der Mitgliederversammlung zur
Zustimmung vorlegen. Mit der Zustimmung der Mitglieder wäre es ein
leichtes, dann auch die Weichen für eine Neubesetzung des Vorstandsamtes zu
setzen, vorausgesetzt, es ist objektiv nachweisbar, dass die neue Strategie
oder Priorisierung nicht vom Vorstand unterstützt wird. Das ist, wie du
selbst sagst, ein üblicher Vorgang, den an sich auch niemand in Frage
stellt.
Das alles ist aber nicht passiert. Im Gegenteil hat das Präsidium sogar
beschlossen, das Strategiepapier gerade nicht der Mitgliederversammlung zur
Entscheidung vorzulegen, um eine langfristige Bindungswirkung zu vermeiden.
Es hat beschlossen, ohne Begründung, d.h. ohne belegte Behauptungen, die
Arbeit mit dem Vorstand zu beenden. Die Position des Präsidiums, wie sie
sich nicht nur mir darstellt, ist, dass sie sich einig sind, nicht mehr mit
dem Vorstand arbeiten zu wollen und dass sie das nicht weiter begründen
sondern nur beschließen müssen. Gegenüber den Mitgliedern wird dabei
vertreten, das Präsidium wisse schon, was es tue (die vielen Verweise auf
die Vielfalt und Kompetenz im Gremium sprechen diese Sprache), und wir
sollten uns darüber nicht so viele Gedanken machen (konkretere Fragen zu
den Gründen wurden auf der MV ja stets mit Verweis auf
"Personalangelegenheit" abgewiesen). Das alles hat für mich mit Demokratie
im modernen Sinne nichts zu tun.
> Gäbe es dieses Projekt und diesen Verein überhaupt ohne eine engagierte
> Community, die Tag ein, Tag aus in unseren Wikis Inhalte schafft? Bekämen
> wir auch nur annähernd so viele Spenden, wenn wir nicht die größte
> Content--Website der Welt mit unseren Fundraising Bannern bestücken
> könnten? Wohl kaum: Ohne diese Projekte wäre Wikimedia wohl ein weitgehend
> bedeutungsloser LobbyVerein ohne nennenswerte finanzielle Mittel.
Für den Erfolg Freien Wissens sind viele Faktoren notwendig, wozu
selbstverständlich auch die Community gehört. Das stellt keiner in Abrede.
In Abrede zu stellen ist aber, dass ein Faktor allein ausreichend ist bzw.
dass ein Faktor so wichtig ist, dass alles andere dem unterzuordnen oder im
Vergleich zu vernachlässigen ist. Ich empfinde diese ständigen Versuche,
Community und Mitarbeiter in ihrer Wertigkeit, Bedeutung oder was weiß ich
miteinander zu vergleichen oder Rangfolgen aufzustellen, als höchst
destruktiv und in keinster Weise der Sache dienlich. Was spricht dagegen zu
akzeptieren, dass wir mit unserer Mission nur dann erfolgreich sind, wenn
wir ohne gegenseitige Vorhalte und ohne Anspruchsdenken konstruktiv
zusammen arbeiten?
Beste Grüße
Sebastian Moleski